Israel greift weiter den Gazastreifen an

Katar: Abkommen über Freilassung der Hamas-Geiseln in Sicht

Sonntag, 19. November 2023 | 16:23 Uhr

Von: APA/Reuters/dpa/AFP

Bei den Verhandlungen über die Freilassung der von der islamistischen Hamas in den Gazastreifen verschleppten Geiseln stehen laut Katars Regierung nur noch “geringfügige” Hindernisse einem Abkommen im Weg. Die jetzt noch verbliebenen Fragen seien eher “logistischer und praktischer” Natur, sagte Katars Regierungschef Mohammed bin Abdulrahman Al Thani am Sonntag bei einer Pressekonferenz mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell in Doha. Auch die USA gaben sich zuversichtlich.

Man sei zum jetzigen Zeitpunkt näher an einer Einigung, “als wir es vielleicht jemals waren, seit diese Verhandlungen vor Wochen begonnen haben”, sagte der stellvertretende Nationale Sicherheitsberater der USA, Jon Finer, am Sonntag im US-Fernsehen. “Es gibt Bereiche, in denen die Meinungsverschiedenheiten verringert, wenn nicht sogar ganz ausgeräumt wurden.” Finer machte jedoch deutlich, dass man noch nicht am Ziel sei: “Es gibt derzeit keine Einigung, wir werden in den kommenden Stunden und Tagen intensiv weiterverhandeln.” Finer machte keine Angaben zur Zahl der im Gazastreifen von der Hamas festgehaltenen Geiseln. Er konkretisierte auch nicht, wie viele von ihnen bei einer Einigung freikommen könnten. Die USA “haben keine genauen Angaben über die genaue Zahl der Geiseln, auch nicht über die Zahl derer, die noch am Leben sind.”

Al-Thani zeigte sich nach einigen “Aufs und Abs” in den Gesprächen “zuversichtlicher, dass wir ziemlich nahe vor einer Übereinkunft sind, die die Leute sicher nach Hause zurück bringen kann”. Einen Zeitplan nannte der katarische Ministerpräsident nicht. Katar, wo sich sowohl ein großer US-Militärstützpunkt als auch das politische Büro der Hamas befindet, hatte in den vergangenen Wochen in Verhandlungen über die Freilassung der in den Gazastreifen verschleppten Geiseln und über eine vorübergehende Waffenruhe in dem Krieg vermittelt. Im Zuge dieser Vermittlung waren bisher vier Geiseln freigekommen.

Zuvor hatte die “Washington Post” berichtet, dass Israel und die Hamas kurz vor einiger möglichen Einigung auf eine Feuerpause stehen. Israel, die USA und die radikal-islamische Palästinenser-Gruppe Hamas verhandelten demnach eine fünftägige Kampfpause für den Gazastreifen. Noch gibt es keine Einigung, sagte das Weiße Haus Samstagabend (Ortszeit) dazu, aber man arbeite hart daran.

Auch Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hatte gesagt, es gebe noch keine Einigung. Mit dem unter Vermittlung der USA verhandelten Abkommen könnte, so die “Washington Post” in der Nacht auf Sonntag, die Freilassung der Geiseln bereits in den nächsten Tagen beginnen, sofern es keine Probleme in letzter Minute gebe. Alle Parteien würden die Kampfhandlungen für mindestens fünf Tage einfrieren, während “zunächst 50 oder mehr Geiseln in kleineren Gruppen alle 24 Stunden freigelassen werden”. Die Lage am Boden solle mithilfe von Luftüberwachung kontrolliert werden.

Die Einstellung der Kampfhandlungen soll demnach auch ermöglichen, dass deutlich mehr humanitäre Hilfe, einschließlich Treibstoff, von Ägypten in den Gazastreifen gelangen kann. Der Entwurf des Abkommens sei in wochenlangen Gesprächen in der katarischen Hauptstadt Doha zwischen Israel, den USA und der Hamas ausgearbeitet worden.

In der Nacht auf Sonntag veröffentlichte auch das israelische Fernsehen Details einer möglichen Vereinbarung zur Freilassung von Geiseln. Demnach soll die Hamas grundsätzliche Bereitschaft zur Freilassung von 87 Geiseln signalisiert haben, berichtete der Sender N12. Darunter seien 53 Frauen, Kinder und Jugendliche sowie 34 Ausländer. Im Gegenzug müsse Israel sich zu fünf Tagen Kampfpause im Gazastreifen sowie zur Freilassung von weiblichen palästinensischen Häftlingen, Minderjährigen in israelischen Gefängnissen und sogenannten Sicherheitshäftlingen verpflichten. Außerdem verlange die Hamas die Einfuhr von mehr Treibstoff in den Küstenstreifen.

Der Sender berichtete gleichzeitig, es sei noch unklar, ob der Deal vorangehen werde. Ein Problem sei, dass es zuletzt kaum noch Kontakt mit dem Hamas-Chef im Gazastreifen, Yahya al-Sinwar, gegeben habe. Er habe noch keine klare abschließende Antwort über die Vermittler in Katar übermittelt, hieß es. Israel geht davon aus, dass sich Al-Sinwar seit Beginn des Kriegs am 7. Oktober in unterirdischen Verstecken aufhält. Zuletzt wurde er in seinem Geburtsort Khan Younis im Süden des Küstenstreifens vermutet. Die Kommunikation erfolgt dem TV-Sender zufolge über mehrere Vermittler.

Netanyahu sagte auf einer Pressekonferenz am Samstagabend, mit Blick auf die Geiseln gebe es viele unbegründete Gerüchte und falsche Berichte. “Ich möchte klarstellen: Bis jetzt gibt es noch keine Einigung.” Wenn es etwas zu sagen gebe, werde darüber informiert werden.

US-Präsident Joe Biden hatte am Samstag einen Gastbeitrag zum Konflikt im Nahen Osten in der “Washington Post” veröffentlicht. Darin hatte er auch noch einmal deutlich gemacht, dass er einen Waffenstillstand ablehnt. “Solange die Hamas an ihrer Ideologie der Zerstörung festhält, ist ein Waffenstillstand kein Frieden”, schrieb er. Die Hamas würde die Zeit nur nutzen, um wieder aufzurüsten. Die USA setzen stattdessen auf kürzere Feuerpausen, die auch zur Befreiung von Geiseln dienen sollen.

Insgesamt waren am 7. Oktober rund 240 Menschen von Terroristen in den Gazastreifen verschleppt worden, wo sie nach israelischen Informationen auch in dem weit verzweigten Tunnelsystem der Hamas festgehalten werden. Am Samstag hatten in Israel Zehntausende Menschen mit einem tagelangen Protestmarsch für einen schnellen Deal zu ihrer Freilassung Jerusalem erreicht. Sie demonstrierten auch vor dem Amtssitz des Ministerpräsidenten Netanyahu.