Von: mk
Bozen – Im Landtag haben heute Diskussionen in Zusammenhang mit der Landesraumordnung stattgefunden – über Bewahrung und Entwicklungsmöglichkeiten, über Konventionierungen und Ausnahmen, über Disneydörfer und Abwanderung.
Landesgesetzentwurf Nr. 38/19: Änderungen zum Landesgesetz vom 10. Juli 2018, Nr. 9, „Raum und Landschaft” (vorgelegt von der Landesregierung auf Vorschlag der Landesrätin Hochgruber Kuenzer). Sie habe zwar selbst am Gesetz mitgearbeitet, es sei ihr aber klar geworden, dass es noch der Verbesserungen und auch der Anpassungen an Einwände des Ministeriums vorzunehmen seien, erklärte LR Maria Hochgruber Kuenzer. Raumordnung befinde sich immer im Spannungsfeld zwischen Bewahrung und Entwicklung. Das Raumordnungsgesetz von Alfons Benedikter sei anfangs auf Unverständnis gestoßen, es sei in den letzten Jahrzehnten immer wieder den Bedürfnissen der Gesellschaft angepasst worden. Dementsprechend sei auch die Landschaft verbraucht worden. Das Gesetz ihres Vorgängers Theiner habe nun wieder einen Stopp gebracht. Das Ziel war, das Wohnen in den Siedlungsgrenzen zu verdichten, damit die Freiflächen draußen für alle erhalten bleiben. Südtirol sei nicht so zersiedelt wie andere Regionen, aber trotzdem sei einiges dazugekommen. Eine Herausforderung sei auch die Einführung der digitalen Bauakten mit einer einheitlichen Software für alle Gemeinden, ebenso die Musterbauordnung, die kleine wie große Gemeinden an ihre Gegebenheiten anpassen müssen. Nun brauche es eine Gewöhnungsphase, um zu sehen, wie das alles funktioniere. Einige Artikel müssten auch abgeändert werden, da sonst die entsprechenden Durchführungsverordnungen nicht anwendbar wären, etwa jene zur Konventionierung. Die Entscheidung, in Gemeinden mit viel Zweitwohnungen eine hundertprozentige Konventionierung vorzusehen, sei gut gewesen, aber es brauche eine Nachbesserung, um auf bestimmte Situationen eingehen zu können. In Altrei würden bereits zwei Zweitwohnungen das System kippen. Nach vielen Diskussionen liege nun ein brauchbarer Vorschlag vor, der strukturschwache Gemeinden von dieser Einschränkung ausnehmen. Anpassungen seien auch bei den Gärtnereien vorgesehen, damit sie außerhalb des Siedlungsgebiets ohne Durchführungsplan erweitern können. Die Gebäudeabstände würden mit der Änderung präzisiert, für die Parkplätze gebe es eine Sonderregelung. Tourismusbetriebe außerhalb der Siedlungsgebiete sollen zu Wohnungen für Einheimische umgewandelt werden können. Das Prinzip, dass außerhalb der Siedlungsgrenzen nicht gebaut wird, bleibe.
Anschließend verlas Riccardo Dello Sbarba (Grüne) seinen Minderheitenbericht, in dem er in der verlängerten Übergangszeit eine rechtliche Grauzone ausmacht, die von manchen ausgenutzt werden könne. Er kritisierte außerdem Bestimmungen ad personam und ad hoc, die Umwandlung von Erst- in Ferienwohnungen, die substanziellen “Bagatelleingriffe”, die mobile Zweckbindung und warnte vor einer Tourismusblase.
Brigitte Foppa (Grüne) kritisierte das verzögerte Inkrafttreten des Raumordnungsgesetzes, zwei Jahre nach seiner Verabschiedung. Das lade dazu ein, die Möglichkeiten des alten Gesetzes noch auszunutzen. Es seien viele Interessen im Spiel, auch bei der Festlegung der Siedlungsgrenze. Das werde sich auch auf die anstehenden Wahlen auswirken. Die Landschaft sei eines der höchsten Güter Südtirols, und Hochgruber Kuenzer schaue darauf, das sei anzuerkennen. Aber gewisse Änderungen am Raumordnungsgesetz kämen auf Druck bestimmter Lobbys. Man säge am Ast, auf dem man sitze.
Peter Faistnauer (Team K) wies auf die Kernpunkte des neuen Raumordnungsgesetzes hin, zuallererst die Siedlungsgrenze, die schwer festzulegen sei. Er schlage vor, dafür die verbauten Flächen herzunehmen, ansonsten werde es schwierig und es werde zu Konflikten kommen. Ein weiterer Schwachpunkt seien die Bagatelleingriffe. Dazu brauche es eine Kontrollprozedur. Auf seine Initiative sei es gelungen, die Vertretung der betroffenen Gemeinde in der Landeskommission vorzusehen. Faistnauer fragte, was nach dem Ende der Konventionierung nach 20 Jahren geschehe. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werde das neue Urbanistikgesetz wieder über den Haufen geworfen.
Riccardo Dello Sbarba (Grüne) wies darauf hin, dass von 100 Abänderungsanträgen 40 aus der Mehrheit stammten. Theiner habe drei Jahre für sein Gesetz gebraucht und dabei alle Interessengruppen einbezogen: gerade damit es nicht wieder dauernd Änderungsbedarf gebe. Mit vorliegendem Gesetzentwurf würden nun wieder substanzielle Änderungen vorgenommen. Das Theiner-Gesetz sei bereits zugunsten der Bauern und der Gastwirte ausgefallen, nun komme die Bauwirtschaft dran, vor allem in den 25 Ausnahmegemeinden und den Fraktionen mit mehr als 10 Prozent Zweitwohnungen. Die Einheimischen würden aus den Tourismusgemeinden abhauen, weil sie sich dort keine Wohnungen mehr leisten könnten. Man riskiere eine funktionale Aufteilung der Landschaft, da die Disneylandgemeinden für die Touristen, dort die Arbeitersiedlungen. Die gesetzliche Vermischung von Ferienwohnungen und Wohnung für Einheimischen sei ein gefährlicher Fehler. Man gefährde den öffentlichen Wohnbau, dessen Zukunft noch nicht definiert sei – das Wohnbaugesetz sei noch ausständig. Das Recht auf Wohnung sei wichtiger als der Gewinn auf die Wohnung.
Franz Locher (SVP) sah den Gesetzentwurf als Ergänzung zum neuen Raumordnungsgesetz. In Südtirol gebe es keine verlassenen Landschaften wie in vielen anderen Regionen. Daher sei es wichtig, noch Entwicklungsmöglichkeiten einzuräumen. Er hoffe, dass man einige strittigen Punkte noch besser definieren könne. Vor allem wollte man den Gemeinden mehr Spielraum geben, da jede anders sei. Auch der ländliche Raum brauche mehr Entfaltungsmöglichkeiten, ansonsten entstehe nur leerer Raum, nicht Lebensraum. Dieses Gesetz sei noch nicht das Ende, es seien auch noch die Durchführungsverordnungen zu erlassen.
Andreas Leiter Reber (Freiheitliche) stimmte LR Hochgruber Kuenzer zu, dass es vor allem um den Schutz der Landschaft gehe. Doch gehe es – wie man auch an den Abänderungsanträgen sehe – immer wieder um Einzelinteressen. Er machte Dello Sbarba ein Kompliment für seinen Bericht, der vieles vorwegnehme, was zum Gesetz zu sagen sei. Ohne Konventionierung wären die Wohnungspreise höher und leistbares Wohnen in weiter Ferne. Die Zersiedelung der letzten Jahrzehnte dürfe nicht mehr so weitergehen. In Manchen Schweizer Tourismusorten gingen die Einheimischen nicht mehr ins Dorf. Südtirol dürfe nicht den gleichen Fehler machen. Wenn man Wohnungen außerhalb der Siedlungsgrenze erlaube, führe das zu Satellitendörfern. Jeder habe Verständnis für den Nebenerwerb der Bauern, aber wenn jeder die baulichen Möglichkeiten genützt hätte, dann wäre heute jeder Hof ein Dorf. Es gehe auch nicht an, dass Nicht-Bauern landwirtschaftliche Betriebe kauften und alle Möglichkeiten eines Bauern ausschöpften. Wenn jeder das täte – und einige in diesem Saal täten das -, dann bräuchte es fünfmal Südtirol. Der Ensembleschutz sei eine Chance, und diese müsse durch dieses Gesetz auch konkret werden. Mit dem Ensembleschutz könne man bestimmte Zonen im Dorf schützen. Zusammen mit den Siedlungsgrenzen werde so das Dorf definiert.
Helmut Tauber (SVP) meinte, jedes Gesetz brauche immer wieder Nachbesserungen, wenn es richtig funktionieren solle. Er sehe nicht die Gefahr der Disneylanddörfer wie Dello Sbarba, und wer abwandere, bekomme für sein Heim auch einen hohen Preis. Mit dem Tourismus seien auch viele Infrastrukturen entstanden, die für die ganze Bevölkerung von Vorteil seien.
Magdalena Amhof (SVP) bezeichnete die Raumordnung als einen der herausforderndsten Themenbereiche. Die anstehenden Änderungen seien Anpassungen, um die Umsetzung zu ermöglichen und um Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden – viele davon seien Ergebnisse der Kurse, die man abgehalten habe. In der SVP habe man lange diskutiert und dann einen Kompromiss gefunden zu den Konventionierungen: damit würden 40 Prozent der neuen Kubatur frei. Bei den Schottergruben wolle man mehr Mitspracherecht für die Bürger. Amhof kündigte einen weiteren Änderungsantrag der SVP-Frauen vor, wonach eine Liste von Fachfrauen erstellt wird, welche Gemeinden in ihre Kommissionen entsenden könnten.
Sandro Repetto (Demokratische Partei – Bürgerlisten) kritisierte, dass der Gesetzentwurf eingangs eine besondere Beachtung für die Landeshauptstadt verspreche, die sich aber im Rest des Texts nicht wiederfinde. Das Ziel, möglichst nicht neuen Grund zu verbrauchen, teile er. Dazu sollte auch den Mietwohnungen der Vorzug gegeben werden. Die hundertprozentige Konventionierung sei für einige Gemeinden wie Stilfs oder Brenner übertrieben, das sei sicher zu ändern. Die Verzögerung des Inkrafttretens habe ihren Sinn, damit sich die Gemeinden eingewöhnen könnten, aber man sollte die Grauzone nicht grundlos vergrößern.
Josef Unterholzner (Team K) erinnerte daran, dass 93 Prozent des Landes nicht verbaubar seien. Es bleibe also wenig Spielraum, und genau deshalb müsse man aufpassen, dass man die “Perle Europas” nicht verschandle. Wenn Unternehmer einen Hof kauften und ihn vor dem Verfall retteten, dann sei nichts dagegen zu sagen. Die Dörfer schütze man auch, indem man auf die Architektur achte. Auch hier könnte die Raumordnung eine Ordnung bringen. Die bestehenden Gebäude sollte man unbürokratischer ausbauen können, für Betriebe oder Wohnungen, damit nicht weiter neues Grün verbraucht wird.
Hanspeter Staffler (Grüne) lobte den Grundgedanken der Landesrätin, aber dieser Gesetzentwurf entspreche nicht den genannten Prinzipien. Jedem liege etwas an der Heimat, aber es gebe viele Bedeutungen für Heimat, sie umfasse jedenfalls auch die Natur- und Kulturlandschaft. Die Raumordnung gehe somit alle an, dennoch sei das Gesetz an vielen Stellen für nur wenige verständlich. Die Verständlichkeit der Rechts- und Verwaltungssprache sei ein demokratisches Grundrecht, das z.B. der Deutsche Bundestag in der Geschäftsordnung verankert habe. Dieser Gesetzentwurf verwässere die demokratische Beteiligung. Wenn die Mehrheit über die Minderheit entscheide, bekämen die Lobbys die Oberhand. Staffler kritisierte die Erleichterung für die Bagatelleingriffe: Gerade diese hätten viel Landschaft zerstört.
Helmuth Renzler (SVP) dankte der Landesrätin für ihre Arbeit. Mit diesem Gesetz könnten aber nicht alle Erwartungen erfüllt werden, z.B. jene der Nachhaltigkeit. Der Druck, der letzthin ausgeübt worden sei, sei nicht von Arbeitnehmerseite gekommen, sondern von jenen, die aus Besitz Kapital schlagen wollten. Arbeitnehmer hätten nur ein Ziel: leistbares Wohnen für die arbeitende Bevölkerungen. Für dieses Ziel sei das Gesetz zu wenig. Die Konventionierung sei der richtige Schritt dazu, sie müsse aber überwacht werden. Nicht alle im Heiligen Land Tirol seien Heilige. Es könne nicht sein, dass konventionierte Wohnungen an Nichtansässige verkauft werden.
Andreas Leiter Reber (Freiheitliche) erinnerte an das Versprechen, im Herbst das neue Wohnbaugesetz vorzulegen. Es brauche nämlich das Zusammenspiel der beiden Gesetze.
Gerhard Lanz (SVP) erinnerte daran, dass das Gesetz auch anwendbar sein müsse. Daher seien von Zeit zu Zeit auch Änderungen nötig. Es sei die Einbeziehung vieler Lobbys kritisiert worden – aber jeder, der politisch tätig sei, brauche Input. Seine Fraktion habe mit vielen unterschiedlichen Interessenträgern geredet, um eine möglichst breite Vertretung zu gewährleisten. Auch die Betroffenen, die das Gesetz anwenden müssen, sollen mitreden können, vor allem die Gemeinden, denen mit diesem Gesetz Spielraum eingeräumt werde. Von Ad-hoc-Regelungen könne man nicht reden – jede Bestimmung habe ihre konkreten Auswirkungen. Die wichtigste Entscheidung sei, dass außerhalb der Siedlungsgrenzen nicht mehr gebaut werden soll. SVP-intern habe es in den letzten Wochen viele, auch heftige Diskussionen geführt, man sei aber auf einen Punkt gekommen. Dieses Gesetz werde das Land für viele Jahre nachhaltig regeln, daher sei es wichtig, dass vorab eine eingehende Diskussion geführt wird, aber auch, dass von Zeit zu Zeit nötige Änderungen vorgenommen werden. Den Zielsetzungen werde man treu bleiben.
Das beste Urbanistikgesetz sei jenes, das das Bestehende schützt und gutes Neues ermöglicht, meinte Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit). Was das Land sicher brauche, seien klare Richtlinien, damit jeder die Spielregeln kenne. Bisher sei Ausnahme um Ausnahme geschaffen worden, um Partikularinteressen zu folgen. Nicht alles, was gebaut wurde, sei sinnvoll. Heute gebe es z.B. in Bozen Betonwüsten, wo es vor 20 Jahren noch Wiesen gegeben habe – und an der Wohnungsknappheit habe sich doch nichts geändert. Wohnraum, der nicht bezahlbar sei, nütze den Bürgern auch nichts. Es brauche klare Regeln ohne Hintertürchen. Dieser Gesetzentwurf enthalte zu viele Ausnahmen.
Ein Gesetz müsse vor allem Kriterien haben, die von allen gleich verstanden werden, um nicht Interpretationsspielraum für Rechtsverfahren zu geben, meinte LR Maria Hochgruber Kuenzer. Abänderungen werde es immer brauchen, aber nicht, um mehr zu bekommen, sondern um das ursprüngliche Ziel besser zu erreichen. Vereinfachen heiße nicht alles möglich machen. Ein Inkrafttreten während des Landtagswahlkampf wäre problematisch gewesen, während in den Gemeinden im nächsten Halbjahr keine Neuausweisungen vorgenommen werden können. Beim Ensembleschutz habe die Gemeinde die Verantwortung, und diesen brauche sie für die Abgrenzung des Siedlungsgebietes. Es werde über die Entwicklung des Dorfes entschieden, umso wichtiger sei die Einbindung der Bevölkerung. Für die Bagatelleingriffe brauche es nach wie vor das Gutachten. Der geförderte Wohnbau unterliege weiter der Konventionierung. Dello Sbarba habe bezüglich gewisser touristischer Hochburgen nicht ganz unrecht, siehe Pragser Wildsee. Hier müsse man schauen, dass man die Landschaft wirksam schützen könne. Die Abwanderung aus Tourismusgemeinden wäre ein Problem, nicht zuletzt würden auch die Touristen die Begegnung mit den Einheimischen schätzen. Die Konventionierung werde vorab auferlegt, die Bindung werde damit gestärkt. Entwicklung, auch im ländlichen Raum, bedeute nicht automatisch, dass man vergrößern müsse. Es brauche nicht die Käseglocke, aber die Wertschätzung. Hochgruber Kuenzer begrüßte die Liste von Fachfrauen und die Mitsprache bei Schottergruben. Für Bozen seien im Entwurf sehr wohl eigene Bestimmungen enthalten. Die Gemeinden wären bereits verpflichtet, eine Liste der konventionierten Wohnungen zu führen, nun werde es per Gesetz festgelegt. Der Forderung nach einer klaren Regelung sei man noch nicht genug nahegekommen, man sei aber dabei, das Gesetz mit Abänderungen zu verbessern.
Damit war die Generaldebatte beendet. Die Arbeiten werden morgen wieder aufgenommen.