Von: mk
Bozen – Zu Beginn der Sitzung, und vor der Behandlung eines Antrags zur Impfpflicht, schlug Alessandro Urzì im Landtag eine Beratung unter den Fraktionssprechern vor, bei der auch eine Delegation der heute zahlreich auf der Zuschauertribüne erschienenen Mütter und Väter angehört werden könnte. Andreas Pöder, Einbringer des Antrags, sprach sich gegen eine Vertagung dieses aktuellen Themas aus. Auf Antrag von Dieter Steger wurde die Sitzung für eine Beratung innerhalb der SVP-Fraktion für 20 Minuten unterbrochen.
Begehrensantrag Nr. 83/17: Nein zu exzessiven Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung der Impfpflicht (eingebracht von den Abg. Pöder und Artioli am 22.5.2017). Regierung und Parlament werden ersucht, 1. Die genannten Zwangsmaßnahmen – Zulassungsverbot in Kinderhorten und Kindergärten, drastische Erhöhung der Bußgelder und Entzug der elterlichen Sorgerechte – sollen aus dem Dekret gestrichen werden und somit nicht zur Anwendung kommen. 2. Die Zahl der Pflichtimpfungen soll auf den Stand vor der Genehmigung des Dekretes zurückgeführt werden. 3. Die Aufklärungskampagne der Behörden zur Steigerung der Durchimpfungsrate soll umfassend und ausgewogen sein.
Einbringer Andreas Pöder (BürgerUnion) kündigte einen gemeinsamen Änderungsantrag mit LR Martha Stocker an, der sich gegen die Zwangsmaßnahmen ausspricht. Es gehe im Antrag nicht gegen oder für das Impfen, sondern gegen diese übertriebenen Zwangsmaßnahmen, die es in anderen europäischen Ländern nicht gebe – und dort gebe es eine hohe Durchimpfungsrate. Pöder sprach sich gegen die Aufstockung auf zwölf Impfungen aus, die neue Gegner für die Impflicht schaffe, ebenfalls gegen die Impfungsfrist vor Schulbeginn. Die Übergangslösung mit der Eigenerklärung sei perfide, weil man nicht wisse, was bei Falscherklärung geschehe. Die Impfpflicht sei nicht mit dem Rauchverbot zu vergleichen, hier werde ein medizinischer Eingriff an einem gesunden Körper verordnet. Hier gehe es um Bürgerrechte und Elternrechte.
Dieter Steger (SVP) erläuterte den Ersetzungsantrag von Pöder und Stocker: Es gehe darin um eine Streichung der Zwangsmaßnahmen (Schulverbot, drastische Erhöhung der Strafen, eventueller Entzug der Sorgerechte) und um eine Aufklärungskampagne zur Steigerung der Durchimpfungsrate. Die Proteste gegen das Dekret seien verständlich, die Strafen reichten bis zum Entzug der Elternrechte. Beim Impfen gehe es auch um eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, aber man sollte zur Erhöhung der Impfungsrate mehr auf Aufklärung denn auf Strafen setzen. Man werde an geeigneter Stelle intervenieren, aber Südtirol habe zum Thema leider keine direkte Zuständigkeit.
Sigmar Stocker sprach sich als Freiheitlicher gegen einen Impfzwang aus und freute sich über die breite Zustimmung im Saal. Impfen sei wichtig, aber es sollte freigestellt werden. Eine solche brutale Erpressung von Eltern habe er noch nie erlebt. So könne eine freiheitliche Gesellschaft nicht leben. Bei der Einwanderung gebe es einen unkontrollierten Zugang, gegenüber den eigenen Bürgern wolle man die totale Kontrolle.
Brigitte Foppa (Grüne) bedauerte, dass keine Anhörung der Eltern stattgefunden hat. Mit diesem Dekret werde die Wahlfreiheit der Eltern abgeschafft, und es sei gut, dass im Landtag weitgehend Einhelligkeit zur Frage herrsche. Foppa erinnerte daran, dass vor Jahren Minister De Lorenzo, der die vierte Impfung eingeführt hatte, wegen Bestechung eingesperrt wurde. Mit dem heutigen Impfdekret werde ebenfalls politische Macht missbraucht.
Myriam Atz Tammerle (Süd-Tiroler Freiheit) bezeichnete den Zwang als inakzeptabel, egal, wie man zur Impfung stehe. Der Staat gehe so weit, den Eltern das Erziehungsrecht und den Kindern das Schulrecht abzuerkennen, das sei Diktatur. In anderen Ländern erreiche man höhere Raten ohne Zwang. Aufklärung und Information seien richtig, Zwang nicht.
Ein Glaubenskrieg für oder wider das Impfen wäre hier nicht sinnvoll, meinte Sven Knoll (STF). Die Impfungen seien wirksam, auch wenn es einige negative Fälle gebe, aber die Eltern müssten darüber entscheiden können. Die meisten Eltern, die gegen dieses Dekret protestierten, seien nicht die klassischen Impfgegner, sie wehrten sich nur gegen den staatlichen Zwang. Die SVP reagiere spät, ihre Parlamentarier hätten früher eingreifen können. Generaldirektor Schael habe gesagt, wenn die Politik in Südtirol sich gegen das Dekret ausspreche, dann sei er hier der falsche Mann. Die Aufklärung der Bevölkerung über Vor- und Nachteile von Impfung und Nichtimpfung sei unterlassen worden.
Paul Köllensperger (5 Sterne Bewegung) hielt den Zwang für übertrieben, bezeichnete aber die Impfung als eine der großen Errungenschaften der Medizin. Man bedenke, welche Krankheiten zurückkehren könnten. Impfen sei auch eine soziale Pflicht, denn bei Ausbruch von Epidemien könnten sich vor allem die sozial Schwachen keine Therapie leisten. Nützlicher wären Informationen durch die Ärzte wie in Deutschland oder Belgien. Der Zwang sei eine Bankrotterklärung der Politik, die die Bürger nicht mehr überzeugen könne.
Das Dekret verbreite die falsche Botschaft, meinte Riccardo Dello Sbarba (Grüne), er erkläre die Eltern von vornherein als verantwortungslos. Seine Eltern seien klare Befürworter der Impfung gewesen, als sie aber bemerkten, dass sich die Ärzte selbst vor der Pockenimpfung zierten, seien sie skeptisch geworden. Damals, in den Fünfzigern, sei das Innenministerium für die Impfungen zuständig gewesen. Art. 32 der Verfassung lasse den Bürgern die Freiheit, über eine medizinische Behandlung zu entscheiden. Die Politik müsse auf den informierten Konsens setzen. Vor einem Risiko würden die Eltern sicher die richtige Entscheidung treffen.
Alessandro Urzì (L’Alto Adige nel cuore) betonte, dass es in dem Antrag nicht gegen das Impfen gehe, sondern gegen die drastischen Strafen. Man sollte weiter gehen und das Recht der Eltern auf freie Entscheidung betonen. Die SVP gehöre zur Regierungsmehrheit in Rom, sie hätte ihren Einfluss geltend machen können. Die Impfung sei eine große soziale Errungenschaft, und die Sorgen zur Durchimpfungsrate seien begründet. Italien sei mehr als andere Länder durch die Einwanderung auch von Ansteckungsgefahren bedroht.
Veronika Stirner (SVP) unterstützte den Kompromiss zwischen Pöder und LR Stocker. Es sei nicht akzeptabel, wenn die Impfpflicht das Recht auf Bildung ausheble. Sie berichtete von einem Fall aus ihrer Umgebung, bei dem ein Kind wegen einer anderen Krankheit nicht geimpft werden konnte. Für kranke Kinder, die nicht geimpft werden dürfen, könne es auch lebensgefährlich sein, wenn sie mit anderen nichtgeimpften Kindern zusammen sind, die sie womöglich mit einer Infektionskrankheit z.B. Masern, anstecken. Gerade in solchen Fällen sei Impfung also sehr wichtig.
Hans Heiss (Grüne) dankte den zahlreich anwesenden Eltern, die die Debatte verfolgten, dies habe die Debatte bereichert. Solche Präsenzen wünsche er sich auch bei anderen Debatten, diese seien die beste Impfung gegen Populismus.
LR Martha Stocker verwies auf die Rechte der Einzelnen, aber auch auf die soziale Verantwortung – der vorgelegte Änderungsantrag trage beidem Rechnung. Das Dekret sei eine überhastete Aktion der Regierung, der die SVP übrigens nicht angehöre. Zurzeit habe man nur den provisorischen Text des Dekrets, man kenne auch die Übergangsregelungen noch nicht. Man müsse für breite Information sorgen, denn es müsse klar sein, dass es eine hohe Durchimpfungsrate brauche, damit die Infektionskrankheiten der Vergangenheit sich nicht wieder verbreiten. Bei der Umsetz brauche es aber auch Spielraum, und den wolle man mit vorliegendem Begehrensantrag einfordern.
Der Antrag wolle ein Signal sein, dass der Staat gegenüber Eltern nicht so vorgehen könne und dass der Landtag hinter den Eltern stehe, erklärte Andreas Pöder. Man dürfe nicht mit dem Knüppel einfordern, was umstritten sei. Er regte an, auch die primäre Zuständigkeit des Landes für den Gesundheitsschutz einzufordern. Er erinnerte auch Schael an seinen Satz und meinte, das Risiko würde er eingehen. Der Antrag, in seiner neuen Fassung wurde einstimmig genehmigt (31 Stimmen).