Von: mk
Bozen – Seit Jahren überwacht die betriebliche Sektion Umweltmedizin des Südtiroler Sanitätsbetriebes routinemäßig unter anderem öffentliche Orte auf eine eventuelle Präsenz von gefährlichen Wirkstoffen unterschiedlichen Ursprungs, darunter auch aus Pflanzenschutzmitteln. Aus aktuellem Anlass der heutigen Vorstellung der Ergebnisse der Untersuchungen von 71 Kinderspielplätzen durch den Dachverband für Natur- und Umweltschutz werden die Ergebnisse nun präsentiert: “Es wurden keine unzulässigen Überschreitungen von Stoffen, die für die Gesundheit bedenklich sind, festgestellt”, erklärt Umweltmediziner Lino Wegher.
Die Proben werden seit vier Jahren regelmäßig von der Abteilung Umweltmedizin des Südtiroler Sanitätsbetriebes in Zusammenarbeit mit den örtlichen Gemeindepolizisten entnommen: über den ganzen Vinschgau verteilt in vier Gemeinden auf öffentlichen Spielplätzen und in Pausenhöfen von Schulen. Um signifikante Aussagen tätigen zu können, ist es notwendig, über mehrere Jahre und in verschiedenen Jahreszeiten standardisierte Erhebungen durchzuführen. Die Proben werden von Gräsern gezogen, die dort wachsen. Untersucht werden sie vom Labor für Lebensmittelanalysen der Landesagentur für Umwelt.
Die Auswertung ist aufwendig: Die chemischen Untersuchungen betreffen insgesamt mehr als 300 verschiedene Wirkstoffe – darunter jene, die als Pflanzenschutzmittel im Obstbau zur Anwendung kommen, aber auch eine Vielzahl an anderen Stoffen, die anderen Ursprungs sind. Ziel der regelmäßigen Überwachung ist es, mögliche gesundheitliche Risiken durch Giftstoffe verschiedenster Art festzustellen bzw. auszuschließen.
Die angewandte moderne Labortechnik liefert genaueste Ergebnisse, mit denen sogar Spuren von Stoffen festgestellt werden können, die an der Nullgrenze liegen.
“In einigen Proben wurden in diesem Jahr überhaupt keine Rückstände gefunden”, sagt Umweltmediziner Lino Wegher. Weil das Gras auf öffentlichen Flächen nicht für die menschliche Ernährung vorgesehen ist, gelten dafür eigentlich keine gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte für Rückstände. Deswegen ist auch der Vergleich mit anderen Lebensmitteln nicht korrekt, weil der gefundene Wert nichts über eine mögliche gesundheitsgefährdende Wirkung aussagt. Auf Produkten, wo es keine entsprechende Zulassung des Wirkstoffes gibt, gilt automatisch die Nachweisgrenze, bei deren Überschreitung in der Folge das Produkt nicht mehr verkehrsfähig ist. Viel zielführender ist es einen Vergleich mit dem ADI-Wert anzustellen: Der ADI-Wert (Acceptable Daily Intake) bezeichnet die Dosis einer Substanz, die bei lebenslanger täglicher Einnahme als medizinisch unbedenklich betrachtet wird und ist in Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht angegeben. “In Bezug auf die Werte der erlaubten Tagesdosis (ADI) sind die Konzentrationen der gefundenen Wirkstoffe als unbedenklich einzustufen”, schließt Umweltmediziner Wegher.
Die Untersuchungen werden im kommenden Jahr fortgesetzt.
Pestizide: “Sensible Zonen nicht ausreichend geschützt”
Der Dachverband für Natur- und Umweltschutz sieht die Situation allerdings anders. Die Bestimmungen im Bereich der Verwendung von Pestiziden definieren sogenannte sensible Zonen als von der Bevölkerung frequentierte bzw. von gefährdeten Personengruppen aufgesuchte Bereiche. Dazu gehören Schulhöfe und Kinderspielplätze ebenso wie Parks und Grünflächen von Pflegeeinrichtungen. Diese sensiblen Zonen sind besonders vor Pestiziden zu schützen. Doch wie gut funktioniert dies mit der derzeitigen Regelung und der praktischen Handhabung der Ausbringungs- und Abstandsnormen in Südtirol? Dieser Frage ist der Dachverband für Natur- und Umweltschutz zusammen mit einigen seiner Umweltgruppen und dem Pesticide Action Network (PAN) Europen achgegangen und hat heuer im Mai insgesamt 71 Kinderspielplätze im Obstbaugebiet Südtirols auf das Vorhandensein von Pestiziden untersuchen lassen.
Öffentliche Parks und Gärten, Sportplätze und Erholungsflächen, Schulgelände, Kindergärten, Kinderhorte, Kindertagesstätten und Kinderspielplätze mit dazugehörigen Grünflächen, Flächen in unmittelbarer Nähe von Gesundheits – und Pflegeeinrichtungen – jener Beschluss des Landes Südtirol, der die Ausbringung von Pestiziden regelt, definiert diese Flächen als sogenannte sensible Zonen. Diese sind in besonderem Maße vor Pestiziden zu schützen. Daher gelten Auflagen zeitlicher und räumlicher Natur für die Ausbringung von Pestiziden auf angrenzenden Flächen.
Die Politik will damit ihrer Aufgabe nachkommen und die Pflanzenschutz-Rahmenrichtlinie der EU bzw. den Nationalen Aktionsplan für eine nachhaltige Anwendung von Pflanzenschutzmitteln umsetzen.
Laut Dachverband seien bei 71 untersuchten Spielplätzen auf 29 Pestizide nachgewiesen worden. Dabei seien einige Flächen mehrfach kontaminiert gewesen, mit bis zu vier verschiedenen Pestiziden. Auch eine gewisse Distanz zu den nächstgelegenen Obstbauflächen habe Spielplätzen keinen ausreichenden Schutz vor Abdrift geboten. „Die gefundenen Konzentrationen lagen zum Teil recht deutlich über den von der EU zulässigen maximalen Rückstandswerten für gebräuchliche Lebensmittel“, erklärt der Dachverband. Dazu sagt Koen Hertoge von PAN Europe: „Besorgniserregend ist die Tatsache, dass ein verbindlicher gesetzlicher Rahmen für die Vermeidung der Kontaminierung von sensiblen Zonen fehlt. Vor allem Kinder sind besonders vor den Gefahren von Pestiziden zu schützen. Und gerade hier sehen wir noch sehr viel Handlungsbedarf. Sensible Zonen sollten unbedingt als Null-Toleranz-Zonen bzw. Null-Kontamination-Zonen gesetzlich festgeschrieben werden.“
Für Klauspeter Dissinger vom Dachverband für Natur- und Umweltschutz steht fest: „Die aktuellen Ausbringungs- und Abstandsregelungen reichen nicht aus, um die sensiblen Zonen wirksam zu schützen. Diese müssen schnellstmöglich überarbeitet und an die Erkenntnisse dieser Studie angepasst werden. Zudem muss es ein funktionierendes Kontroll- und Monitoringprogramm in Südtirol geben. Die Politik hat einen Vorschlag zum regelmäßigen und systematischen Monitoring während der aktuellen Legislaturperiode abgelehnt. Und eben aus diesem Grund haben wir diese Initiative gestartet. Nur so ist das Verursacherprinzip auch in diesem Bereich anzuwenden. Mittelfristig wird aber kein Weg an einer pestizidfreien Landwirtschaft vorbeiführen.“
Koen Hertoge ergänzt: „Je früher und konsequenter wir auf biologische Landwirtschaft umstellen, umso erfolgreicher wird sich Südtirol mit seinen Produkten auf dem Markt positionieren können. Davon werden auch andere Bereiche wie etwa der Tourismus enorm profitieren.“
“Nur geringste Spuren von Giftstoffen auf öffentlichen Grünflächen”
Landesrat Arnold Schuler sieht sich hingegen bestätigt. Die heute vorgestellten Analysen des Dachverbandes für Natur- und Umweltschutz würden die Ergebnisse bestätigen, die die zuständigen Landesämter ermittelt haben.
Demnach seien auf Gräsern von Spielplätzen im Vinschgau nur geringste Spuren von Pflanzenschutzmitteln feststellbar – in einer Menge, die zumeist an der wissenschaftlich nachweisbaren Grenze liegen. “Pflanzenschutzmittel haben außerhalb der landwirtschaftlichen Flächen nichts zu suchen – und die Ergebnisse bestätigen, dass die allermeisten Bauern die gesetzlichen Landesrichtlinien einhalten”, bekräftigt Landwirtschaftslandesrat Arnold Schuler.
Nach Angaben des Dachverbandes für Natur- und Umweltschutz wurden auf 71 Kinderspielplätzen und öffentlichen Flächen Grasproben entnommen und nach Rückständen von Wirkstoffen untersucht, die auch in Pflanzenschutzmitteln Anwendung finden. Davon enthalten 53 Proben sehr geringe Spuren: Unter Berücksichtigung der Messunsicherheit liegen die Spuren unter jener Grenze, wo sie wissenschaftlich gesichert gemessen werden können. 18 Proben enthalten Spuren von Wirkstoffen, die nicht nur aus der Obstwirtschaft stammen – darunter die Wirkstoffe Cypermethrin – das mit dem weitaus höchsten Wert, das in der Tiermedizin gegen Zecken eingesetzt wird, sowie Benzalkoniumchlorid, das ein Haushaltsmittel zur Desinfektion und Reinigung ist.
“Wir als Landesregierung haben Abstandsregelungen und eine Reihe weiterer Maßnahmen beschlossen, die die Abdrift beim Ausbringen der Mittel in der Landwirtschaft reduzieren sollen”, erklärt Landesrat Schuler, “darüber hinaus wurden im oberen Vinschgau eine Reihe von Versuchen durchgeführt, mit denen überprüft wird, welche weiteren Maßnahmen zur Abdriftminderung hilfreich sind.” Die nun veröffentlichten Messergebnisse sowohl der Sektion für Umweltmedizin des Sanitätsbetriebes als auch des Dachverbandes für Natur- und Umweltschutz bestätigen, dass die bisherigen Maßnahmen bereits greifen.
Mit Blick auf die gefundenen geringen Rückstandsmengen müsse man sich zudem fragen, ob von ihnen überhaupt ein gesundheitliches Risiko ausgehen könne. Denn abgesehen davon, dass Gras nicht zum menschlichen Verzehr vorgesehen ist, gelten auch keine gesetzlichen Grenzwerte.
Da es kompliziert sei zu erklären, wie die zugelassenen Höchstmengen berechnet werden, werde ein Vergleich mit der Humanmedizin hergestellt, wo die Wirkstoffe zum Teil dieselben sind wie in Pflanzenschutzmitteln, sagt Landesrat Schuler. Als Beispiel nennt er die Scabizid-Salben, die gegen Krätze (eine Hautkrankheit) angewandt werden und die ohne ärztliches Rezept in jeder Apotheke erhältlich sind, weist Landesrat Schuler hin. Diese Salben enthalten den Wirkstoff Permethrin, der seit dem Jahr 2000 in Pflanzenschutzmitteln nicht mehr zugelassen ist, aber immer noch auf der europäischen Pestizidliste geführt wird. Die Salbe enthält den Wirkstoff in einer Konzentration von fünf Prozent – vergleichsweise hoch gegenüber der Konzentration in Pflanzenschutzmitteln. Eine Dosis von 15 Gramm dieser Salbe hinterlässt auf der Haut so viel Wirkstoff wie Gras von 17,5 Fußbalfeldern, das ähnlich kontaminiert ist wie die Grasproben des Dachverbandes. Oder anders gesagt beträgt die Wirkstoffmenge, die man sich dabei auf die Haut streicht, 3000 bis 75.000 Mal mehr als die gezogenen Proben durch den Dachverband auf ein Kilogramm Gras.