Von: mk
Bozen – Der Landtag hat heute die Generaldebatte zu den drei Gesetzentwürfen zum Landeshaushalt begonnen: Landesgesetzentwurf Nr. 65/20: Landesstabilitätsgesetz für das Jahr 2021; Landesgesetzentwurf Nr. 66/20: Haushaltsvoranschlag der Autonomen Provinz Bozen 2021-2023; Landesgesetzentwurf Nr. 67/20: Bestimmungen in Zusammenhang mit dem Landesstabilitätsgesetz für das Jahr 2021 wieder aufgenommen.
Alex Ploner (Team K) ging in seiner Stellungnahme auf die Auswirkungen des Virus auf Bildung und Kultur ein. Die Musik sei still geworden. Er dankte allen, die in dieser Krise im Einsatz seien. Die Krise helfe, das Wichtige zu erkennen, führe zu Solidarität, aber auch zu Neid. Die Situation zwinge zu schwierigen Entscheidungen, aber der Mensch müsse im Mittelpunkt stehen. Er fragte, ob es sinnvoll sei, wenn man seine Angehörige nicht mehr besuchen dürfe. Durch Kontaktverbote könne die Infektionsrate reduziert werden. Politik sei heute genauer unter Beobachtung als vor der Krise.
Kompatscher habe öfters von Vertrauen geredet, aber Vertrauen sei ein zerbrechliches Gut. Wenn sich Versprechungen als heiße Luft entpuppten, helfe das lange Hin- und Hergeschiebe der Verantwortung nicht. Wenn man den Gürtel enger schnallen müsse, müsse man auf die Gerechtigkeit achten, sonst könne man die Menschen nicht mitnehmen. Viele fühlten sich alleingelassen, viele würden sparen, weil sie Angst um die Zukunft hätten. Ploner rief dazu auf, ehrlich zu den Menschen zu sein.
Heuer habe man wieder einen Haushalt, der nicht krisenfest sei. 2013 habe Kompatscher den Haushalt durchforsten wollen, um Spielraum zu schaffen, aber das sei bisher nicht geschehen. Neue Situationen erforderten neue Wege, die Politik müsse mutiger, schneller und kreativer werden. Die Schule habe sich im Frühjahr auch schnell umstellen müssen. Viele hätten Unglaubliches geschafft, seien dafür aber nicht honoriert worden. Im Frühjahr sei ein Riss durch die Gesellschaft gegangen: Manche mussten um ihr Einkommen bangen, andere konnten weiterarbeiten. Auch das Lehrpersonal gehöre zu jenen mit festem Arbeitsplatz. Neues zur Bildung könne er im Haushalt nicht erkennen, kritisierte Ploner. Eine Neuorientierung müsse auch im Bildungssystem möglich sein. 1 Mrd. für die Bildung seien beeindruckend, Südtirol liege damit aber nur im Durchschnitt. Das Südtiroler Bildungssystem würde einen Investitionsschub durchaus vertragen, angefangen bei den Gehältern. Hier habe sich die Landesregierung Vertrauen verspielt. Manche Schulen seien digital aufgerüstet worden, andere nicht.
Das Wort “Kultur” komme in der Haushaltsrede Kompatschers nicht vor. Kunst und Kultur seien systemrelevant und ein Wirtschaftszweig, sie seien nötig, um ein Gemeinschaftswesen zu schaffen. Die Kulturschaffenden hätten seit zehn Monaten keinen Job mehr. Im Haushalt seien weniger als 70 Mio. für Kultur reserviert, und das sei wenig, das von der Größe vergleichbare Genf gebe 20 Prozent seines Haushalts dafür aus. Es fehle auch eine kulturpolitische Strategie, ein Kulturkonzept. Den Brain Drain gebe es auch in der Kultur. Ploner appellierte, die Bläser zu Weihnachten auf den Kirchtürmen zuzulassen, sie würden ihre Aufgabe mit Verantwortung ausüben. Auch die Ehrenamtlichen gehörten zu den Leidtragenden der Krise. Sie litten auch unter mangelndem sozialem Kontakt, der ansonsten Hauptmotivation für das Ehrenamt sei. Sein Vorschlag, den Vereinen eine mehrjährige Finanzierung zu gewähren, um ihnen Planungssicherheit zu geben, sei abgelehnt worden. Das Bittstellertum im Ehrenamt gehöre abgeschafft. Zusammenhalt und Zusammenarbeit wünsche er sich auch im Landtag, abseits der politischen Spielchen, erklärte Ploner. Er hoffe auf einen neuen politischen Stil.
Hanspeter Staffler (Grüne) hielt Rückschau auf den Verlauf der Krise weltweit, in Italien und in Südtirol. Der erste Lockdown sei noch verkraftbar gewesen, der zweite sei auf eine verletzte Volksseele getroffen. Es sei ein Klima des Misstrauens entstanden. Der schmale Grat zwischen Gesundheitsschutz und wirtschaftlicher Sicherheit habe jeden Tag neu ausgelotet werden müssen. Unser Lebensstil sei von einer bisher nicht gekannten Mobilität gekennzeichnet, die auch die Ausbreitung des Virus fördere. Das öffentliche Gesundheitssystem komme gewaltig unter die Räder, auch wenn der Prozess schleichend sei. Die neuen Generationen würden die AHA-Regeln kennen, wenn es wieder soweit sein werde. Nach Corona sei vor Corona, denn immer wieder werde ein Virus aus der Tierwelt auf den Menschen überspringen. Man müsse erkennen, dass die Liberalisierung und Privatisierung in der Sanität ein totaler Reinfall seien. Vom Massentest habe man sich eine Senkung der Inzidenzrate erhofft. Man habe daraus gelernt, aber die Kommunikation sei nicht ehrlich gewesen. Wenn man mit den Tests 30.000 statt 3.000 Infizierte in Quarantäne hätten schicken können, dann hätte dies Auswirkungen gehabt. Um das Fiasko zu kaschieren, wurde die Bevölkerung gelobt, aber das Ziel, Weihnachten wieder zu öffnen, sei nicht erreicht worden.
In dieser Krise seien die Grundrechte zum Teil ausgehebelt worden, aber dafür könne man Verständnis aufbringen, da alle Regierungen auf Sicht navigieren mussten. Aber die Einbeziehung der Parlamente, auch des Südtiroler Landtags, sei mangelhaft gewesen. Conte habe das Parlament viel öfter mit einbezogen als der Landeshauptmann. Das dürfe sich bei der nächsten Krise nicht wiederholen. Er erwarte sich, dass der Landtag dann permanent tage, eine Einberufung binnen 48 Stunden sei bereits möglich.
Die zweite schiefe Ebene habe darin bestanden, dass die Wirtschaftsverbände einen direkten Draht zum Palais Widmann hatten, die Sozialverbände weniger, die Umweltverbände nicht.
Die Erderwärmung schreite munter voran, die Biodiversität schwinde, der Wohlfahrtsstaat komme immer mehr unter Druck, und es fehle eine aktive Arbeitsmarktpolitik. Zu letzterer sehe er im Haushalt keinen Ansatz, während die Krise hier einige Verwerfungen erzeugen werde. Dafür seien Kurse zu wenig, es brauche Konzepte. Der Haushalt lasse auch wenig Maßnahmen gegen die Erderwärmung erahnen, die Mittel für die Umwelt seien halbiert worden. Bei der Sanierung der Gebäude werde uns wenigstens der Staat mit dem Superbonus entgegenkommen. Positiv sah Staffler den Willen, in Zukunft mehr mit Holz zu bauen. Mit der Verkehrspolitik habe er Schwierigkeiten. Erstes Gebot müsste die Vermeidung seien, aber die Ausgaben für Straßen und Tunnels seien um ein Vielfaches höher veranschlagt als jene für den Umweltschutz. Auch für die Abgasreduktion in der Landwirtschaft seien keine Mittel vorgesehen. Biodiversität werde in Kompatschers Haushaltsrede angesprochen, aber sie werde von der Landesregierung nicht ernstgenommen. 7 Mio. Euro, die für Natur- und Landschaftsschutz vorgesehen seien, seien ein Tausendstel des Haushalts. Auf der anderen Seite würden neue Lifte in Naturgebieten gebaut, und die Landwirtschaft könne weiter mit Pestiziden intensiv betrieben werden und artenreiche Wiesen mit Gülle zerstören. Tirol gebe 22 Mio. für umweltgerechte Landwirtschaft aus, den Betrag suche man im Südtiroler Haushalt vergebens. Das reichste Land weitum sei nicht imstande, etwas für den Artenschutz zu unternehmen.
Die Bildungspolitik in der Krise war ein weiterer kritischer Punkt, den Staffler ansprach. Die Lehrpersonen würden seit zehn Jahren auf ihre Zusatzverträge warten. Für die Jugend brauche es eine Bildungsvision, stattdessen sei Sparen die Devise, während man 30 Mio. für die Tourismuswerbung in der Krise ausgebe. Wenn man der Schule Mittel entziehe, sei sie als Arbeitsplatz nicht attraktiv. 990 Mio. Euro für das Bildungswesen seien viel Geld, aber im internationalen Vergleich liege man im hinteren Mittelfeld, hinter Deutschland oder der Schweiz.
Von den Wirtschaftsvertretern höre man im Landtag immer dieselbe Leier: die Investitionsausgaben steigern, die laufenden Ausgaben verringern. Die öffentlichen Haushalte seien vor allem dazu da, das Gemeinwohl zu finanzieren. Die öffentliche Verwaltung habe auch sehr viele Aufgaben und biete viele Dienste an. Der wichtigste Dienst sei das öffentliche Gesundheitswesen, das mit 2.800 Euro pro Kopf viel günstiger sei als jenes in Deutschland, Österreich oder der Schweiz. Gesundheit, Bildung, öffentliche Verwaltung – diese Bereiche seien bei der Dotierung zuerst zu berücksichtigen. Es würden immer noch 1,1 Mrd. Euro in die Investitionen fließen, 17 Prozent des Haushalts. Man gebe mehr für Investitionen als für Bildung aus. Gemessen am BIP gebe das Land mehr für Investitionen aus als Deutschland oder Österreich, letztere würden dagegen mehr für Bildung ausgeben. Die Krise habe viele zum Nachdenken gebracht, viele würden nun sagen, weniger sei mehr. Der New Green Deal sei in dieser Hinsicht ein mutiger Schritt, auch wenn er von den Lobbys, auch mit Beteiligung der SVP, untergraben wurde. Staffler plädierte schließlich für mehr Verantwortung für Biodiversität, aktive Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik. Er sehe eine sehr bemühte Landesregierung in der Krise, aber auch eine abgekämpfte und oft ratlose. Er appellierte an die Landesregierung, zur Redlichkeit zurückzukehren.
Die Rede von Josef Unterholzner
Josef Unterholzner (Enzian) korrigierte die Wirtschaftsprognosen der Landesregierung nach unten. Er habe bereits im März eine Rezession von weit über 10 Prozent vorausgesagt. Die Wirtschaft sei von der Krise arg gebeutelt, und dieser Haushalt wolle sie mit nur 27 Mio. unterstützen. Staffler sehe selbst darin zu viel. 2018 seien es noch 80 Mio. gewesen. 27 Mio., während die Wirtschaft auch noch durch Einschränkungen drangsaliert werde. Es brauche eine Reform beim Personal, für dieses würden 1,2 Mrd. ausgegeben, 67 Mio. davon für die Generaldirektion. Auch die Schule bekomme viel mehr als die Wirtschaft.
Das Coronathema habe uns seit einem Jahr im Griff. Er habe die Landesregierung bei den Masken unterstützt, weil er zur Zusammenarbeit bereit sei. Damals sei ein privater Unternehmer eingesprungen, und alle seien froh gewesen, dass es überhaupt etwas gebe. Es sollte noch Handschlagqualität geben. Laut Dekra-Gutachten dichte die beanstandete Maske zu gut und schütze nicht gegen Viren, zwei Drittel seien zu verschrotten. Laut allen Gutachten schützten die verschiedenen Masken nicht vor Viren, und man atme CO2 ein – ein Anlass, die Maßnahmen zu überdenken. Auch bei neuen Autos dürfe man bestimmte Testphasen nicht auslassen, und jetzt kämen Impfstoffe nach verkürzten Verfahren zum Einsatz. Es sei auch die Frage berechtigt, ob die getroffenen Maßnahmen verhältnismäßig und wirksam seien. Jeder der 600 Coronatoten sei zu viel, aber es seien auch 4.000 andere in Südtirol gestorben. Man sollte die Zahlen mit jenen in den Jahren davor vergleichen. Die Biostatistiker würden auch nicht berücksichtigen, wie viele unter den Maßnahmen leiden würden, wie viele Arbeitsplätze verloren gingen. Auch die Opfer der häuslichen Gewalt, die Unternehmer, die sich das Leben genommen hätten – auch das seien Tote. Im Sommer habe es geheißen, es werde nie mehr so einen Lockdown wie im Frühjahr geben. Jetzt habe man wieder einen. Diese Maßnahmen und ihre Folgen müssten mehr durchdacht werden. Es gebe sehr viel Verbesserungspotenzial. Der Landeshauptmann fordere Zusammenhalt und Zusammenarbeit. Die Basis dafür wäre, wenn sich die 35 Mitglieder des Landtags gegenseitig respektieren würden. Die Basis müssten immer die Fakten sein. In diesem Sinne wolle er sich weiter einsetzen.
Die Sitzung wurde für eine Beratung unter den Fraktionsvorsitzenden unterbrochen und wird am Nachmittag wieder aufgenommen.