Von: apa
Die Unterschrift unter den Staatsvertrag 1955 ist im kollektiven Gedächtnis Österreichs präsent. Die zehn Nachkriegsjahre davor hingegen stellen bis heute eine überraschende Leerstelle im Bewusstsein des Landes dar. Das Wien Museum will mit seiner neuen Schau “Kontrollierte Freiheit” nun helfen, diese Lücke mit überbordender Fülle zu schließen. Der Blick auf die kulturelle Entwicklung unter der Besatzung wird in einem überraschend umfassenden Stadtspaziergang nachgezeichnet.
Schwarzmarkt und Entnazifizierung
Am Beginn steht die unmittelbare Bewältigung des Nachkriegselends samt Karten der Zerstörungen in der Stadt oder der Untersagung des Schwarzmarktes durch Stadtkommandant Alexej Blagodatow. Erste kleine Gebrauchswörterbücher wie “Englisch für den Alltag” finden sich unter den Exponaten, zu denen auch ein lebensgroßes Puppenquartett der Alliierten in ihren Uniformen zählt. Und die Entnazifizierung mit entsprechenden Propagandaplakaten oder etwa der Bewerbung der Ausstellung “Naziverbrechen” im Künstlerhaus 1946 hat ihren Platz in diesem Präludium der Ausstellung.
Und doch ist erstaunlich, wie schnell nach dem Kriegsende trotz Devastierung und Hunger das kulturelle Leben wieder anlief. Schließlich bemühte man sich nicht zuletzt, neben der Demokratisierung und Werbung in eigener Sache, eine österreichische Identität zu erschaffen. So wurde etwa schon am 27. April 1945 der Spielbetrieb in der Stadt auf Geheiß der Sowjets wieder aufgenommen, war Wien anfangs doch rein sowjetisch besetzt. Als dann auch die USA, Frankreich und Großbritannien dazustießen, versuchten auch diese, die Stadt zu prägen.
Kasperl und Nürnberger Prozesse
“Kasperl kommt zu euch”, lockte schon im August 1945 ein Plakat die Jüngsten ins Titania Theater, während die älteren “Connaisseure und Amateure” in ein “Concert of Ancient Music” in den Musikverein geladen wurden. Ein Jazzkonzert war in dieser unmittelbaren Zeit nach Ende der Kampfhandlungen ebenso zu hören wie alsbald Filme über die Naziverbrechen wie “Gericht der Völker” über die Nürnberger Prozesse oder “Todesmühlen” über die KZ.
Mittels Kunstausstellungen versuchte man die Wiener Bevölkerung zu beeinflussen respektive für sich zu gewinnen, wobei bei der Quantität die Franzosen weit vorne lagen, die Sowjets vollends abgeschlagen waren. Werbung für den Sender Rot-Weiss-Rot lockte mit “mehr Musik, mehr Aktuelles” am Abend, während das Orchester der US Airforce am Rathausplatz spielte.
Theater und Film
Die ersten Programme der wieder anlaufenden Theaterhäuser sind zu sehen, darunter das Scala in der Favoritenstraße, das unter russischem Einfluss neu begründet wurde und unter anderen Bertolt Brecht eine Bühne bot. Im Filmbereich dominierten indes anfangs die Produktionen aus den Ländern der jeweiligen Besatzungsmächte, die vornehmlich der Ablenkung von der Wirklichkeit dienten.
Aber auch das Plakat zur ersten Eigenproduktion aus den Rosenhügelstudios 1950 mit Marika Rökk unter dem Titel “Das Kind der Donau” grüßt die Besucher unweit einer Werbung für das Hollywood-Schaumbad, das bereits ersten weltläufigen Glanz in die heimischen Badewannen abseits der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung brachte.
In dieser Fülle an verschiedengestaltigen Exponaten bemüht man sich im Wien Museum um eine sinnliche Unmittelbarkeit, wenn man etwa ein Minikino mit vier Sitzplätzen samt Wochenschauausschnitten bietet, einen Zeitungsstand mit frühen Exemplaren oder Videostationen, in denen Zeitzeugen von Erika Pluhar über Thaddäus Podgorsky bis zu Franz Vranitzky oder Barbara Coudenhove-Kalergi zurückblicken. Und nicht zuletzt bleiben wenig präsente Fotografien aus den zehn Nachkriegsjahren im Gedächtnis, etwa die US-Truppen vor der Nationalbank oder das Palais Epstein mit affichiertem Stalin und Lenin.
Rathkolbs “größte Überraschung”
“Die größte Überraschung war, wie groß der kulturelle Einfluss auf die Nachkriegsgeneration war”, machte Historiker Oliver Rathkolb aus dem Kuratorenteam deutlich und verwies auf den nötigen Aufwand bei der Gestaltung der Schau: “Wir haben ein Feuerwerk an Recherchen entwickelt.”
“Wir hatten keinen Bestand, aus dem wir hätten schöpfen können”, pflichtete Kollegin Elisabeth Heimann-Leitner bei. Da dies auch für die meisten anderen Sammlungen in Wien gegolten habe, musste man auf private Bestände zurückgreifen. Entsprechend sind 80 Prozent der 560 Objekte Leihgaben.
Filmmuseum flankiert
Wem das Minikino in der Ausstellung zu klein ist, für den flankiert das Filmmuseum die Schau mit einer parallelen Filmreihe. Am Donnerstag startet hier “Befreite Leinwand. Alliierte Filmpolitik 1945-55” – mit einem bunten Kompendium von “Don Camillo und Peppone” bis zu “Bambi”.
(S E R V I C E- www.wienmuseum.at/kontrollierte_freiheit_die_alliierten_in_wien)
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