Von: APA/AFP/dpa
Wenige Stunden nach dem iranischen Angriff auf Israel und vor einer drohenden Reaktion des israelischen Militärs haben die Außenminister Russlands und des Irans vor “neuen gefährlichen Provokationen” gewarnt. Diese könnten nach Meinung des russischen Außenministers Sergej Lawrow und seines iranischen Kollegen Hossein Amir-Abdollahian zu verstärkten Spannungen in Nahost führen. Aus Washington hieß es, es nicht auf eine Eskalation der Situation im Nahen Osten anzulegen.
“Wie festgestellt wurde, können eine weitere Eskalation der Situation in der Region und neue gefährliche provokative Handlungen zu einer Zunahme der Spannungen im Nahen Osten führen”, berichtete das russische Außenamt am Sonntag über den Inhalt des Telefonats der beiden Minister. Nach Meinung der Minister sollte sich vielmehr der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit dem Fall befassen. “Die Verhinderung solcher Szenarien und die Beseitigung ihrer Ursachen sollte Gegenstand der vorrangigen Aufmerksamkeit des UNO-Sicherheitsrates sein”, hieß es.
Laut eigenen Angaben informierte Teheran die USA im Vorhinein über seinen Angriff auf Israel. “Wir haben dem Weißen Haus in einer Botschaft mitgeteilt, dass unsere Einsätze begrenzt und minimal sein werden und nur auf die Bestrafung des israelischen Regimes abzielen”, sagte Amir-Abdollahian. Die Führung in Teheran hatte die Drohnen- und Raketenangriffe als Vergeltung für einen Angriff auf ein iranisches Konsulatsgebäude in Damaskus bezeichnet, bei dem am 1. April unter anderem zwei Generäle der iranischen Revolutionsgarden getötet worden waren.
“Wir wollen nicht, dass die Situation eskaliert. Wir sind nicht auf einen größeren Krieg mit dem Iran aus”, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der US-Regierung, John Kirby, am Sonntag. Das habe US-Präsident Joe Biden bereits deutlich gemacht. Die USA würden Israel weiter dabei helfen, sich zu verteidigen. “Ob und wie die Israelis nun reagieren werden, wird an ihnen liegen”, erklärte Kirby.
Laut Angaben eines hochrangigen Regierungsvertreters würden sich die Vereinigten Staaten nicht an einem möglichen Vergeltungsschlag Israels gegen den Iran beteiligen. “Wir würden uns selbst nicht an einer solchen Aktion teilnehmen sehen”, sagte in Washington ein Regierungsvertreter, der anonym bleiben wollte. Präsident Joe Biden habe Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu in einem Telefonat aufgefordert, bei den Überlegungen über eine Reaktion auf den iranischen Angriff “vorsichtig und strategisch” zu agieren.
“Die Israelis haben uns klar zu verstehen gegeben, dass sie nicht auf eine erhebliche Eskalation mit dem Iran aus sind”, sagte der US-Regierungsvertreter weiter. Biden habe seinerseits gegenüber Netanyahu “in der vergangenen Nacht sehr klar gemacht, dass wir sehr vorsichtig und strategisch über die Risiken einer Eskalation nachdenken müssen”.
Die EU zeigte sich besorgt. “In dieser äußerst angespannten regionalen Situation kann eine erneute Eskalation in niemandes Interesse sein”, hieß es in einer vom EU-Außenbeauftragten Josep Borrell im Namen der 27 Mitgliedstaaten am Sonntag verbreiteten Erklärung. “Wir rufen alle Parteien auf, größte Zurückhaltung zu üben.” Borrell berief zudem eine Dringlichkeitssitzung der EU-Außenminister für Dienstag ein. “Die EU verurteilt mit größter Entschiedenheit die iranischen Drohnen- und Raketenangriffe gegen Israel”, hieß es in der Erklärung weiter. “Es handelt sich um eine beispiellose Eskalation und eine Gefahr für die Sicherheit in der Region.” Zugleich bekannte sich die EU laut der Erklärung zu ihrer “Verpflichtung für die Sicherheit Israels”.
Ziel der Videokonferenz der Außenminister am Dienstag sei es, “zur Deeskalation und zur Sicherheit in der Region beizutragen”. Borrell gab auf X bekannt, dass er mit dem iranischen Außenminister telefoniert habe. Dabei habe er “in schärfster Form” die Verurteilung des iranischen Angriffs durch die EU übermittelt.
Der israelische Generalstabschef Herzi Halevi dankte am Sonntag dem Kommandanten des US-Zentralkommandos (CENTCOM) für die Unterstützung bei der Abwehr des iranischen Drohnen- und Raketenangriffs. Die enge Zusammenarbeit des Militärs beider Staaten habe zu einer starken Verteidigungskoalition geführt, die sich in der vergangenen Nacht bewährt habe, sagte ein Armeesprecher am Sonntag. Halevi habe mit Mitgliedern des US-Generalstabs außerdem über die Einschätzung der Lage nach dem Angriff Irans gesprochen, hieß es. Ein israelischer Armeesprecher berichtete zudem am Abend, dass die Armee etwa zwei Reservebrigaden für operative Maßnahmen an die Front in Gaza verlegen werde.
Der israelische Präsident Yitzhak Herzog bezeichnete in einem Interview des britischen Fernsehsenders Sky News den Angriff Irans auf Israel als “wirklichen Krieg”. Nach Angaben der israelischen Regierungspressestelle sagte Herzog am Sonntag in dem Interview: “Es ist an der Zeit, dass die Welt diesem Reich des Bösen in Teheran gegenübertritt und dem iranischen Regime klarmacht, dass es damit nicht durchkommt.”
Er wies auch auf die Verbündeten des Irans hin, etwa die Houthi-Miliz im Jemen, die durch Angriffe auf Schiffe im Roten Meer weltweit zu höheren Lebenshaltungskosten beitrage und erwähnte iranische Drohnen, die im Ukraine-Krieg von russischer Seite zum Einsatz kämen. “Wir sind hier, um Europa vor diesem Reich des Bösen zu schützen, und es ist an der Zeit, dass das klar wird”, betonte Herzog.
Die pro-iranische Hisbollah-Miliz bezeichnete die Attacke als “tapfere und weise Entscheidung”. In einer am Sonntag veröffentlichten Stellungnahme beglückwünschte die Schiitenmiliz den Iran zu dem Angriff mit Drohnen und Raketen. Die Islamische Republik habe trotz Drohungen, Druck und Einschüchterungsmaßnahmen von ihrem natürlichen Recht Gebrauch gemacht, hieß es darin weiter.
Syriens Regierung von Präsident Bashar al-Assad sprach von einem gerechtfertigten Angriff. Teheran habe ein “legitimes Recht” auf solch eine Attacke nach dem Angriff gegen seine Botschaft in Damaskus am 1. April, meinte Außenminister Faisal al-Miqdad laut einem Bericht der syrischen Staatsagentur SANA. In einem Telefonat mit seinem iranischen Amtskollegen Amir-Abdollahian sprach er demnach von einem “legitimen Recht auf Selbstverteidigung” Teherans. In einer Erklärung des syrischen Außenministeriums hieß es außerdem, dass der Angriff auch dem Recht auf Selbstverteidigung gemäß Artikel 51 der UNO-Charta entspreche.