Von: mk
Washington, D.C. – Rund eine Woche vor der US-Präsidentschaftswahl scheint der Kampf ums Weiße Haus völlig offen. Die Umfragen deuten auf ein enges Rennen zwischen Donald Trump und Kamala Harris hin. Doch der Schein könnte trügen.
Noch nie war eine Präsidentschaftswahl in den USA so richtungsweisend für die Welt wie diese. Viel steht auf dem Spiel – von der Unterstützung für die Ukraine über die transatlantischen Beziehungen bis hin zur Zukunft der Demokratie als solche. Glaubt man den Umfragen, liegen beide Kandidaten landesweit sowie in den alles entscheidenden Swing States mehr oder weniger gleichauf.
Stuart Stevens, ein ehemaliger Chefstratege der Republikaner, hält davon allerdings wenig. Er ist überzeugt, dass Harris „recht problemlos“ gewinnen“ wird. Im Gegenteil: Der frühere Berater des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney, der 2012 trotz guter Umfragen die Wahl gegen Barack Obama klar verlor, erklärte gegenüber der Zeitschrift Vanity Fair, dass der Vorsprung „größer“ ausfallen dürfte als vor vier Jahren.
Als Grund dafür nennt Stevens die Struktur des Rennens, die nach wie vor dieselbe sei: 47 Prozent des Landes seien MAGA-Leute und würden Trump unterstützen. 53 Prozent der Wähler erreicht Trump hingegen nicht. Laut Stevens habe die Harris-Kampagne damit ein sehr einfaches Ziel, und zwar so viele der 53 Prozent wie möglich zu vereinen und zu mobilisieren. Zudem sieht Stevens viele Daten kritisch, wie etwa jene zu den schwarzen Wählern. „All diese Umfragen, die zeigen, dass Harris weniger als 90 Prozent der Stimmen der Schwarzen bekommt, sind falsch“, ist Stevens überzeugt. 1964 habe Barry Goldwater sieben Prozent erhalten, 2020 seien es bei Trump acht Prozent gewesen. Das werde sich laut Stevens nicht ändern.
Vertraut man den Umfragen, scheint sich in den vergangenen zwei Wochen jedoch ein Trend in Richtung Trump herausgebildet zu haben. Der ehemalige US-Präsident könnte davon profitieren. Denn im US-Wahlsystem haben die Stimmen aus den ländlichen, dünn besiedelten, republikanisch geprägten Bundesstaaten wie Wyoming mehr Gewicht als die aus großen demokratisch geprägten Staaten wie New York oder Kalifornien.
Dass man Umfragen allerdings nicht mit Wahlergebnissen verwechseln sollte, gilt besonders für die USA und das komplizierte System, das dort herrscht. CNN hat ausgerechnet, dass die Umfragen in den vergangenen 50 Jahren durchschnittlich 3,4 Punkte vom Ergebnis abgewichen sind. Besonders in Erinnerung sind dabei die beiden letzten Wahlen geblieben.
Manipulierte Werte
Weil sich die einzelnen Umfrageergebnisse so unterscheiden, sind in den USA einige Demoskopen, Blogs und Medien dazu übergegangen, aus der Vielzahl der Umfragen Durchschnittswerte zu ermitteln. Das scheinen die Republikaner auszunutzen. Wie Militäranalyst John Champs erklärt, veröffentlichen die Republikaner täglich bis zu 13 Umfragen, für die sie bezahlt haben und die Trump unterstützen. Dadurch würden die Daten manipuliert.
Laut Champs stimmen die Umfrageergebnisse deshalb nicht mehr. Die Republikaner würden damit eine zweifache Strategie verfolgen: Einerseits befürchten sie, dass Trump seine Motivation im Wahlkampf verliert, wenn er glaubt, dass er nicht vorne liegt. Andererseits bereiten sie so den Weg, das tatsächliche Ergebnis nach der Wahl juristisch anzuzweifeln, sollte Harris gewinnen. Bereits jetzt sind laut Champs rund 80 Anfechtungsklagen gegen die Ergebnisse eingereicht worden, bevor Stimmen überhaupt ausgezählt wurden.
Angst vor Gewalt
Die Gefahr, dass Gerichtsverfahren, aber auch Gewalt und Manipulationsversuche die Wahl überschatten, scheint real und wird auch in der Bevölkerung stark gefühlt. Das Land ist gespalten wie nie zuvor.
Laut einer Umfrage von „AP“ machen sich vier von zehn registrierten Wählern „extreme“ oder „große“ Sorgen über mögliche gewaltsame Versuche, die Ergebnisse nach der Wahl zu kippen. Eine ähnlich hohe Zahl befürchtet gerichtliche Anfechtungen der Ergebnisse. Zudem erklärten rund 33 Prozent der Befragten, sie seien „extrem“ oder „sehr“ besorgt, dass lokale oder staatliche Wahlbeamte Resultate blockieren könnten.
Diese Ängste scheinen nicht unbegründet, zumal Trump weiterhin nachweislich falsche Behauptungen wiederholt, die Wahl sei ihm beim letzten Mal gestohlen worden. Ein klarer Sieg von einem der beiden Kandidaten könnte dazu beitragen, dem Land innenpolitisch mehr Stabilität zu verleihen. Langfristig können die USA die Gräben in der Bevölkerung wohl nur durch ein besseres Bildungssystem überbrücken.
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