Von: apa
Mit einem Festakt im Palais Niederösterreich hat Österreich am heutigen Dienstag jene tausende NS-Vertriebene gewürdigt, die infolge einer Gesetzesnovelle vor fünf Jahren die österreichische Staatsbürgerschaft wieder angenommen haben. “Mit ihnen als Teil der Gesellschaft mache ich mir weit weniger Sorgen um die Zukunft dieses Landes”, sagte Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) in Richtung von zwölf “Neo-Österreichern” aus aller Welt, die nach Wien gekommen waren.
Schallenberg äußerte sich im Beisein von Ex-Kanzlerin Brigitte Bierlein und Ex-Innenminister Wolfgang Peschorn, in deren Amtszeit die Novelle mit Zustimmung aller Nationalratsparteien beschlossen worden war. Der neue Paragraph 58c des Staatsbürgerschaftsgesetzes weitete eine zuvor nur für unmittelbare NS-Vertriebene geltende Bestimmung auch auf deren Nachfahren aus.
Ausdrücklich dankte der Minister den mittlerweile bereits 26.000 Menschen für die Annahme des österreichischen Passes auf dieser Basis. “Sie haben damit einen Akt des Vertrauens gesetzt”, betonte Schallenberg in Anspielung auf das den Betroffenen oder ihren Vorfahren angetane Unrecht und die jahrzehntelange Weigerung Österreichs, dafür die Verantwortung zu übernehmen. Die österreichische Gesellschaft habe sich in Bezug auf ihre Geschichte “viel zu lange selbst belogen”, suche aber nun umso bewusster und nachdrücklicher die Auseinandersetzung mit ihr, unterstrich der frühere Bundeskanzler.
Anlass der Veranstaltung war die Präsentation des Buches “Wir und Österreich – 15 Stimmen”, in dem 15 Personen über ihre Rückkehr in den österreichischen Staatsverband berichteten. Während die mit acht Jahren aus Wien in die USA geflüchtete Evelyn Konrad (95) erst von ihren Kindern zur Annahme des österreichischen Passes gebracht werden musste, erzählte der Brite Alex Boyt (66) freimütig, dass der Brexit ihn zum Antrag bewogen hatte. “Ich wollte meiner europäischen Zugehörigkeit nicht beraubt werden”, sagte der Großenkel des im Jahr 1938 von Wien nach London geflüchteten Psychoanalyse-Erfinder Sigmund Freud. Boyt nutzte seinen Auftritt auch, um Kritik an der “unverhältnismäßigen” Antwort Israels auf das Hamas-Massaker zu üben.
Die gebürtige Israelin Dorit Straus (76) sagte, dass sie es für ihren aus Wien geflüchteten Vater getan habe. Er sei nach der Ankunft im damaligen britischen Mandatsgebiet Palästina nämlich staatenlos gewesen, obwohl er seine Heimatstadt Wien als Musiker so sehr geliebt habe und sie ihm so viel gegeben habe. “Wenn dieser Staat nun mir die Staatsbürgerschaft anbietet, kann ich das nicht ablehnen”, sagte die mittlerweile in New York lebende Straus. Den Argentinier Ezechiel Max (23) brachte die Liebe zurück ins Land seiner Vorfahren. Bei einer Gedenkveranstaltung in Auschwitz habe er nämlich im Jahr 2018 eine Wienerin kennengelernt und dabei den Entschluss gefasst, in jene Stadt auszuwandern, von der ihm seine fünf Jahre zuvor verstorbene Großtante immer vorgeschwärmt hatte. “Sie hat mir ein märchenhaftes Wien beschrieben”, sagte der Student in perfektem Deutsch.
Die Veranstaltung habe eigentlich schon im November stattfinden sollen, doch sei kurz nach dem Hamas-Massaker niemandem zum Feiern zumute gewesen, berichtete Schallenberg. Er erinnerte daran, dass sich unter den von der Terrororganisation in den Gazastreifen verschleppten Geiseln auch ein israelisch-österreichischer Familienvater befindet.
Schallenberg bekräftigte das Eintreten Österreichs für Israel, nicht nur aus historischer Verantwortung, sondern auch deshalb, weil es sich dabei um die einzige Demokratie im Nahen Osten handle und Demokratien zusammenstehen müssten. Zugleich bekräftigte er das Eintreten Österreichs für eine Zwei-Staaten-Lösung mit Palästina, auch wenn das derzeit “illusorisch” sei. “Letztlich wird nur das zur Sicherheit Israels beitragen”, betonte er.
Besorgt äußerte sich Schallenberg über die Auswirkungen des Nahost-Konflikts auf die österreichische Gesellschaft. Diesbezüglich erinnerte er daran, dass den Teilnehmern der Solidaritätskundgebung mit Israel im Oktober offiziell geraten worden sei, nicht mit israelischen Fahnen und jüdischen Kopfbedeckungen durch die Wiener Innenstadt zu gehen und die parallel stattfindende Pro-Palästina-Kundgebung zu meiden. “Das geht mir unter die Haut, das darf nicht sein”, sagte der Minister. “Das ‘Nie wieder’ ist jetzt”, forderte er alle Menschen in Österreich auf, jederzeit gegen Antisemitismus aufzutreten und auch einzuschreiten.
Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien (IKG), Oskar Deutsch, sagte, das “Nie wieder” sei erst am Samstag anlässlich des Holocaust-Gedenktages “tausendfach zu hören” gewesen. Doch habe sich nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober gezeigt, wer es damit ernst meine und für wen das “nur eine Floskel” sei, rief Deutsch das offizielle Österreich zu Standhaftigkeit im Eintreten für Israel auf. “Geben Sie der Mehrheit der Despoten und Diktatoren in der UNO keinen Millimeter nach”, appellierte er an Schallenberg, der umgehend versicherte, sich nicht vom Weg abbringen zu lassen.
Die Wiedererlangung der Staatsbürgerschaft durch die NS-Opfer und ihre Nachfahren sei “kein Geschenk”. “Es ist die Restitution der Staatsbürgerschaft, die diesen Menschen und ihren Familien gestohlen wurde”, betonte Deutsch. Anders als noch in den 1990er Jahren werde Österreich heute “immer öfter als sicherer Hafen für Juden wahrgenommen”, was an der Politik der vergangenen Jahre liege.