Von: mk
Bozen – Heute hat der Landtag die Debatte zum Beschlussantrag Nr. 629/16: Nein zur Verfassungsreform Renzi/Boschi und zum Italicum-Wahlgesetz (eingebracht vom Abg. Köllensperger am 6.7.2016) wieder aufgenommen. Die Forderungen: 1. Der Südtiroler Landtag spricht sich gegen die Verfassungsreform und das Italicum-Wahlgesetz aus und bringt seine ernste Besorgnis über die Verfassungsreform zum Ausdruck, die antiföderalistisch, antiautonomistisch und antidemokratisch ausgerichtet ist, vor allem aufgrund der parallel laufenden Reformen des Senats und des Wahlgesetzes; 2. Der Südtiroler Landtag fordert die Südtiroler Bürger auf, bei den anstehenden Volksabstimmungen gegen die Verfassungsreform und das Italicum-Wahlgesetz zu stimmen. Einbringer Paul Köllensperger (5 Sterne Bewegung) hatte gestern vor der Reform gewarnt, auch die Schutzklausel für Südtirol biete keine Sicherheit.
Andreas Pöder (BürgerUnion) unterstützte den Antrag. Nur wenige seien für diese Verfassungsreform, wahrscheinlich der PD, vielleicht die Grünen. Die sog. Schutzklausel sei nicht Teil der Verfassung, nur eine Übergangsbestimmung. Die Frage sei, ob diese Klausel eine Verbesserung oder eine Verschlechterung sei. Es gehe darum, ob man diesem Staat vertrauen könne, wenn ja, dann hätte man die Klausel nicht gebraucht. Auch Prof. Toniatti habe diese jüngst in der Luft zerrissen. Die Sicherungsklausel beruhe nicht auf einem internationalen Vertrag und könne leicht gestrichen werden.
Pius Leitner (Freiheitliche) betonte seine klare Ablehnung zur Verfassungsreform und zum neuen Wahlgesetz. Als Demokrat sei er entschieden gegen ein Mehrheitswahlrecht. Die Einmischung von außen, etwa durch die USA oder Deutschland, sei nicht opportun. Auch Reinhold Messner, der bei einem Ja-Komitee dabei sei, entpuppe sich als Verfechter der Regierung. Die Reform führe zum Zentralismus und zur Aushöhlung der Autonomie. Wenn eine Minderheit in einem Fremdstaat zu einer Verfassungsreform stehe, dann werde sie zum Teil dieses Staates – sie sollte sich wenigstens heraushalten.
Die 5 Sterne Bewegung sei sonst für die direkte Demokratie, kritisierte Dieter Steger (SVP), aber hier wolle sie dem Volksentscheid vorgreifen. Es werde ein Referendum geben, die Parteien würden ihre Argumente dazu sagen, und am Ende würden die Wähler entscheiden. Die SVP interessiere vor allem, was das Beste für Südtirol sei, was mehr Autonomie und mehr Selbstentscheidung gebe. Der Senat werde mit der Reform nicht entmachtet, er werde genauso die Gesetzentwürfe behandeln. In diesem Senat werde unsere Region nicht vertreten sein, sondern direkt die beiden Länder Südtirol und Trentino. Jedenfalls sei es jetzt nicht opportun, wenn der Landtag den Bürgern sage, wie sie entscheiden sollten.
Sowohl Befürworter wie Gegner befänden sich in schlechter Gesellschaft, meinte Riccardo Dello Sbarba (Grüne). Die Frage sei, wie sich Südtirol in einer zentralistischen Verfassung behaupten könne. Es bestehe die Gefahr, dass man nach Sizilien, Friaul usw. nach ein paar Jahren auch Südtirol die Autonomie beschneide. Sven Knoll müsste eigentlich für diese Reform sein, denn dann hätte er ein Argument mehr für die Selbstbestimmung. Er selbst werde wahrscheinlich beim Referendum mit Nein stimmen, dennoch sehe er in Köllenspergers Antrag einen nicht opportunen Vorgriff auf den Volksentscheid. Es könnte, bei einer Ablehnung, auch ein falsches Signal an die Bevölkerung herauskommen.
Alessandro Urzì (L’Alto Adige nel cuore) wies darauf hin, dass die Reform aus einem Parlament komme, das mit einem Wahlgesetz gewählt wurde, welches vom Verfassungsgericht für ungültig erklärt wurde. Diese Reform sei reine Demagogie, der Senat werde ein Freizeitclub, der durch das Hin und Her von Landtagsabgeordneten und Bürgermeistern zwischen Bozen und Rom noch mehr Kosten bringen werde, und das Wahlgesetz schenke jenen die Mehrheit, die auch nur 20 Prozent der Wählerstimmen erreichen. Die Reform sei eine Gefahr für die Demokratie.
Obwohl er manche der Begründungen teilen könne, könne er Köllenspergers Antrag nicht zustimmen, erklärte Hans Heiss (Grüne), das sei ein Vorgriff auf einen Volksentscheid. Er kritisierte auch Stegers Aussagen: Man könne nicht nur auf Südtirol schauen, es könne uns nicht egal sein, wenn Italien zugrunde gehe. Die Reform werde Italien nicht substantiell verbessern, die Beschleunigung der Gesetzgebung werde durch die Abschaffung des Zweikammersystems nicht erreicht, wenn, wie heute, die Durchführungsbestimmungen zu den Gesetzen jahrelang auf sich warten ließen.
Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit) erinnerte an seinen Antrag zum Thema, der vom Landtag angenommen wurde. Darin habe man sich zwar gegen eine zentralistische Reform ausgesprochen, auf Druck der Mehrheit habe man sich aber nicht dazu durchringen können, die Südtiroler Parlamentarier zu einem dementsprechenden Einsatz aufzufordern. Eine solche Reform könne dem Landtag nicht egal sein, es gehe um eine grundlegende Frage. Knoll ortete bei der Wahrheit ein Stockholm-Syndrom, eine Identifizierung mit dem Täter. Der Zentralismus sei für Südtirol eine Gefahr, einer solchen Reform zuzustimmen, sei verantwortungslos.
Christian Tommasini (PD) kündigte sein Ja beim Referendum an. Italien habe diese Reform nötig, diese gehe einige große Probleme an, so das Zweikammersystem. Schnellere Gesetzgebung und Senkung der Politikkosten seien ein Anliegen der Bürger. Die Zahl der Parlamentarier werde gesenkt, die Beteiligung der Bürger werde durch neue Mitbestimmungsmöglichkeiten gestärkt. Die Schutzklausel sei ein wichtiges Instrument, aber man dürfe nicht nur auf Südtirol schauen. Auch Europa habe ein Interesse daran, dass die italienischen Institutionen besser funktionierten.
LH Arno Kompatscher erinnerte daran, dass diese Autonomie von der SVP erkämpft wurde, und diese habe sie immer wieder verteidigt und ausgebaut. Nun sei man in einer Phase, die sich dem Südtiroler Einfluss entziehe, denn die Südtiroler Parlamentarier seien zu wenige, um die Verfassungsreform zu verhindern. Grundsätzlich sei man gegen den Zentralismus, aber hierzulande müsse man zuerst auf Südtirol schauen. Das Parlament sei souverän, die Verfassung zu ändern, auch das Statut. Nun habe es aber, und das sei ein Novum, einem Art. 39 zugestimmt, der für Änderungen am Statut das Einvernehmen verlangt. Damit könne Südtirol auch in die Offensive gehen. Durch die Schutzklausel gelte für Südtirol die derzeitige Verfassung, bis das Statut im Einvernehmen abgeändert sei. Die derzeitige Verfassung und vor allem ihre Auslegung durch das Verfassungsgericht seien für Südtirol nicht ideal. Der viel zitierte Prof. Toniatti stehe mit seiner Meinung zur Schutzklausel ziemlich alleine da: Die Schutzklausel habe keinen Verfallstermin, das Statut sei international abgesichert. Wenn man diese Schutzbestimmung, das Einvernehmen, auch in das Statut schreibe, dann gelte sie für immer. Dies sei eine einmalige Chance, die beste Klausel, die Südtirol je hatte. Zum Antrag meinte Kompatscher, der Landtag solle nicht vorgreifen, jede Partei werde ihre Empfehlung zum Referendum abgeben.
Paul Köllensperger zog den zweiten Teil seines Antrags zurück. Der Landtag sollte dennoch sein Statement zum Referendum abgeben. Die Reform bringe Italien nicht weiter, es bräuchte stattdessen mehr Föderalismus und mehr Demokratie. Das Einvernehmensprinzip sei durchaus ein Erfolg, aber damit werde nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Und im Parlament werde eine Kammer entmachtet, in der anderen werde eine Partei das Sagen haben, und die Südtiroler Parlamentarier würden keinen Einfluss mehr haben. Die SVP gehöre in Rom zur Mehrheit, daher müsse sie mit Renzi stimmen. Das Einvernehmen werde zwischen Regierung, SVP und PD erreicht, es sei nicht gesagt, dass es auch dem Wunsch der Südtiroler entspreche. Der Antrag wurde mit 15 Ja und 17 Nein abgelehnt.
Beschlussantrag Nr. 631/16: Informationsbroschüre zum Verfassungsreferendum (eingebracht von den Abg. Foppa, Dello Sbarba und Heiss am 18.7.2016). In dieser Broschüre, die per Post und per Internet zu verteilen sei, sollten beide Meinungen gleich viel Platz haben. Dazu sollten zwei Arbeitsgruppen im Landtag gebildet werden. Dies habe sich bei der Flughafenbroschüre bewährt, meinte Brigitte Foppa (Grüne). Beim Flughafen sei der Informationsstand der Bevölkerung sehr gut gewesen, über die Verfassungsreform wüssten hingegen nur wenige Bescheid.
Paul Köllensperger (5SB) unterstützte den Antrag und hängte mit Änderungsantrag ein Anliegen an: Vom Staat seien die entsprechenden Mittel einzufordern, damit die Belangsendungen zum Referendum im Rundfunk wieder geboten werden können.
Das Flughafenreferendum sei nicht mit dem Verfassungsreferendum vergleichbar, meinte Dieter Steger (SVP). Ersteres sei ein Landesreferendum gewesen, letzteres sei Angelegenheit der staatlichen Stellen. Daher halte er auch eine eigene Broschüre nicht für zweckmäßig.
Pius Leitner (F) bezeichnete diese Haltung als unverständlich. Man könne nicht so tun, als gehe das Referendum Südtirol nichts an. Das Volk sollte wissen, worüber es abstimme. Der institutionelle Charakter des Referendums verlange nach einer objektiven Information.
Andreas Pöder (BU) fragte, ob die Ausgaben für eine solche Broschüre überhaupt rechtmäßig seien, schließlich gehe es um ein staatliches Referendum. Mit diesem Referendum würden die Südtiroler über die italienische Verfassung mitstimmen. Und mitstimmen bedeute mitmachen, man integriere sich in dieses Staatsgefüge und verliere seien Sonderstatus.
Von dieser Argumentation hielt Sven Knoll (STF) nichts. Das würde bedeuten, dass man immer andere über einen selbst abstimmen ließe. Die Information der Südtiroler Bevölkerung sei durchaus eine Südtiroler Angelegenheit, aber in erster Linie des Landtags, nicht der Parteien. Die Landtagsabgeordneten würden sich beruflich mit diesen Themen beschäftigen und wären damit auch befähigt, eine gute Information zu bieten. Er denke, die Bevölkerung würde sich auch eine Information zum Thema wünschen.
Brigitte Foppa nahm den Änderungsantrag Köllenspergers an. Sie kritisierte die Landesregierung, die eine Chance auslasse, die Bevölkerung objektiv zu informieren. Wenn man die Information anderen lasse, dann wäre das auch für die SVP nicht optimal, dann gehe es auch oft darum, sich gegenseitig eins auszuwischen, oder um die Positionen beleidigte Altmandatare. Die Region Aosta habe übrigens eine Broschüre zum Referendum herausgegeben. Präsident Roberto Bizzo teilte auf die Frage von Pöder mit, dass eine solche Ausgabe durch den Landtag rechtens wäre. Der Antrag wurde mit 13 Ja, 17 Nein und einer Enthaltung abgelehnt.