Von: APA/dpa/Reuters
Die Hamas hat am Samstag im Gazastreifen den Österreicher Tal Shoham und fünf weitere Geiseln freigelassen. Die Freilassung der Israelis erfolgte an drei verschiedenen Orten in dem abgeriegelten Küstenstreifen und war teilweise in Israel und der arabischen Welt überwiegend live im Fernsehen zu sehen. Die sechs Geiseln kamen im Rahmen eines Abkommens mit Israel frei, in dem auch die Waffenruhe vereinbart wurde. Angehörige der Männer reagierten bewegt und mit großem Jubel.
Die palästinensische Terrororganisation hatte zunächst in Rafah im Süden des Gazastreifens die Langzeitgeisel Avera Mengistu (39) und den im Oktober 2023 verschleppten Shoham (40) an das Internationale Rote Kreuz (IKRK) übergeben. Anschließend wurden im Flüchtlingsviertel Nuseirat die ebenfalls vor 16 Monaten aus Israel entführten jungen Männer Omer Shem-Tov (22), Omer Wenkert (23) und Elija Cohen (27) an das IKRK übergeben.
Die Übergabe der letzten und sechsten Geisel erfolgte ohne TV-Übertragung in der Stadt Gaza. Die Islamisten hätten darauf verzichtet, weil es sich bei der Langzeitgeisel Hisham al-Sayed um einen israelischen Araber handelte, berichtete der arabische Sender Al-Jazeera. Im Gegenzug soll Israel nach palästinensischen Angaben im Rahmen einer Waffenruhe-Vereinbarung insgesamt rund 600 inhaftierte Palästinenser freilassen. Darunter sind 50 mit lebenslangen Haftstrafen.
Hamas kritisiert ausbleibende Freilassung von Häftlingen
Die Hamas hat die Verzögerung der Freilassung palästinensischer Häftlinge durch Israel im Gegenzug für die zuvor erfolgte Übergabe sechs israelischer Geiseln scharf kritisiert. Die Hamas habe die Vermittler Ägypten und Katar über die Verzögerung informiert, stand in einer Erklärung der Terrororganisation. Israel werde keine Vermittler für den Konflikt mehr finden, wenn es das Abkommen jetzt verletze und sich weigere, die Häftlinge freizulassen, warnte die Hamas.
Die Freilassung von mehr als 600 palästinensischen Häftlingen hatte auch am Samstagabend mehrere Stunden nach der Übergabe der sechsten israelischen Gaza-Geisel an das IKRK noch nicht begonnen. Bei früheren Austauschaktionen waren die Palästinenser bald nach der Rückkehr der israelischen Geiseln in ihre Heimat freigekommen. Eine Erklärung Israels zu den Gründen der Verzögerung gab es zunächst nicht. Israelische Medien berichteten unter Berufung auf ungenannte israelische Beamte, Regierungschef Benjamin Netanyahu wolle vor der Freilassung Sicherheitsberatungen über das weitere Vorgehen abhalten.
Netanyahu erklärte am späten Nachmittag, dass er die Rückkehr der sechs Geiseln begrüße. “Ihre Rückkehr ist ein Moment der Freude und Erleichterung für ihre Familien und das gesamte jüdische Volk”, schrieb der Premier auf der Onlineplattform X. Gleichzeitig gedenke er “mit Schmerz unserer gefallenen und verwundeten Helden”. “Wir werden weder vergessen noch vergeben.” Laut Netanyahu wurden bisher 192 Entführte nach Israel zurückgebracht. Davon seien 147 am Leben und 45 tot. Die Hamas halte noch immer 63 Geiseln fest. “Die israelische Regierung wird sich auch weiterhin entschlossen für die Rückkehr aller unserer Entführten einsetzen – die Lebenden zu ihren Familien und den Gefallenen eine angemessene Beerdigung in ihrem eigenen Land.”
Familie Tal Shohams über Freilassung erleichtert
Die Familie Shohams zeigte sich am Samstag in einer Aussendung erleichtert über die Freilassung. “Nach den tragischen Ereignissen des 7. Oktober, bei denen drei unserer Familienmitglieder ermordet wurden, nach 50 Tagen, in denen acht von uns – einschließlich unserer kleinen Kinder Naveh (8) und Yahel (4) – selbst in Gaza als Geiseln festgehalten wurden, und nach über 500 Tagen der Ungewissheit über Tals Schicksal können wir nun langsam beginnen, die Scherben unseres Lebens aufzusammeln, zu heilen, aber auch endlich die Ruhe finden, um für unsere Verluste zu trauern. Wir sind Österreich unendlich dankbar für die unglaubliche Unterstützung, die wir in dieser Zeit erhalten haben”, hieß es in einer Stellungnahme.
Auch Außenministerium froh über Freilassung Shohams
Erleichtert über die Freilassung von Shoham zeigte sich auch das Außenministerium in Wien. “505 Tage lang haben wir mit der Familie gebangt, gehofft und gewartet. Wir sind unglaublich erleichtert und überglücklich, dass Tal Shoham endlich freigelassen wurde und nun zu seiner Familie zurückkehren kann. Wir wünschen Tal und seinen Lieben, dass sie das Erlittene gemeinsam fernab der Öffentlichkeit verarbeiten können”, hieß es in einer Aussendung am Samstag.
Auch Grünen-Chef Werner Kogler zeigte sich in einer Stellungnahme gegenüber der APA erleichtert. “Es ist eine riesige Erleichterung, dass unter den heute freigelassenen Geiseln der Hamas nun auch Tal Shoham, ein österreichisch-israelischer Staatsbürger, nach fast eineinhalb Jahren in den Tunneln der Hamas endlich wieder in die Freiheit entlassen wurde. Die Freude über seine Rückkehr ist groß. Ein herzliches Dankeschön an die Familie, die Freund:innen und die Angehörigen, die in dieser schwierigen Zeit nie aufgegeben haben, und an Karl Nehammer und Alexander Schallenberg für ihre unermüdlichen Bemühungen”, so Kogler.
Nehammer selbst zeigte sich auf X “zutiefst erleichtert und überglücklich, dass Tal Shoham nach mehr als 500 Tagen in Gefangenschaft heute freigelassen wurde”. Der Ex-Bundeskanzler postete ein Foto, das ihn und Shohams Vater Gilad Korngold in enger Umarmung zeigt.
Hamas inszeniert Geisel-Übergabe erneut
Vermummte und bewaffnete Hamas-Kämpfer in Uniformen inszenierten die Übergaben der Männer in Rafah und Nuseirat erneut mit Schaulustigen, lauter Musik und palästinensischen Fahnen. Die Geiseln wurden auf Bühnen vorgeführt. Sie erhielten von ihren bewaffneten und vermummten Bewachern sichtbar Anweisungen, zu lächeln und der wartenden Menschenmenge zuzuwinken. Eine Vertreterin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) musste auf den Bühnen an beiden Orten Empfangs-Dokumente unterzeichnen.
Mann soll während gesamter Geiselhaft angekettet gewesen sein
Palästinensische Terroristen entführten Shem-Tov, Wenkert und Cohen vom Nova-Musikfestival in der Negev-Wüste. Cohens Partnerin überlebte das Massaker nach Angaben des Forums der Geisel-Familien, indem sie sich unter Leichen versteckte. Cohen soll während seiner gesamten Geiselhaft angekettet gewesen sein, wie israelische Medien unter Berufung auf Berichte von jüngst freigelassenen Geiseln meldeten.
Shoham, der israelisch-österreichischer Doppelstaatsbürger ist, wurde mit seiner Frau, ihren beiden Kindern und weiteren weiblichen Angehörigen entführt. Frauen und Kinder kamen im November 2023 als Teil eines damaligen Abkommens zwischen Israel und der Hamas frei.
Al-Sayed ist ein israelischer Araber, der die Grenze in den Gazastreifen 2015 auf eigene Faust überquert hatte. Gleiches gilt für den in Äthiopien geborenen Mengistu, der seit 2014 in der Gewalt der Hamas ist. Die Hamas hatte während der Gefangenschaft Aufnahmen der beiden veröffentlicht, im Jahr 2022 wurde al-Sayed etwa in einem Bett mit Sauerstoffmaske gezeigt. In Israel sorgte dies für Entsetzen.
Freilassung von drei Geiseln vorgezogen
Die Hamas ließ drei der sechs Geiseln früher frei als geplant. Das sollte gemäß dem Waffenruhe-Abkommen eigentlich erst in einer Woche passieren. Die Islamisten wollten, dass die Freilassung Dutzender hochrangiger Mitglieder der Terrororganisation aus israelischen Gefängnissen nicht in letzter Minute scheitert, berichteten mehrere Medien. Laut der US-Nachrichtenseite “Axios” gibt es sowohl aufseiten der palästinensischen Terrororganisation als auch innerhalb der israelischen Regierung Befürchtungen, dass die erste, sechswöchige Phase der Waffenruhe nicht wie verabredet bis Anfang März halten könnte – und wichtige Forderungen dann unerfüllt bleiben.
Seit Beginn der Waffenruhe im Gaza-Krieg am 19. Jänner haben Islamisten in mehreren Runden 25 Geiseln freigelassen. Zusätzlich kamen fünf aus Israel entführte Thailänder unabhängig von der Vereinbarung frei.
Erste Phase des Deals soll offiziell in einer Woche enden
Das mehrstufige Abkommen zwischen Israel und der Hamas sieht vor, dass während der ersten Phase 33 Geiseln, darunter acht Tote, im Austausch gegen 1.904 palästinensische Häftlinge freikommen. Vier Leichen sollen laut Hamas kommende Woche übergeben werden. Damit wird der Austausch von Geiseln gegen Inhaftierte der ersten Phase abgeschlossen. Die erste Phase soll offiziell in einer Woche enden.
Berichten zufolge haben beide Kriegsparteien bisher, anders als vorgesehen, noch keine ernsthaften Verhandlungen über die zweite Phase der Vereinbarung geführt. Ob sie zustande kommt, ist ungewiss. Sie soll zu einem endgültigen Ende des Krieges sowie zur Freilassung der noch verbliebenen Geiseln führen.
Die Hamas bekräftigte, sie sei an einer Einigung auf eine zweite Phase interessiert sowie einem umfassenden Tausch der verbliebenen Geiseln gegen palästinensische Häftlinge. Bedingungen seien eine dauerhafte Waffenruhe und ein vollständiger Abzug der israelischen Truppen aus dem Gazastreifen. Israel beharrt jedoch auf dem Kriegsziel einer kompletten Zerstörung der Hamas.
Auslöser des Krieges war der Überfall der Hamas und anderer extremistischer Gruppierungen auf Israel am 7. Oktober 2023, bei dem an dem einen Tag rund 1.200 Menschen getötet und mehr als 250 Israelis als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden. Seitdem wurden laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde im Gazastreifen mehr als 48.300 Menschen getötet, darunter auch viele Frauen und Minderjährige.
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