Von: mk
Bozen – Der Südtiroler Landtag hat sich am Mittwoch mit dem Beschlussantrag Nr. 615/16: Geburtsnachsorge in allen Bezirken garantieren (eingebracht von den Abg. Foppa, Dello Sbarba und Heiss am 1.6.2016) befasst. Der Landtag möge die Landesregierung ersuchen: 1. das bestehende Angebot den Frauen offensiver bekannt zu machen; 2. die Geburtsnachsorge durch die Hebammen bis zum 2. Monat nach der Geburt in allen Bezirken Südtirols vorzusehen und den Frauen und Familien zugänglich zu machen. 3. Rückvergütungsmodalitäten für die Inanspruchnahme von privaten Diensten der Hebammen in derselben Zeit vorzusehen und die entsprechenden Mittel im Landeshaushalt bereit zu stellen. “Im Rahmen der Anhörung im Landtag zum Thema Geburt am 14. April 2016 haben Hebammen und Psychotherapeutinnen darauf hingewiesen, dass die Geburtsnachsorge in Südtirol noch in den Kinderschuhen steckt”, bemerkte Brigitte Foppa (Grüne). “Meistens verlassen Mütter mit dem neugeborenen Kind innerhalb weniger Tage nach der Geburt das Krankenhaus und sind in dieser so sensiblen Phase auf sich allein gestellt. Gerade in diesen Tagen und Wochen wird aber der Grundstein für eine gelingende Beziehung zwischen Eltern und Kind gelegt.” In dieser Zeit, in der Frauen einer körperlichen Veränderung unterworfen seien, komme es auch in Südtirol in 15 Prozent der Fälle zu postnatalen Depressionen, die auch Auswirkungen auf die Kinder haben könnten. “ In anderen Ländern gehört Geburtsnachbetreuung daher zum Standardangebot.”
Maria Hochgruber Kuenzer (SVP) bestätigte den Nachholbedarf. Heute würden Wöchnerinnen nicht mehr eine ganze Woche betreut, was aber auch mit dem geänderten Arbeits- und Familienleben zu tun habe. In Südtirol sei bereits das Berufsbild der Familienhelferin verbreitet gewesen, das gebe es aber nicht mehr. Nach der Schließung der Geburtenstationen in Innichen und Sterzing brauche es umso mehr entsprechende Angebote.
Wöchnerinnen verweilten immer kürzere Zeiten im Krankenhaus, meinte auch Myriam Atz Tammerle (Süd-Tiroler Freiheit). Das Krankenhaus sollte hier mehr anbieten, um die Frauen auf die Herausforderungen der nächsten Zeit vorzubereiten. Es brauche eine Fachkraft, an die man sich wenden kann und die die Frauen auch daheim betreut. Auch die Hausgeburt wäre wieder mehr in Betracht zu ziehen, natürlich nach vorheriger Abschätzung des Risikos.
Hans Heiss (Grüne) bezeichnete das Wochenbett als Zäsur, nach dieser blieben die jungen Mütter meist auf sich alleine gestellt. Durch geeignete Maßnahmen eröffne sich auch die Chance für Männer, sich an diesem Prozess zu beteiligen.
Andreas Pöder (BürgerUnion) schloss sich den Ausführungen an. Derzeit sei diese Betreuung eine teure Angelegenheit, und die Beiträge dafür seien nicht hoch. Er fragte, ob man den öffentlichen Beitrag erhöhen könne.
Die Betreuungsmöglichkeiten im Lande seien unterschiedlich, erklärte LR Martha Stocker, in Bozen etwa seien sie sehr gut. So gebe es etwa zwei Psychologinnen, die sich um die Betreuung nach der Geburt kümmerten. Es gebe auch ein Netz von Freiwilligen. Diese Angebote gelte es zu vernetzen, um eine gute Versorgung zu gewährleisten, über zwei Monate hinaus. Es dazu eine Arbeitsgruppe eingesetzt worden, die im Oktober ihre Ergebnisse vorstellen solle. Insofern würden die Forderungen des Antrags bereits erfüllt. Die Hausgeburten würden unterstützt, über eine Anpassung der Tarife könne man reden.
Brigitte Foppa bedauerte die Ablehnung des Antrags, äußerte aber die Hoffnung, die Umsetzung werde so ausfallen, wie im Antrag gefordert.
Der Antrag wurde mit neun Ja, 19 Nein bei sechs Enthaltungen abgelehnt.
Beschlussantrag Nr. 622/16: Erhebung über die Geschichtskenntnisse der Südtiroler Schüler (eingebracht von den Abg. Stocker S., Blaas, Leitner, Mair, Oberhofer und Tinkhauser am 15.6.2016). “In Südtirol ist es besonders wichtig, dass unsere Schüler über die Landesgeschichte Bescheid wissen”, erklärte Sigmar Stocker (Freiheitliche). “Wichtig deshalb, weil wir eine ethnische Minderheit in einem fremden Staat sind und wir aufgrund dessen eine Autonomie haben. Wenn die Südtiroler aller drei Sprachgruppen nicht wissen, was die Autonomie ist und weshalb wir sie besitzen, hat diese in Zukunft auch keinen Wert mehr für die Bevölkerung. Wer, wenn nicht die Südtiroler selbst, sollen die Autonomie in der Zukunft vor Rom und Brüssel verteidigen? Dies kann aber nur geschehen, wenn die Südtiroler über eine solide und umfangreiche Kenntnis der eigenen Geschichte verfügen. Deshalb wäre es wichtig, in Erfahrung zu bringen, wie es um das Wissen der Südtiroler Schüler zur Landesgeschichte bzw. deren Erlernen an den Schulen steht.” Heute werde die Autonomie zu oft als Verwaltungsangelegenheit gesehen, der Aspekt des Minderheitenschutzes werde vergessen. Die Freiheitlichen seien nicht die Autonomiepartei schlechthin, weil sie den Freistaat als Ziel hätten, aber sie setzten sich auf jeden Fall für die Verteidigung der Autonomie ein.
Die Formel “in einem fremden Staat” könne er nicht mittragen, meinte Alessandro Urzì (L’Alto Adige nel cuore). Die Erhebung des Autonomiebewusstseins sollten den Schulen anvertraut werden, nicht einer politischen Instanz, das würde eher zu einem Regime passen.
Hans Heiss (Grüne) sah keine Regimeanklänge in dem Antrag. Die Geschichte der Autonomie sei hochkomplex und nicht leicht zu vermitteln. Auch er könne mit der Formulierung “in einem fremden Staat” wenig anfangen. Die Autonomiegeschichte sei Teil der Lehrpläne, aber von dem Thema werde wenig in den Köpfen bleiben. Eine Umfrage könne man sich sparen, stattdessen sollte man sich Gedanken machen, wie man diesen Inhalt besser vermitteln könne, auch außerhalb der Schule.
Er sehe in dem Antrag nichts Problematisches, erklärte Andreas Pöder (BU). Urzì habe Wurzeln in Sizilien, und dort habe man solche Erhebungen durchgeführt – und dann in den Schulen eine eigene Autonomiestunde eingeführt.
Es sei bedenklich, wenn man die Gründe für die eigene Autonomie nicht kenne, erklärte Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit). In seiner Volksschulklasse hätten einige Mitschüler in der Präsenz deutscher Touristen den Grund dafür gesehen, dass die meisten Südtiroler Deutsch sprechen. Die Italiener würden heute die Autonomie befürworten, weil sie sie vor allem als Persilschein für den Verbleib bei Italien sähen. Das Grundgespühr für die eigene Identität sei verloren gegangen, wenn Südtiroler auf ihre Sprache verzichteten. In Aosta sei dies bereits geschehen, Südtirol sei auf demselben Wege.
Pius Leitner (F) erinnerte an eine Umfrage im Jubiläumsjahr 1984, bei dem erschreckende Unkenntnis zutage getreten sei. Die Astat-Publikation zum morgigen Tag der Demokratie zeige ebenfalls ein Desinteresse für Politik. Was man nicht kenne, könne man auch nicht schätzen.
Trotz Knolls Befürchtungen würden sich viele als Italiener deutscher Muttersprache sehen, auch Mitbürger, die über die Geschichte des Landes gut bescheid wüssten, erklärte Brigitte Foppa (Grüne).
Die Autonomiekenntnisse seien tatsächlich lückenhaft, räumte LR Philipp Achammer ein. Heute gebe es aber genügend Unterrichtsmaterial zum Thema, es sei vor wenigen Jahren auch eine Erhebung durchgeführt worden. In drei Vierteln der Schulen werde Autonomiegeschichte im Rahmen des Geschichtsunterrichts gelehrt, allerdings manchmal auch im Schnelldurchlauf. Historiker hätten Zweifel zu einer Lernstandserhebung, wie sie im Antrag gefordert werde. Bei einem kompetenzorientierten Unterricht, der in Südtirol Programm und Praxis sei, sei es schwierig, Daten abzufragen bzw. aus einigen Datenkenntnissen Schlüsse zu ziehen. Man könnte eventuell in die nächste Jugendstudie entsprechende Fragen einbauen. Achammer bat schließlich um Aussetzung des Antrags, um einen gangbaren Weg zu finden. Sigmar Stocker zeigte sich mit einer Vertagung einverstanden.
Beschlussantrag Nr. 625/16: Rückzug der Alperia AG von Beteiligungen an kleinen Wasserkraftwerken (eingebracht von den Abg. Zimmerhofer, Atz Tammerle und Knoll am 20.6.2016): Die Landesregierung solle die Alperia AG beauftragen, sich von Beteiligungen an Wasserkraftwerken mit bis zu 3.000 kW mittlerer Leistung zurückzuziehen und an die jeweilige Gemeinde abzutreten, in der sich das Kraftwerk befindet, und dies zum Preis für das jeweilig eingezahlte Gesellschaftskapital. “Aus dem Staatlichen-Energiezentralismus sollte aber nicht ein Landes-Energiezentralismus entstehen”, meinte Bernhard Zimmerhofer (Süd-Tiroler Freiheit). “Die Süd-Tiroler Freiheit spricht sich stets für mehr Subsidiarität und gegen Zentralismus aus. Die Landesenergiegesellschaft Alperia AG sollte sich auf die Großkraftwerke konzentrieren und sich von Beteiligungen an kleineren Wasserkraftwerken zurückziehen.”
Anträge gegen die unpopuläre Landesgesellschaft seien immer populär, meinte Walter Blaas (F), bei genauerer Betrachtung sei der Antrag aber nicht so vorteilhaft für die Bürger. Es würde zu Strompreisunterschieden zwischen Gemeinden mit und ohne Kraftwerk kommen, man müsste neue Strukturen schaffen, Verwaltungsräte einsetzen. Zudem würde die politische Kontrolle erschwert, wenn die Gemeinden auf Landtagsanfragen nicht mehr antworten würden.
Man müsste zuerst klären, ob die Gemeinden die Kraftwerke wieder haben wollten und wie die Übergabe erfolgen sollte, meinte Andreas Pöder (BU), der ebenfalls vor einer Vielzahl von Strukturen und Verwaltungsräten warnte.
Die Energie sei auch eine Frage von Demokratie und Subsidiarität, meinte Riccardo Dello Sbarba (Grüne). Die Untersuchungskommission, die der Landtag in der vergangenen Legislatur zur SEL eingerichtet habe, habe einen Rückzug der Landesgesellschaft aus Kraftwerken unter 3.000 kW empfohlen. Die Landesregierung habe genickt, aber weitergegangen sei nichts, auch nicht bei der Reorganisation der Alperia, die 42 Gesellschaften beinhalte. Es gäbe ein geeignetes Organisationsmodell, nämlich jenes der Genossenschaften. Laut Experten könne man die Kraftwerke den Gemeinden auch kostenlos überlassen, das Land möchte sie aber um den Marktpreis abtreten.
Pius Leitner (F) ersuchte um Auskunft über den Stand der Verhandlungen über die Alperia-Anteile an die Gemeinden. Die Bürger würden sich hauptsächlich eine Senkung des Strompreises erwarten.
Die Kraftwerke seien wirtschaftlich nicht uninteressant, aber Renditen wie vor fünf, sechs Jahren seien heute Utopie, stellte LR Richard Theiner fest. Bei der Übertragung von Kraftwerken an die Gemeinden gehe es um neun Anlagen, dazu habe es mehrere Gespräche gegeben. Alperia müsste in wenigen Tagen die entsprechenden Berechnungen vorlegen, dann müssten die Gemeinden sagen, ob sie zum Kauf bereit seien. Die eventuelle Abwicklung werde noch Monate dauern, daher wolle man heute nicht noch weitere Verpflichtungen eingehen, die im vorliegenden Antrag gefordert würden. Die Landesregierung stehe weiter zum Ziel, den Strompreis für die Familien zu senken, aber auch das werde noch Zeit brauchen.
Gerade die unsichere Zukunft der Alperia wäre Grund genug, einige Kraftwerke in trockene Tücher zu bringen, erwiderte Bernhard Zimmerhofer. Der Antrag wurde mit acht Ja, 19 Nein bei fünf Enthaltungen abgelehnt.
Beschlussantrag Nr. 629/16: Nein zur Verfassungsreform Renzi/Boschi und zum Italicum-Wahlgesetz (eingebracht vom Abg. Köllensperger am 6.7.2016): 1. Der Südtiroler Landtag spricht sich gegen die Verfassungsreform und das Italicum-Wahlgesetz aus und bringt seine ernste Besorgnis über die Verfassungsreform zum Ausdruck, die antiföderalistisch, antiautonomistisch und antidemokratisch ausgerichtet ist, vor allem aufgrund der parallel laufenden Reformen des Senats und des Wahlgesetzes; 2. Der Südtiroler Landtag fordert die Südtiroler Bürger auf, bei den anstehenden Volksabstimmungen gegen die Verfassungsreform und das Italicum-Wahlgesetz zu stimmen. “Die Auswirkungen werden auch für Südtirol gravierend sein”, warnte Paul Köllensperger (5 Sterne Bewegung). “Die für unsere Autonomie vorgesehene Schutzklausel gilt nämlich nur für jene Befugnisse, die das Statut schon vorsieht. In den anderen Sachgebieten ist die Gefahr für Südtirol groß.” Mit dieser Reform könne die Regierung regionale Befugnisse übergehen, es komme zu einer Machtkonzentration ohne wirkliches Gegengewicht. Prof. Toniatti, der heute in den Autonomiekonvent gewählt worden sei, halte die Schutzklausel für Südtirol für nicht wirksam.
Die Behandlung des Antrags wird morgen fortgesetzt. Die heutige Sitzung wurde früher beendet, um den Abgeordneten die Gelegenheit zu geben, an der Beerdigung von Jugendring-Direktor Michael Peer teilzunehmen. Präsident Roberto Bizzo hob das Engagement Peers für die Jugend hervor und drückte den Angehörigen seine Anteilnahme aus.