Von: mk
Während an der Front die Kämpfe mit unveränderter Härte weitergehen, schaut man sowohl in Moskau als auch in Kiew mit Sorgenfalten in Richtung USA. Wird Donald Trump das Blatt wenden, nachdem er erneut ins Weiße Haus eingezogen ist, und in welche Richtung weht der Wind? Militärexperten vermuten, dass ausgerechnet eine Schwäche Trumps der Ukraine in die Karten spielen könnte.
Unterdessen steht die Ukraine an allen Frontabschnitten unter Druck. In der strategisch wichtigen Stadt Pokrowsk im Osten der Ukraine droht die Einkesselung durch russische Truppen. Auch im besetzten Gebiet in der russischen Region Kursk verläuft die neue ukrainische Offensive stockend.
Gleichzeitig setzt die Ukraine vermehrt Drohnen auf russischem Gebiet ein und hat zuletzt unter anderem ein russisches Treibstofflager und eine Schießpulverfabrik getroffen. Trotzdem gibt sich Kriegstreiber Wladimir Putin siegesgewiss und selbstsicher. Man sei dabei, die eigenen Ziele zu erreichen, heißt es immer wieder aus dem Kreml.
„Zeit spielt gegen Putin“
Militärökonom Marcus Keupp von der ETH Zürich glaubt allerdings, dass es sich in erster Linie um Fassade handelt, wie er im ZDF-Interview erklärt. Immerhin machen die russischen Truppen nur sehr schleppend Fortschritte an der Front. Orte wie Bachmut und Awdiivka wurden trotz intensiver Kämpfe nur langsam eingenommen.
„Tschassiw Jar, das die Russen gerade versuchen einzunehmen, liegt gerade mal acht Kilometer westlich von Bachmut. Acht Kilometer in 15 Monaten würde so eine Idee von der Vormarschgeschwindigkeit der Russen geben“, erklärt Keupp.
Der Krieg in der Ukraine hat sich zu einem Abnutzungskrieg entwickelt. Beide Seiten versuchen, den Gegner durch hohe Verluste zu schwächen, anstatt schnelles Territorium zu gewinnen. Dies gilt vor allem für Russland. „Die Zeit läuft gegen Putin. Wenn man überlegt, wie viel er hinopfert und was er im Gegenzug an Geländegewinn bekommt, dann ist das schlichtweg selbstmörderisch“, betont Keupp.
Die Geschwindigkeit, mit der die Russen vorrücken, lässt daran zweifeln, ob Putin seine Kriegsziele – sprich die Eroberung von vier Oblasten – jemals überhaupt erreichen kann. „Wenn die russische Armee nach Dnipro vorrücken will, dann stell ich mal die Frage, wie viel Jahrzehnte das dauert“, meint Keupp.
Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine aufrechtbleiben. Der Ukraine müsse es laut Keupp gelingen, die Front zu halten und zu verhindern, dass sich der Stellungskrieg in einen Bewegungskrieg verwandelt.
Russlands Wirtschaft bröckelt
Die hohen Verluste an Soldaten und Material stellen auch ein erhebliches Risiko für Russlands Wirtschaft dar und belastet die Gesellschaft. „Durch die Crowding-out-Effekte der Kriegsökonomie besteht eine riesige Nachfrage nach Arbeitskräften. Das Problem ist nur, die Arbeitskräfte sterben an der Front weg. Dementsprechend explodieren die Löhne. Damit setzt auch die Inflation ein“, analysiert Keupp.
Doch wie lange hält Putin das überhaupt noch durch? „Es gibt verschiedene Schätzungen, was das Material angeht: Die optimistischsten sagen Ende 2025, die pessimisitischsten gehen von Ende 2027 aus. Dass die Lager sich leeren und dass die Abnutzungsrate größer als die Nachschubrate ist, das ist immer noch so“, erklärt Keupp.
Russische Maximalforderungen
Moskau steht demnach mit dem Rücken zur Wand. Keupp ist davon überzeugt: In Wahrheit ist Putin sehr an Verhandlungen mit den USA interessiert. Sein Kalkül sei es, einfach irgendetwas zu bekommen, bevor ihm Mensch und Material ausgehen.
Hier komme Putins KGB-Ausbildung zum Tragen, die ihn gelehrt habe, wie man Menschen manipuliert. Wie Welt online berichtet, hat der Kreml-Despot Trump erst kürzlich geschmeichelt. So erklärte Putin, der Krieg hätte womöglich schon früher beendet werden können, wenn Trump Präsident gewesen wäre und man ihm nicht die Wahl gestohlen hätte. Solche Aussagen sind natürlich Wasser auf die Mühlen des Republikaners.
Eine weitere psychologische Taktik ist es, mit Maximalforderungen in Verhandlungen zu gehen. „Man geht mit völlig überzogenen Forderungen rein, stellt sich als möglichst großartig dar, schüchtert den Gegner ein und geht am Ende mit zehn oder 20 Prozent der ursprünglichen Forderungen raus“, erklärt Keupp. Ihm zufolge wird das Spiel in immer wieder neuen Runden so lang wiederholt, bis man letztendlich erreicht, was man will.
Dass Russland von seinen Zielen ablässt, sich die Ukraine irgendwann einzuverleiben oder sie zu zerschlagen, glaubt Keupp nicht. Das passe nicht zum imperialen Denken Russlands. Erst kürzlich habe der russische Außenminister Sergei Lawrow wiederholt, die Ukraine sei aus russischer Sicht kein eigener Staat, sondern eigentlich nur eine von Russland entwickelte Kolonie. Auch die ukrainische Sprache existiere nicht, sondern sei nur ein russischer Dialekt.
„Die Gefahr, die jetzt besteht, ist dass wir Minsk 3 bekommen. Minsk 2 war mit der Ausgliederung der sogenannten Separatisten-Republiken als schwaches und von Russland beeinflusstes Pseudostaatswesen eigentlich schon die erste Teilung der Ukraine“, warnt Keupp.
Trump und sein Narzissmus
Ob sich die USA auf die Wünsche Russlands einlassen, bleibt allerdings fraglich. Erst kürzlich hat Trump Putin in einem Interview verspottet und auf die hohen russischen Verluste hingewiesen. Außerdem drohte Trump Russland mit weiteren Sanktionen.
„Ich glaube nicht, dass jemand wie Trump, der ja ausgesprochen narzisstisch agiert und der immer sagt, man müsse stark sein und man dürfe keine Schwäche zeigen, jetzt zu Putin geht und sagt: ‘Du großer Fürst im Osten, lass uns doch bitte verhandeln’, während dieser langsam an Menschen und Material ausblutet“, zweifelt Keupp.
Auch wenn es Putin als ehemaliger KGB-Agent versteht, Menschen zu täuschen, könnte er diesmal möglicherweise zu hoch gepokert haben.
Aktuell sind 32 Kommentare vorhanden
Kommentare anzeigen