Auch Rettungswägen werden von der israelischen Armee beschossen

Nach Luftschlägen über 60 Geiseln laut Hamas vermisst

Samstag, 04. November 2023 | 21:06 Uhr

Von: APA/dpa/Reuters

Nach Angaben der Hamas werden mehr als 60 der von ihr entführten Geiseln infolge israelischer Luftangriffe auf den Gazastreifen vermisst. Allein 23 israelische Geiseln seien unter Trümmern verschüttet, teilen die Al-Kassam-Brigaden mit, die militärische Organisation der Hamas. Die Zahl der Geiseln in der Gewalt der Hamas war zuletzt auf rund 240 beziffert worden. Nach einem israelischen Angriff auf einen Krankenwagen wurden Ausreisen aus dem Gazastreifen vorerst gestoppt.

Betroffen sind verletzte Palästinenser ebenso wie Ausländer und Palästinenser mit doppelter Staatsbürgerschaft. Grund sei die Weigerung Israels, verletzte Palästinenser in ägyptische Krankenhäuser bringen zu lassen, wie ein Vertreter der Grenzübergangsverwaltung am Samstag der Nachrichtenagentur AFP sagte.

“Kein ausländischer Passinhaber darf den Gazastreifen verlassen, bevor die Verletzten, die aus den Krankenhäusern im nördlichen Gazastreifen evakuiert werden müssen, zum Rafah-Terminal transportiert werden können”, sagte der Beamte, der nicht namentlich genannt werden wollte. Nach US-Angaben hat die Hamas versucht, über den zeitweise geöffneten Grenzübergang Rafah eigene Kämpfer aus dem Gazastreifen auszuschleusen.

Nach israelischen Angaben sind bei dem Angriff auf den Krankenwagen mehrere Terroristen getötet worden. Das Hamas-Gesundheitsministerium gab dagegen an, es seien Verwundete zum Grenzübergang transportiert worden, damit diese in Ägypten behandelt werden können. Der Angriff geschah nach palästinensischen Angaben vor dem Eingang des Shifa-Krankenhauses in der Stadt Gaza. 13 Menschen seien dabei getötet und 26 weitere verletzt worden.

UNO-Generalsekretär António Guterres und der Chef der Weltgesundheitsorganisation WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, zeigten sich vom Beschuss des Krankenwagens “entsetzt”. Beide forderten eine Waffenruhe. Der israelische UN-Botschafter Gilad Erdan warf Guterres daraufhin vor, dass er “völlig die Tatsache ignoriert, dass die Hamas Krankenwagen absichtlich für Terrorziele missbrauchen”. Mit Blick auf das Hamas-Massaker in Israel am 7. Oktober schrieb Erdan: “Wo war Ihr Horror, als die Hamas mit Panzerabwehrraketen auf israelische Krankenwagen schoss und Rettungssanitäter kaltblütig hinrichtete?”

US-Medien berichteten, die Hamas versuche, verletzte Mitglieder ihres militärischen Arms über den Grenzübergang Rafah nach Ägypten herauszuschmuggeln. Damit habe sie die Evakuierung von Ausländern aus dem Gaza-Streifen verzögert, schrieb die “New York Times” unter Berufung auf einen hohen amerikanischen Regierungsbeamten. Der US-Offizielle sagte, dass die Hamas zuvor Israel, den Vereinigten Staaten und Ägypten wiederholt Listen verwundeter Palästinenser vorgelegt habe, die zusammen mit US-Bürgern und anderen Ausländern ausreisen sollten. Nachprüfungen hätten aber ergeben, dass es sich bei vielen dieser Personen um Hamas-Kämpfer handelte.

Israel wirft der Hamas seit langem vor, ihre Kommandozentren, Waffenlager und Raketenabschussrampen gezielt in zivilen Einrichtungen wie Krankenhäusern und Schulen zu platzieren oder in Tunneln darunter – damit sie nicht aus der Luft bombardiert werden. Die USA, die Europäische Union und Israel stufen die Hamas als Terror-Gruppe ein.

Israel griff nach palästinensischen Angaben außerdem eine Schule im Flüchtlingslager Jabalia im Norden des Gazastreifens an. Mindestens 15 Menschen seien dabei am Samstag ums Leben gekommen, teilte die Gesundheitsbehörde in dem von den militanten Islamisten beherrschten Gebiet mit. Dutzende weitere seien verletzt worden. Das israelische Militär nahm zunächst nicht Stellung. In den vergangenen Tagen hatte die israelische Luftwaffe mehrfach Jabalia angegriffen, weil sich nach ihrer Darstellung dort wichtige Hamas-Strukturen verbergen.

Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge (UNWRA) bestätigte die Attacke. “Mindestens eine Bombe traf den Schulhof, wo Zelte für vertriebene Familien standen. Eine weitere Bombe traf die Schule, wo Frauen Brot backten”, sagte UNWRA-Sprecherin Juliette Touma in einem Telefonat mit der Nachrichtenagentur Reuters. Nach Hamas-Angaben wurden zudem bei einem israelischen Raketenangriff zwei Frauen vor der Tür des Nasser-Kinderkrankenhauses getötet. Nach Angaben der Gaza-Gesundheitsbehörde wurden bis Samstag mindestens 9.488 Palästinenser seit Ausbruch der Kämpfe getötet.

Israel wiederholte die Aufforderung an die Bevölkerung, den Norden des Gazastreifens wegen einer bevorstehenden Intensivierung der Offensive zu räumen. Dafür wurde eine Feuerpause für das Gebiet einer Hauptverbindungsstraße zwischen 13.00 und 16.00 Uhr (Ortszeit) angekündigt. “Wenn Sie sich und Ihre Lieben schützen wollen, befolgen Sie unsere Anweisung, nach Süden zu fahren”, hieß es in einem Social-Media-Beitrag auf Arabisch.

Der US-Sondergesandte David Satterfield sagte in Amman, dass bereits zwischen 800.000 und eine Million Menschen in den Süden des Gazastreifens gezogen seien. Zwischen 350.000 bis 400.000 hielten sich noch im Norden von Gaza-Stadt und Umgebung auf.

Kämpfe wurden auch aus dem israelisch-libanesischen Grenzgebiet gemeldet. Die schiitische Hisbollah-Miliz im Libanon erklärte, zeitgleich mehrere israelische Stellungen beschossen zu haben. Eine mit den Hisbollah-Angriffen vertraute Person sagte, man habe bisher nicht eingesetzte, schlagkräftige Raketen abgefeuert. Die israelische Armee teilte mit, Kampfflugzeuge hätten Hisbollah-Ziele angegriffen. Einwohner im Süden des Libanons sprachen von den schwersten Luftangriffen seit Ausbruch des Gaza-Krieges. Am Freitag hatte Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah gewarnt, dass sich der Konflikt ausweiten könnte, wenn Israel Gaza weiterhin bombardiert.

Israels Armee ihrerseits berichtete am Samstag von Raketenalarm in einem Kibbuz nahe dem Gazastreifen. Zudem sei Raketenalarm auch im Norden ausgelöst worden. Im Gazastreifen tötete die israelische Armee nach eigenen Angaben bei einem weiteren Bodeneinsatz gegen die Hamas “Dutzende Terroristen”. In der Nacht führte die israelische Armee zudem im südlichen Gazastreifen eine gezielte Razzia durch und sei auf eine Terrorzelle gestoßen. Das israelische Militär beschoss nach Angaben des Hamas-Radiosenders Al-Aqsa darüber hinaus das Haus von Hamas-Chef Ismail Haniyeh. Dieser lebt seit 2019 nicht mehr im Gazastreifen und hält sich seitdem in der Türkei und in Katar auf.

Die Kassam-Brigaden teilten indes mit, sie hätten eine Rakete des Typs Ayash 250 auf die israelische Hafenstadt Eilat am südlichsten Punkt Israels geschossen. Dabei handelt es sich um eine Rakete aus Eigenproduktion, die nach Hamas-Angaben eine Reichweite von 250 Kilometern haben soll. Die israelische Armee teilte mit, nach Raketenalarm in der Arava-Region nördlich von Eilat sei ein Angriff aus dem Gazastreifen identifiziert worden. Das Geschoss sei von der Raketenabwehr Arrow (Pfeil) abgefangen worden. Nach Angaben von Sanitätern gab es nach ersten Erkenntnissen keine Verletzten.

Seit den groß angelegten Terrorangriffen der im Gazastreifen herrschenden Hamas Anfang Oktober mit 1.400 Toten griff Israel eigenen Angaben zufolge mehr als 12.000 Ziele im Gazastreifen an. Inzwischen rücken auch Bodentruppen gegen Hamas-Terroristen und militärische Ziele vor.