Front bei Charkiw stabil

Frankreich schickt Militärausbilder in die Ukraine – Kreml droht erneut mit Atomwaffen

Donnerstag, 30. Mai 2024 | 14:56 Uhr

Von: APA/dpa

Der Kreml warnt mit Nachdruck vor einer Erlaubnis des Westens für den Einsatz seiner Waffen in der Ukraine für Angriffe auf Russland. “Dies alles wird natürlich unweigerlich seine Folgen haben”, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. “Und es wird letztlich den Interessen jener Länder sehr schaden, die den Weg der Eskalation der Spannungen eingeschlagen haben.” Die NATO-Staaten, allen voran der USA, wählten mit “kriegerischen Äußerungen” absichtlich einen Eskalationskurs.

Die Atommacht droht immer wieder, ihre Interessen unter Einsatz aller Mittel zu verteidigen. Einzelne Verbündete der Ukraine wollen es dem von Moskau angegriffenen Land erlauben, westliche Waffen künftig auch für Angriffe gegen Ziele auf russischem Staatsgebiet einzusetzen. Die Ukraine fordert dies, um russische Stellungen in dem seit mehr als zwei Jahren andauernden Moskauer Angriffskrieg effektiver zu bekämpfen. Bisher setzt das Land dafür vor allem eigene Raketen und Drohnen ein. Die westlichen Waffen zielen bisher in erster Linie auf russische Stellungen in den von Moskau besetzten Gebieten der Ukraine.

In Wien warnte der russische Diplomat Konstantin Gawrilow den Westen vor dem Überschreiten von “roten Linien”. Russland habe das Recht, Atomwaffen als Antwort für eine Aggression anzuwenden – auch bei einem Angriff mit konventionellen Waffen, wenn damit das Bestehen des Staates in Gefahr sei. Moskau behalte sich dabei die “nötige Unbestimmtheit über die Art und den Umfang unserer möglichen nuklearen Reaktion auf eine Aggression” vor, sagte er bei einer Veranstaltung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

Kreml-Propagandisten in Staatsmedien sprechen sich immer wieder für einen nuklearen Schlag gegen die Ukraine oder auch gegen den Westen aus. In einem Beitrag für das Wochenmagazin “Profil” rief nun auch der Politologe Dmitri Suslow den Kreml angesichts des möglichen Einsatzes von NATO-Waffen gegen Russland dazu auf, zumindest eine “demonstrative atomare Explosion” außerhalb des Kriegsgebiets herbeizuführen, um seine Abschreckungspolitik zu unterstreichen.

Ein Atompilz, der weltweit im Fernsehen gezeigt werde, könne die Angst vor einem Atomkrieg wiederbeleben, meinte Suslow. Zuletzt schlug der Propagandist Wladimir Solowjow vor, etwa Charkiw, die zweitgrößte Stadt der Ukraine nahe der russischen Grenze, in nukleare Asche zu verwandeln. Kremlchef Wladimir Putin selbst hatte in dem Konflikt immer wieder auf die “Unbesiegbarkeit” der russischen Atomwaffen verwiesen.

Russland zieht Truppen bei Charkiw zusammen – Front stabil

Russland baut unterdessen nach ukrainischen Angaben seine Streitkräfte nördlich der Region Charkiw auf, verfügt aber noch nicht über die Truppenstärke für einen größeren Vorstoß. Russland schicke zusätzliche Regimenter und Brigaden aus anderen Gebieten und von Truppenübungsplätzen in diese Region, um seine Truppen an zwei Hauptangriffslinien im Norden der Region zu verstärken, teilte der ukrainische Oberbefehlshaber Oleksandr Syrskyj am Donnerstag mit.

Nach heftigen russischen Angriffen im Nordosten der Ukraine seit dem 10. Mai habe sich die Front stabilisiert. “Diese russischen Kräfte sind derzeit nicht ausreichend für eine großangelegte Offensive und einen Durchbruch unserer Verteidigung”, sagte Syrskyj in einer Erklärung auf dem Messenger-Dienst Telegram. Die Ukraine habe Munitionsreserven aufbauen können.

Die Bemerkung deutet darauf hin, dass sich Kiews akuter Mangel an Artilleriemunition entspannt hat, seit die USA im April nach monatelanger Verzögerung ein größeres Hilfspaket genehmigten. Auch US-Außenminister Antony Blinken hatte am Mittwoch gesagt, dass die gelieferten US-Waffen zur Stabilisierung der ukrainischen Frontlinien beitragen würden.

Zuvor hatte der Bürgermeister Charkiws, Ihor Terechow, von neuerlichen russischen Raketenangriffen auf zivile Ziele in der zweitgrößten ukrainischen Stadt berichtet. Mindestens vier Menschen seien verletzt, eine Gasleitung beschädigt und zahlreiche Fenster zerbrochen worden, so Terechow. Acht Raketen seien auf Charkiw abgefeuert worden, auch eine Gemeinde nördlich der Stadt sei getroffen worden, sagte der Gouverneur der Region, Oleh Synjehubow.

Ukrainische Angriffe auf die Krim

Der ukrainische Militärgeheimdienst zerstörte eigenen Angaben zufolge zwei russische Patrouillenboote vor der von Russland annektierten Halbinsel Krim. Der Militärgeheimdienst GUR erklärte am Donnerstag im Online-Dienst Telegram, seine Spezialkräfte hätten mittels Marinedrohnen die “Boote des Aggressorstaats Russland an der vorübergehend besetzten Krim erfolgreich angegriffen”.

Russland habe versucht, die Drohnen in der Wuska-Bucht im Nordwesten der Krim mit Kampfflugzeugen und Hubschraubern zu zerstören. Dies habe die ukrainischen Kräfte indes nicht davon abgehalten, ihre “Kampfmission erfolgreich abzuschließen”.

Der GUR veröffentlichte Videos, auf denen zu sehen war, wie Hubschrauber aufs Meer feuerten. Zudem waren Aufnahmen einer Drohne zu sehen, die zwei vertäute Boote anvisierte. Desweiteren wurde eine große Explosion gezeigt. Vorläufigen Erkenntnissen zufolge handle es sich bei den russischen Booten um kleine Motorboote vom Typ KS-701 Tunets. Diese werden oft für Küstenpatrouillen verwendet.

Russland kommentierte die ukrainischen Angaben wie üblich nicht. Moskau hatte zuvor angegeben, in der Nacht mindestens zwei ukrainische Marinedrohnen zerstört zu haben, die “auf die Krim zusteuerten”. Zudem fing Russland laut eigenen Angaben 13 Drohnen in der südrussischen Schwarzmeerregion Krasnodar und über dem Schwarzen Meer in der Nähe der Krim ab. Es seien auch acht vom Westen gelieferte Raketen des US-Typs ATACMS über dem Asowschen Meer abgeschossen worden, zitierte die Nachrichtenagentur Tass das russische Verteidigungsministerium. Zudem seien acht ukrainische Drohnen über dem Schwarzen Meer in der Nähe der annektierten Halbinsel Krim abgefangen worden. Laut einem Vertreter der von Russland eingesetzten Behörden auf der Krim beschädigten Raketentrümmer zwei Fähren in der Nähe der Hafenstadt Kertsch am östlichen Ende der Halbinsel.

Frankreich entsendet Militärausbilder in die Ukraine

Während der italienische Außenminister Antonio Tajani einen Einsatz italienischer Waffen gegen Ziele in Russland ablehnte, will Frankreich seine Unterstützung für das angegriffene Land intensivieren. Wie mit dem Vorgang vertraute Diplomaten am Donnerstag Reuters sagten, könnte Frankreich in Kürze Militärausbilder in die Ukraine entsenden. Die Entscheidung über die personellen Hilfen könnte kommende Woche anlässlich eines Besuchs von Präsident Wolodymyr Selenskyj in Frankreich bekannt gegeben werden.

Zwei Diplomaten sagten, zunächst solle eine begrenzte Anzahl von Personal entsendet werden, um die Rahmenbedingungen des Einsatzes vorzubereiten. Danach würden mehrere hundert Ausbilder in die Ukraine verlegt. Die Schulungen sollen sich auf Minenräumung, Instandhaltung und Fachwissen für Kampfflugzeuge konzentrieren. Frankreich werde zudem eine motorisierte Brigade finanzieren, bewaffnen und ausbilden.

Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte im Februar international für Aufsehen gesorgt, als er die Entsendung von Bodentruppen zur Unterstützung der Ukraine explizit nicht ausschloss. Macron profilierte sich seitdem als Wortführer der Unterstützer der Ukraine in Westeuropa. Jüngst sprach er sich gemeinsam mit dem deutschen Kanzler Olaf Scholz auch dafür aus, dass die Ukraine westliche Waffen gegen Ziele in Russland einsetzt, von denen aus das Land beschossen wird.