Brigitte Bierlein - Österreichs erste Kanzlerin

Österreichs erste Kanzlerin Brigitte Bierlein ist tot

Dienstag, 04. Juni 2024 | 07:29 Uhr

Von: apa

Die erste österreichische Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein ist am Montag verstorben. Wie der Verfassungsgerichtshof, dem Bierlein rund 16 Jahre angehörte, mitteilte, erlag sie kurz vor ihrem 75. Geburtstag einer kurzen schweren Erkrankung. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) würdigte, dass Bierlein in einer schwierigen Phase Verantwortung aus Liebe zu ihrer Heimat übernommen habe: “Unser Land ist ihr zu großem Dank verpflichtet.”

Die Karriere-Juristin war nach ihrer Funktion als Generalanwältin bei der Generalprokuratur von 2003 bis 2018 Vizepräsidentin des VfGH und von Februar 2018 bis zu ihrer Ernennung zur Bundeskanzlerin heute vor genau fünf Jahren (am 3. Juni 2019) Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes. Im Auftrag von Bundespräsident Alexander Van der Bellen führte sie Österreich nach den Wirren des Ibiza-Skandals ohne großen Aufhebens in Neuwahlen. Danach beendete sie quasi ihre öffentliche Karriere.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen zeigte sich tief betroffen von Bierleins Tod. “Sie hat in vielen Funktionen der Republik treu gedient. Als Hüterin unserer Verfassung und auch als erste Bundeskanzlerin”, betonte er: “Ich habe Brigitte Bierlein als mutige, disziplinierte Frau kennengelernt, die Verantwortung übernommen hat, als ihr Land sie gebraucht hat. Sie wird für viele Mädchen und Frauen, für uns alle, auch in Zukunft als Vorbild wirken.”

Auch Bundeskanzler Nehammer gab seiner Erschütterung Ausdruck. Mit Bierlein verliere Österreich eine herausragende Persönlichkeit und Vorreiterin, die die Republik für Generationen entscheidend geprägt habe: “Sie hat in einer schwierigen Zeit nicht gezögert, Verantwortung zu übernehmen, um der Republik und den Menschen in unserem Land zu dienen.” Die österreichische Flagge auf dem Dach des Bundeskanzleramtes wurde auf halbmast gesetzt.

Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler bezeichnete die Verstorbene als Pionierin in vielerlei Hinsicht: “Mit Kompetenz und Sachlichkeit hat sie ihr Amt in einer politisch unruhigen Phase verantwortungsvoll geführt.” Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), aktuell Vorsitzende der Landeshauptleute-Konferenz, nannte Bierlein eine “große und beeindruckende Persönlichkeit”. Auch weitere Landeshauptmänner kondolierten.

Bierleins Kanzlervorgänger und -nachfolger Sebastian Kurz (ÖVP) meldete sich ebenfalls zu Wort. Bierlein habe in einer turbulenten Zeit mit ruhiger Hand für Stabilität in Österreich gesorgt und davor über viele Jahre die Arbeit des VfGH geprägt, erklärte er.

Ihr damaliger Vizekanzler und Justizminister Clemens Jabloner bezeichnete Bierleins Tod in der ZIB2 als “sehr großen Verlust”. Die Nachricht habe ihn “erschüttert”. Bierlein habe über “außerordentliches fachliches Talent”, aber auch über die “erforderlichen sozialen Fähigkeiten” verfügt, so Jabloner: “Sie hat in idealer Weise die fachlichen und sozialen Fähigkeiten verbinden können.” Auch als Regierungschefin habe sie eine fachliche Autorität ausgestrahlt, zugleich sei sie ein überaus freundlicher Mensch gewesen.

SPÖ-Chef Andreas Babler betonte, Österreich verliere mit Bierlein eine engagierte Juristin und hoch angesehene Persönlichkeit, die in einer der schwersten Krisen der Zweiten Republik nach dem jähen Ende der schwarz-blauen Bundesregierung nicht gezögert habe, Verantwortung zu übernehmen. FPÖ-Chef Herbert Kickl würdigte sie als “großartige Persönlichkeit, Juristin und Politikerin”. NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger sprach von einem “traurigen Tag für Österreich” und nannte Bierlein als erste Bundeskanzlerin “ein Vorbild für viele”.

Von VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter hieß es, der Verfassungsgerichtshofs verliere eine unparteiliche ehemalige Präsidentin und einen hochgeschätzten Menschen, Österreich eine entschlossene Verfechterin des Rechtsstaats. Rechnungshof-Präsidentin Margit Kraker meinte, Bierlein habe Maßstäbe gesetzt und sei eine herausragende Persönlichkeit gewesen. Worte der Trauer kamen auch von den Bundestheatern, fungierte sie doch auch als Aufsichtsratvorsitzende der Holding.

Tief betroffen zeigte sich auch die Parlamentsspitze. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) nannte Bierlein eine “beeindruckende und außergewöhnliche Persönlichkeit”. Mit ihr verliere Österreich eine der “renommiertesten Verfassungsjuristinnen”, erklärte die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ). Auch der Dritte Nationalratspräsident Norbert Hofer (FPÖ) würdigte sie als “bemerkenswerte Juristin und Politikerin”, die “in einer schwierigen Phase keine Minute gezögert” habe, “Verantwortung für ihre Heimat zu übernehmen”.

Auch Kardinal Christoph Schönborn und Erzbischof Franz Lackner als Vorsitzender der Bischofskonferenz bekundeten ihre “große Anteilnahme”. Ein besonderer Dank gebühre Bierlein für ihre langjährige ehrenamtliche Tätigkeit für die Unabhängige Opferschutzkommission, betonte der Kardinal.

Neben ihren beruflichen Aufgaben war Bierlein jahrzehntelang in der staatsanwaltlichen Standesvertretung, in der Unabhängigen Opferschutzkommission gegen Missbrauch und Gewalt sowie als Vorsitzende des Aufsichtsrats der Bundestheater-Holding und des Kuratoriums der Stiftung Forum Verfassung tätig.