Am 19. Februar befasst sich der Regionalrat damit

Landesbeirat für Chancengleichheit gegen Aufweichung der Frauenquote

Freitag, 14. Februar 2025 | 18:22 Uhr

Von: mk

Bozen – Der Landesbereit für Chancengleichheit wehrt sich gegen eine Aufweichung der Frauenquote im Regionalrat. Durch einen Änderungsantrag besteht die Gefahr, dass eine Frau im Regionalrat theoretisch ausreichen würde, um die Vertretung beider Geschlechter zu gewährleisten.

Präsidentin Ulrike Oberhammer und Vizepräsidentin Nadia Mazzardis richten sich in einem offenen Brief an Landeshauptmann Arno Kompatscher. Wörtlich heißt es darin:

Am 19. Februar wird der Regionalrat in seiner Sitzung über den vorgelegten Entwurf des Regionalgesetzes Nr. 1 beraten, der am 22.01.2025 vom Regionalrat hätte verabschiedet werden sollen und in dem es heißt: “(…) der Regionalrat muss sich aus Vertretern beider Geschlechter zusammensetzen. Die Vertretung des weniger stark vertretenen Geschlechts muss mindestens im Verhältnis zu seiner Größe im Regionalrat gewährleistet sein (…)”.

Wie Sie wissen, wird durch den Änderungsantrag Segnana/Stauder der zweite Satz gestrichen. Der Gesetzentwurf würde also lediglich den Grundsatz verankern, dass der Regionalrat aus beiden Geschlechtern bestehen muss, was zu der paradoxen Situation führen würde, dass die weibliche Präsenz im Regionalrat auf ein einziges weibliches Ratsmitglied beschränkt sein könnte.

Mittlerweile steht es außer Frage, dass ist die Tragweite des verpflichtend einzuhaltenden und nicht nur reduktiv-programmatische Grundsatzes der Chancengleichheit beim Zugang zu öffentlichen Ämtern und Positionen, wie er vom Artikel 51 der Verfassung vorgesehen ist, als Ausprägung des Grundprinzips der grundlegenden Gleichstellung  (Artikel 3) gilt und mit letzterem durch den Charakter eines Grundrechts verbunden ist.

Nach ständiger Rechtsprechung wird dem Grundsatz der Chancengleichheit eine unmittelbare Anwendbarkeit zuerkannt, da er ein Parameter für die materielle Legitimität des Verwaltungshandelns ist, in Bezug auf das er als konforme Grenze wirkt. Seine unmittelbare Anwendung geht Hand in Hand mit der Einfügung primärer oder auf anderen Ebenen erlassenen Rechtsquellen, wie dem Gesetzesdekret Nr. 198 vom 11. April 2006 (Kodex der Chancengleichheit von Männern und Frauen) und den Satzungen in den Gemeinden, Provinzen und in der Region.

Unter dem Motto “Eine Frau ist nicht genug” haben sich die Frauen verschiedener Verbände und Gruppen, die sich für die Chancengleichheit in der Provinz und der Region einsetzen, organisiert und eine Petition gestartet, die zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Schreibens über 1.900 Unterschriften von Frauen und Männern erreicht hat, die darüber verunsichert sind, dass Maßnahmen zur Förderung einer stärkeren Beteiligung von Frauen an der Politik wieder einmal durch männliche politische Verhandlungslogiken in den Hintergrund gedrängt werden. Es ist für alle offensichtlich, dass jeder zusätzliche Posten, den eine Frau innehat, ein Posten weniger für einen Mann ist.

Im Südtiroler Gleichstellungsaktionsplan von Frauen und Männern heißt es im Handlungsfeld 5 “Gleiche Menschen, gleiches Recht, gleiche Macht?”, dass der Leitsatz für die Gleichstellung in der Politik und die Beteiligung von Frauen in allen Bereichen lautet: “Frauen und Männer sind in den politischen Gremien gleichberechtigt vertreten, nehmen gleichberechtigt an Entscheidungsprozessen teil und gestalten das politische und gesellschaftliche Leben aktiv mit”.

Auch in Südtirol haben, wie Sie sich erinnern werden, am 31. Januar dieses Jahres 70 hochmotivierte Frauen einen Lehrgang für “Frauen in der Gemeindepolitik” abgeschlossen, der von Ihnen als Landesrat für Chancengleichheit nachdrücklich unterstützt wurde, gerade um die Präsenz von Frauen in der Politik zu fördern, Frauen, die wir nicht mit einer Gesetzgebung enttäuschen dürfen, die eine gefährliche Beschränkung für die gleichberechtigte Vertretung der Geschlechter in den Institutionen eröffnen würde.

Eine demokratische Gesellschaft lebt von der Beteiligung ihrer Bürgerinnen und Bürger. Eine Demokratie kann es sich auf Dauer nicht leisten, die Hälfte ihrer Bevölkerung in den politischen Gremien unterrepräsentiert zu haben. Frauen bringen bei politischen Diskussionen andere Blickwinkel und Sichtweisen ein als Männer. Gemeinsam, Frauen und Männer diskutieren Themen ausführlicher und mit einem ganzheitlichen Blick.

Im Bericht 2022 der Vereinten Nationen zur Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung heißt es: “Die Vertretung von Frauen in Entscheidungspositionen kommt entmutigend langsam voran.” Zu Jahresbeginn 2022 lag der Frauenanteil in den nationalen Parlamenten weltweit bei 26,2 Prozent und damit nur leicht höher als 2015. Geht es in diesem Tempo weiter, dauert es noch 40 Jahre, bis Frauen und Männer in den nationalen Parlamenten gleichwertig vertreten sind.

Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2024 wurden 278 Frauen von insgesamt 720 Abgeordneten gewählt, was einem Frauenanteil von 38,6 Prozent entspricht. Dies ist ein leichter Rückgang gegenüber dem Anteil von 39,8 Prozent im Jahr 2019 und stellt den ersten Rückgang des Frauenanteils seit 1979 dar.

Der Frauenanteil in der italienischen Regierung von Giorgia Meloni (seit Oktober 2022) beträgt 28 Prozent. Nur 7 von 25 Regierungsmitgliedern sind weiblich. In den Kabinetten von Mario Draghi und Giuseppe Conte lag der Frauenanteil bei 33 Prozent, im Kabinett von Matteo Renzi bei 50 Prozent.

Südtirol hat noch einen weiten Weg vor sich: Seit 10. März 1946 dominieren in der Südtiroler Landes- und Gemeindepolitik die Männer, obwohl sich Frauen seither aktiv und passiv an politischen Wahlen beteiligen können.

In der Legislaturperiode 2023-2028 sitzen im Südtiroler Landtag 10 weibliche Abgeordnete, die damit etwas mehr als ein Viertel der 35 Sitze besetzen.

Dank des Gesetzes über die doppelte Vorzugsstimme verfügt der Rat der Landtag der Autonomen Provinz Trient über 14 von 35 Sitzen, d.h. 40 Prozent der Sitze.

In den 116 Südtiroler Gemeinden gibt es 13 Bürgermeisterinnen. Nur 11 Prozent der Südtiroler Gemeinden werden also von Frauen angeführt. In den Südtiroler Gemeinderäten ist nur jedes vierte Mitglied weiblich.

Der Gleichstellungsaktionsplan enthält zahlreiche Beispiele für bewährte Verfahren zur Förderung der politischen Beteiligung von Frauen.

Die 200 Verbände, Einrichtungen und Organisationen, die an der Ausarbeitung des Plans mitgewirkt haben, haben folgende Maßnahmen zur Verbesserung der Präsenz von Frauen in der Politik genannt:

–       Einführung der geschlechtsspezifischen Stimmabgabe bei Gemeinde- und Landtagswahlen (Maßnahme 1)

–       Förderung der politischen Bildung und Ausbildung von Frauen (Maßnahme 2);

–       Förderung des Bewusstseins und der Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen (Maßnahme 3).

Folgende Akteure wurden als Verantwortliche für diese Maßnahme identifiziert: der Gemeinderat, der Südtiroler Landtag, der Kommunikationsbeirat der Provinz und das Büro für Partizipation und politische Bildung (noch nicht aktiv). Darüber hinaus sind die Autonome Region Trentino-Südtirol, Economia Alto Adige und die Wirtschaftsverbände, die Medien und Journalist*innen, die Provinzverwaltung und (Frauen-)Vereine beteiligt.

Gerade weil der Aktionsplan für die Gleichstellung der Geschlechter für den Landesbeirat für Chancengleichheit der Provinz und, wie wir wissen, auch für Sie in Ihrer Rolle als zuständigen Landesrat den Bezugspunkt für eine gerechte Politik gegenüber den Frauen in unserem Territorium darstellt, und weil die Südtiroler Landesregierung ihn mit Beschluss Nr. 666 vom 08.08.2023 zur Kenntnis genommen und die Führungskräfte beauftragt hat, seine Durchführbarkeit zu überprüfen, erwarten wir, dass die politischen Maßnahmen nicht in klarem Widerspruch zum Inhalt des Plans selbst stehen werden.

Aus diesem Grund bitten wir Sie im Namen aller Frauen und nicht nur der Autonomen Provinzen Trient und Bozen, die Änderung der DDL Nr. 1 wie folgt umzuformulieren:

In der Regionalregierung müssen beide Geschlechter in einem ausgewogenen Geschlechterverhältnis vertreten sein, wobei darüber hinaus die Dezimalstellen unter fünfzig auf die nächstniedrigere ganze Zahl abgerundet und Dezimalstellen gleich oder über fünfzig auf die nächsthöhere ganze Zahl aufgerundet werden.

Übergangs- und Schlussbestimmung:Bei der erstmaligen Anwendung wird die Regionalregierung nach den allgemeinen Landtagswahlen in beiden Provinzen im Jahre 2028 entsprechend den gegenständlichen Gesetzesbestimmungen gebildet.

Bezirk: Bozen

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