Von der Leyen könnte am 18. Juli gewählt werden

Mehrere Hürden bis zur nächsten EU-Kommission

Freitag, 28. Juni 2024 | 16:23 Uhr

Von: apa

Nachdem es beim EU-Gipfel am Donnerstag eine Einigung für die Besetzung der EU-Topjobs gab, ist nun das EU-Parlament wieder am Zug. Dieses muss entscheiden, ob es dem Vorschlag der EU-Regierungsspitzen, Ursula von der Leyen (EVP) eine zweite Amtszeit als EU-Kommissionspräsidentin zu geben, zustimmt. Auch die liberale estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas braucht den Segen des EU-Parlaments, um neue EU-Außenbeauftragte werden zu können.

Der sozialdemokratische Ex-Premier Portugals, Antonio Costa, der als neuer EU-Ratspräsident bestimmt wurde, kann sich hingegen zurücklehnen. Nachdem die EU-Staats- und Regierungschefs ihren Vorsitzenden selbst auswählen, muss er nicht vom Parlament bestätigt werden.

Wie die Präsidentin des EU-Parlaments, Roberta Metsola, am Donnerstag beim Gipfel erklärte, sollen die beiden Kandidatinnen von der Leyen und Kallas am kommenden Dienstag bereits mit den Chefinnen und Chefs der politischen Fraktionen im Straßburger Parlament zusammentreffen – auch wenn die definitive Zusammensetzung der Fraktionen im EU-Parlament erst am Donnerstag, 4. Juli, feststehen soll. Zu einem Votum zu von der Leyen könnte es dann bereits am 18. Juli kommen, so Metsola.

Zwei Tage zuvor – am 16. Juli – kommt das am 9. Juni neugewählte Europaparlament zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Dabei wird zunächst über die Nachfolge von Metsola selbst entschieden werden. Es gilt als wahrscheinlich, dass die Maltesin Metsola (EVP) eine weitere Amtszeit erhalten wird. Auch die Vize-Präsidenten der europäischen Volksvertretung werden im Zuge der Plenartagung festgelegt.

Viele Beobachter merkten vor dem EU-Gipfel an, dass das EU-Parlament wohl die schwierigere Hürde für von der Leyen wird, auf dem Weg zu einer zweiten Amtszeit. Wird sie vom Parlament abgelehnt, wären wieder die EU-Staats- und Regierungschefs am Zug, um eine neue Kandidatin oder einen neuen Kandidaten zu nominieren.

Als wahrscheinlicher gilt aber, dass von der Leyen dank einer Mehrheit von Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen im Amt bestätigt wird. In diesem Fall hätte sie über den Sommer Zeit, ihre Kommission zusammenzustellen. Dafür ist sie aber auf die EU-Mitgliedstaaten angewiesen, die das Recht haben jeweils einen Vorschlag für eine Kommissarin oder einen Kommissar zu machen. Von der Leyens Aufgabe wird es sein, hier sowohl die Wünsche der Länder zu berücksichtigen, als auch das Gesamtbild der Kommission im Auge zu behalten – so dürfte sie unter anderem darauf achten, dass es eine möglichst große Parität zwischen den Geschlechtern gibt.

Einige Länder haben bereits angekündigt, wen sie gerne in der künftigen Kommission sitzen hätten: So will Frankreich wieder Thierry Breton, den derzeitigen Industriekommissar, nach Brüssel entsenden. Lettland soll in der neuen EU-Kommission erneut durch den früheren Ministerpräsidenten des Landes, Valdis Dombrovskis, vertreten werden. In Österreich gilt Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) als aussichtsreicher Kandidat, nachdem er von der Leyen bereits im Juni in Wien getroffen hatte. Zuvor war Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) als mögliche Kandidatin für den Kommissarsposten gehandelt worden.

Das innerstaatliche Verfahren in Österreich sieht vor, dass zunächst der Bundeskanzler das Präsidium des Nationalrats um Konsultationen ersucht. Dann erfolgt ein Beschluss des Ministerrates und schließlich eine “förmliche Einvernehmensherstellung” im EU-Hauptausschuss, dazu braucht der Kandidat oder die Kandidatin eine Mehrheit. Erst dann wird die Nominierung des designierten Kommissionsmitglieds förmlich an das EU-Ratssekretariat mitgeteilt. 2019 dauerte das ganze innerstaatliche Verfahren zur neuerlichen Nominierung von Johannes Hahn (ÖVP) als EU-Kommissar unter der Regierung der damaligen Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein zehn Tage. Wichtige Entscheidungen, etwa wer in der EU-Kommission welche Posten bekommt, müssen zunächst informell mit der künftigen EU-Kommissionsspitze abgeklärt werden.

Interessant wird auch, wen Luxemburg nominieren wird. Der konservative Premierminister des Großherzogtums, Luc Frieden, dürfte hier einen Kandidaten seiner eigenen Partei bevorzugen. Allerdings dürften Europas Sozialdemokraten darauf pochen, dass der aktuelle Sozialkommissar und EU-weite Spitzenkandidat der Sozialdemokraten, Nicolas Schmit auch künftig in der Kommission vertreten ist. Der Luxemburger Schmit müsste dafür aber von seinem Land nominiert werden – obwohl seine Partei dort aktuell in der Opposition ist. Laut luxemburgischen Medienberichten sei der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (neben dem Spanier Pedro Sanchez, ein führender Verhandler der Sozialdemokraten im EU-Rat) beim gestrigen Gipfel mit einem entsprechenden Wunsch an Frieden herangetreten. Zudem könnten die Sozialdemokraten im EU-Parlament Druck auf von der Leyen ausüben, damit diese sich bei ihrem Parteikollegen Frieden für Schmit starkmacht.

Hat von der Leyen einmal ein Team zusammengestellt, so werden die einzelnen Kommissare im Herbst vom EU-Parlament angehört. Zuvor prüft der Rechtsausschuss des Parlaments die Erklärung der finanziellen Interessen und allfällige Interessenskonflikte der Kommissarskandidaten. Die zuständigen Fachausschüsse stimmen dann über die einzelnen Bewerber ab, obwohl das Europaparlament nur die ganze EU-Kommission billigen oder ablehnen kann. In der Vergangenheit war es durchaus üblich, dass einzelne Kommissarsanwärter von den Abgeordneten abgelehnt wurden und die betroffenen Länder eine neue Kandidatin oder einen neuen Kandidaten nachnominieren mussten.

Die Abstimmung über die gesamte EU-Kommission im Europaparlament könnte planmäßig im September stattfinden. Dann wäre der Weg frei für einen planmäßigen Amtsantritt der zweiten EU-Kommission unter von der Leyen am 1. November. Die Kommission, der auch die EU-Außenbeauftragte angehört, wird für fünf Jahre gewählt, der EU-Ratspräsident nur für zweieinhalb Jahre. Sollte sich das Verfahren verzögern ist aus heutiger Sicht der 1. Dezember das geplante Ersatzdatum für den Amtsantritt. Erteilt das EU-Parlament seine Zustimmung, ist der letzte formale Schritt die Ernennung des Kommissionskollegiums durch den EU-Rat mit qualifizierter Mehrheit.

(Von Stephan Polet und Thomas Schmidt/APA)