Von: mk
Brenner – In einer symbolträchtigen und grenzüberschreitenden Pressekonferenz ─ direkt am Grenzstein am Brenner ─ haben die oppositionellen Landtagsparteien nördlich und südlich des Brenners (FPÖ-Tirol, Liste Fritz, NEOS, Süd-Tiroler Freiheit, Team K, die Freiheitlichen und 5-Stelle) heute gemeinsam eine sofortige Öffnung der Brenner-Grenze gefordert.
Die derzeit “geschlossene” Brenner-Grenze sei eine Bankerotterklärung für die Politik der Europaregion Tirol, da ganze Familien getrennt würden, alle grenzüberschreitenden sozialen und kulturellen Kontakte unterbunden würden und der Wirtschaft ein immenser Schaden zugefügt werde.
Dieser Zustand sei der Bevölkerung nicht mehr zuzumuten und dürfe auch von der Politik nicht länger willfährig geduldet werden. Angesichts der niedrigen Infektionszahlen auf beiden Seiten des Brenners, fordern die oppositionellen Landtagsparteien ein politisches Handeln auf Grundlage von regionalen Infektionszahlen und nicht auf Grundlage von nationalstaatlichem Grenzdenken.
“Die Idee eines grenzenlosen Europas der Regionen darf nicht nur in guten Zeiten beschworen werden, sondern muss sich auch ─ und vor allem ─ in Krisenzeiten bewähren. Die Europaregion Tirol sollte hier Vorbild sein und darf sich nicht länger hinter Grenzbalken verstecken”, hieß es auf der Pressekonferenz.
Die Bewegungsfreiheit zwischen Nord-, Süd- und Osttirol müsse daher sofort ─ und nicht erst irgendwann im Juni ─ wiederhergestellt werden, fordern die Oppositionsparteien.
“Es gibt keinen Grund, weshalb die Grenze noch geschlossen bleiben soll”, meinte etwa NEOS-Klubobmann Dominik Oberhofer bei einer Pressekonferenz direkt am Grenzstein von Tirol zu Italien.
Es gehe in Wirklichkeit nicht um Infektionszahlen in der Lombardei, sondern um nationalstaatliche wirtschaftliche Interessen, so Oberhofer. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bezwecke mit der Nicht-Grenzöffnung, dass die Bevölkerung dazu gezwungen ist, den Urlaub in Österreich zu verbringen.
Kritik gab es auch an den politischen Verantwortlichen in Tirol. “Landeshauptmann Günther Platter tanzt nach der Pfeife von Sebastian Kurz”, erklärte Liste-Fritz-Klubobfrau Andrea Haselwanter-Schneider. Platter solle sich stattdessen als “Landeshauptmann der Tiroler positionieren” sowie eine “gesamteuropäische Lösung forcieren”. Auch die FPÖ nahm den Landeshauptmann ins Visier. Platter solle sich “klar positionieren”, urgierte Landtagsabgeordneter Christofer Ranzmaier. “Offenbar ist Platter aber ein Vasall der schwarz-grünen Bundesregierung”, legte der Freiheitliche nach. Die Grenze gehöre jedenfalls sofort geöffnet, so Ranzmaier.
In dieselbe Kerbe schlug auch Paul Köllensperger, Fraktionsvorsitzender des Team K im Südtiroler Landtag. “Es gibt offenbar einen zweiten Virus, den Virus des nationalstaatlichen Egoismus”, konstatierte er und betonte: “Die Grenze hat zu verschwinden.” Für eine “gemeinsame, grenzüberschreitende Lösung”, sprach sich auch Sven Knoll von der Süd-Tiroler Freiheit aus.
Die drei Landeshauptleute der Europaregion Tirol, Südtirol und Trentino hatten sich am Mittwoch bei einer Videokonferenz für eine rasche Grenzöffnung am Brenner ausgesprochen. Die Öffnung soll “bis spätestens 15. Juni” erfolgen, sagte Euregio-Präsident Platter im Anschluss.
Nicht teilgenommen an der Oppositions-Pressekonferenz am Freitag hatte indes die Tiroler SPÖ. Deren Vorsitzender Georg Dornauer sprach im Vorfeld von einer “PR-Aktion der Süd- und Nordtiroler Opposition”. Dornauer stieß sich auch daran, dass die SPÖ-Schwesternpartei, die Demokratische Partei (Partito Democratico, kurz PD), nicht zu dem Pressegespräch eingeladen worden sei – mit der angeblichen Begründung, dass nur deutschsprachige Abgeordnete am Termin teilnehmen sollen. Für den SPÖ-Vorsitzenden ein “völlig falsches Signal”.
Stattdessen äußerte sich der SPÖ-Chef am Freitag in einer gemeinsamen Presseaussendung der “ASA”, der Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokraten der Alpenländer. Darin machte er sich ebenso für offene Grenzen in Europa und insbesondere der Euregio stark. Angesichts der sinkenden Reproduktionszahlen nördlich und südlich des Brenners mache “Abschottung und Grenzschließung” keinen Sinn.
Grüne nicht dabei: gegen unkontrollierte Schnellschüsse
Für einen gemeinsamen europäischen Umgang mit der Corona-Krise, bei dem auch der Wiederherstellung der Reisefreiheit höchste Priorität einzuräumen ist, plädieren auch die Grünen in Tirol und Südtirol, die bei der Pressekonferenz nicht dabei waren. „Für uns ist klar, dass die Grenze zwischen Tirol und Südtirol so bald wie möglich wieder geöffnet werden muss. Jeden Tag leiden unzählige Menschen in Tirol und Südtirol unter den heruntergefahrenen Grenzbalken, weil sie ihre Familie nicht besuchen können, der Wochenendausflug unmöglich wird oder nahegelegene Infrastruktur unerreichbar wird. Es wirkt schon absurd, wenn Österreich ausländische Touristen nach Österreich locken will, aber selbst eine Grenzöffnung zu Italien nicht in Betracht zu ziehen scheint. Ein gemeinsames Europa darf auch in Zeiten der Corona-Krise nicht auf der Strecke bleiben“, so die Grüne Fraktionssprecherin in Südtirol, Brigitte Foppa, und der Europasprecher der Tiroler Grünen, Michael Mingler, unisono.
Gleichzeitig verwehren sich die Grünen diesseits und jenseits des Brenners gegen einen Wettlauf des Populismus. „Wir müssen den Schutz der Gesundheit und die weitere Eindämmung des Virus auf jeden Fall voranstellen. Es ist ein Fakt, dass es in Italien nach wie vor sensible Regionen gibt, wie z.B. Lombardei oder Piemont. Wie es aussieht, wird vor allem die Lombardei nicht so schnell aufgehen, weil es immer noch Infektionsherde gibt. Hier gilt es genau zu beobachten, wie sich die Dinge entwickeln“, plädieren Foppa und Mingler im Sinne einer Grenzöffnung unter Bedingungen.
Sie wollen auf intensive Gespräche statt auf Medieninszenierungen setzen. „Dass die Grenzöffnung ein zentrales Anliegen der Nord- und Südtiroler Bevölkerung ist, ist dem österreichischen Gesundheitsministerium bekannt. Wir vertrauen und appellieren, dass es bald eine gute Lösung geben wird, mit der sowohl Reisefreiheit als auch Gesundheit in Einklang gebracht werden“, schließen die beiden Grünpolitiker*innen und zeigen auch in diesen Zeiten Einigkeit: „Eng verbunden bleiben wir in der Europaregion allemal. In ein paar Wochen werden wir uns jedenfalls wieder persönlich sehen.“