Von: mk
Bozen – Am 4. Dezember werden auch die Südtiroler über die Verfassungsreform abstimmen. Mit einem Ja entscheidet der Wähler, dass die Verfassungsreform in Kraft treten soll. Bei einer Mehrheit von Nein-Stimmen hingegen wird keine Änderung an der bestehenden Verfassung vorgenommen.
Das Referendum findet laut Verfassung deshalb statt, weil bei der zweiten Lesung in den Kammern des Parlaments die Zweidrittel Mehrheit nicht erreicht wurde. Ein Quorum ist beim Referendum nicht verlangt. Das bedeutet, dass die Mehrheit der gültigen Stimmen über den Wahlausgang entscheiden wird, unabhängig von der Wahlbeteiligung. Nun erfolgen die letzten Wahlaufrufe.
Die Parlamentarier Karl Zeller und Daniel Alfreider, im Namen der SVP – Parlamentarier Hans Berger, Manfred Schullian, Renate Gebhard und Albrecht Plangger, rufen alle Südtiroler auf, am Sonntag an der Wahl teilzunehmen, die auch für die Entwicklung Südtirols eine bedeutende Rolle spielt.
„Südtirol hat sich immer durch den großen Zusammenhalt ausgezeichnet. Auf diese Weise haben wir die Autonomie Südtirols erreicht, gestärkt und ausgebaut. Auch heute müssen wir zusammenhalten, um auch für die Zukunft diesen Weg zu gehen, der unserem Land Wohlstand und eine weitreichende Autonomie garantiert hat”, sagt der SVP-Fraktionssprecher in der Abgeordnetenkammer Daniel Alfreider. Senator Karl Zeller, Fraktionssprecher der Autonomiegruppe im Senat, weist darauf hin, dass ein Ja beim Verfassungsreferendum einen Fortschritt bedeute. “Für Südtirol bedeutet ein Ja die Möglichkeit unsere Autonomie abzusichern und weiter zu entwickeln”.
„Nicht nur die Zahl der Parlamentarier wird um 215 Senatoren reduziert, sondern auch das veraltete und komplizierte perfekte Zweikammersystem wird überwunden“, so Karl Zeller und Daniel Alfreider. „Vor allem aber ist es uns gelungen, während der zweijährigen Arbeit an der Reform eine Schutzklausel für unsere Autonomie einzubauen. Zum einen bewirkt diese Schutzklausel, dass die zentralistischen Teile der Reform auf Südtirol nicht angewendet werden. Zudem verankert die Schutzklausel erstmals das Prinzip des Einvernehmens. Wird unser Autonomiestatut in Zukunft abgeändert, so wird das nicht mehr vom Parlament im Alleingang gemacht werden, so wie es die heutige Verfassung zulässt, sondern die Änderungen werden aufgrund des Einvernehmens zwischen Land und Staat beschlossen. Zum ersten Mal wird Südtirol mit dem Staat auf Augenhöhe über das Autonomiestatut die Entscheidungen treffen können. Eine Errungenschaft, die schon seit Jahrzehnten verlangt wird und die wir endlich mit einem Ja am Sonntag endlich verwirklichen können. Diese Chance dürfen wir uns nicht entgehen lassen. Aufrecht bleibt ja zudem die Schutzfunktion Österreichs, so dass wir doppelt abgesichert sind“, so Alfreider und Zeller abschließend.
Die deutschen Oppositionsparteien in Südtirol bewerten die Verfassungsreform wesentlich kritischer. Freiheitliche, die Süd-Tiroler Freiheit, die Fünf-Sterne-Bewegung und die BürgerUnion bekundeten auf einer gemeinsamen Pressekonferenz ihre Spepsis und warben für ein Nein bei dem Referendum.
Das “Spiel der Gleichgewichte”
Auch die Grünen zeigen sich wenig begeistert. Inhaltlich gebe es gar keinen Zweifel, wie sie abstimmen werde, erklärt die Landtagsabgeordnete Brigitte Foppa. „Dass es sich um einen der auch schon nur rein handwerklich schlechtesten Reformversuche aller Zeiten handelt, sagen sogar die Befürworter. Dass die Reform an den eigentlichen Problemen Italiens vorbeizielt, sozusagen eine falsche Medizin für eine falsche Krankheit anbietet, lässt sich auch durch noch so gut gestylte Werbekampagnen nicht verdecken. Dass sie an ein schändliches Wahlgesetz gekoppelt ist, verursacht allen Mitte-Links-Wähler gewaltiges Bauchweh“, betont Foppa.
Wer laut Foppa der Reform zustimme, tue es in den allermeisten Fällen nicht um der Sache selbst willen, sondern aus vorwiegend politischen Überlegungen. „Auch wer sich mit Renzis Politik nicht identifizieren kann, leidet unter den möglichen Alternativen zu ihm: populistische Schreier, ausländerfeindliche Hetzer, rechte Nullnummern, linke Streithähne – es sieht auf dem politischen Parkett Italiens nicht gut aus. Renzi hat seine miserable Reform daher mit effizientem Marketing retuschiert und das Referendum, nicht ohne Größenwahnsinn und spekulativem Narzissmus, zu einer italienweiten Vertrauensabstimmung über seine eigene Person gemacht“, konstatiert Foppa.
„Mit dieser Masche bringt er uns aber in ein Dilemma. Einmal, weil jene von uns, die inhaltlich diese Reform ablehnen, damit jenen in die Hände spielen, die womöglich nichts Besseres zu bieten haben, sondern noch weniger Sicherheit und Korrektheit aufweisen als der abgewrackte, aber ideell immer noch halbwegs progressiv einzuordnende PD. Zum zweiten, weil die inhaltliche Abwägung der Reform völlige Nebensache geworden ist. Das ist umso bedauerlicher, als es sich bei Referenden ja immer um Sachentscheidungen handeln sollte. Diese Zwangspolitisierung, gerade wenn es sich um das wichtigste Dokument unserer Demokratie handelt, ist gravierend. Eine Zumutung, die sicher noch ihre langen Schatten auf die nächsten Wahltermine werfen wird“, bedauert Foppa.
Demokratie sei ein komplexes Spiel der Gleichgewichte zwischen den Gewalten. „Je stärker die Macht ausgeprägt ist, desto ausgefeilter müssen auch die Mechanismen sein, die diese Macht im Zaum halten. Die Reform Renzi-Boschi, gepaart mit dem Wahlgesetz Italicum, birgt hier viele Gefahren. Sie versucht, die endemische Schwäche der italienischen politischen Vertretung mit einem Überhang an künstlich konstruierter Macht auszugleichen“, so Foppa.
Der Senat werde entmachtet und an Bürgermeister und Regionalratsabgeordnete delegiert, die am Feierabend und oft in kürzester Zeit etwa die Haushaltsgesetze des Staates durchstudieren sollten. „Die Kammer, deren Mehrheit durch den übergroßen Mehrheitsbonus gedopt ist, wählt die Richter des Verfassungsgerichtshofes, und damit auch eine jener Instanzen, die Kontrolle bieten müsste. Im Zeitalter der Populisten ist das eine gefährliche Verschiebung von Gleichgewichten“, meint Foppa. Außerdem würden ihrer Ansicht nach die „mühsam gemachten Schritte in Richtung Föderalisierung“ des Staates – wie etwa durch die Reform von 2001 – nun mit Verweis auf die Ineffizienz der Lokalverwaltungen wieder rückgängig macht. Die Reform entmachte die Regionen im Sinne einer besseren Rationalität des Staates, meint Foppa. Gleichzeitig bedauern die Grünen, dass es in Südtirol im Rahmen der Debatte rund ums Referendum verabsäumt worden sei, darüber nachzudenken, wie die Demokratie im Lande zu einer partizipativen Autonomie umgebaut werden könne.