Von: apa
Die Führungskrise in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) scheint abgewendet. Der Ständige Rat der 57 OSZE-Staaten hat sich am Montag in Wien darauf verständigt, dass der kleinste EU-Staat Malta im Jahr 2024 den Vorsitz in der Sicherheitsorganisation innehaben soll. Dies teilte der amtierende OSZE-Vorsitzende Bujar Osmani auf X (ehemals Twitter) mit. Damit ist die von Russland seit einem Jahr blockierte Kandidatur Estlands endgültig gescheitert.
“Danke an Malta für die Bereitschaft, diese wesentliche Rolle zu übernehmen und an alle Kollegen für die Flexibilität und Unterstützung”, schrieb der nordmazedonische Außenminister Osmani. Er sprach von einer “riesengroßen Entscheidung”, die den Weg zu einem Konsens beim OSZE-Jahrestreffen am Mittwoch und Donnerstag in der nordmazedonischen Hauptstadt Skopje ebne. Die Bestätigung Maltas gilt dort nur noch als Formsache.
Russland hatte schon beim Jahrestreffen im vergangenen Dezember die Kandidatur Estlands für das Jahr 2024 abgelehnt. Der baltische NATO-Staat hielt weiter an seiner Bewerbung fest, für die er die Unterstützung der restlichen EU-Staaten hatte. Einer informellen Übereinkunft zufolge wechseln einander EU- und Nicht-EU-Staaten als OSZE-Vorsitzende ab. Angesichts der drohenden existenziellen Führungskrise bröckelte jedoch der Rückhalt für Estland. Zunächst lancierte Österreich als Sitzstaat der OSZE den Vorschlag, die Amtszeit des aktuellen Vorsitzlandes Nordmazedonien zu verlängern. Anfang November verlautete dann aus verschiedenen Quellen, dass Malta einspringen könnte.
Die Entscheidung wurde während eines Wien-Aufenthaltes des maltesischen Ministerpräsidenten Robert Abela getroffen. “Ich traf OSZE-Generalsekretärin Helga Schmid in Wien, als wir die einmütige Empfehlung erhielten, dass Malta formell als OSZE-Vorsitz 2024 bestätigt wird”, schrieb Abela auf X. “Wir stehen fest zu unserer Verpflichtung, eine glaubwürdige Stimme für Frieden und Sicherheit in internationalen Foren zu sein”, betonte der sozialdemokratische Politiker, dessen Land derzeit auch nicht-ständiges Mitglied im UNO-Sicherheitsrat ist.
Abela hatte zuvor auch Kanzler Nehammer getroffen und dabei klar gemacht, dass sein Land für Estland einspringen würde. Nehammer zeigte sich erfreut, “dass Malta bereit ist, den OSZE-Vorsitz zu übernehmen”. Österreich unterstütze “voll und ganz Malta” und sei bereit, dem Land für die Vorsitzführung personelle und materielle Hilfe zu leisten, sagte Nehammer. Dass mit Malta ein neutrales Land ans OSZE-Ruder kommt, gefällt dem Kanzler auch deshalb, “weil die Neutralität mehr Sichtbarkeit gewinnt”.
Nehammer betonte, dass die in Wien ansässige Organisation “eine wichtige strategische Brückenkopffunktion in den gesamten asiatischen Raum” habe. Auf die Frage der APA, ob Österreich es sich mit Russland verscherzt habe oder gar Rumänien wegen des Schengen-Streits ein Veto angedroht habe, sagte Nehammer, dass Österreich als möglicher OSZE-Vorsitz “nie zur Diskussion” gestanden sei. Es habe auch keine “Intervention” (gegen Österreich) gegeben, versicherte er. Österreich führte in den Jahren 2000 und 2017 den OSZE-Vorsitz.
Ganz gelöst ist die Führungskrise der OSZE nach dem Durchbruch am Montag noch nicht. Schließlich laufen auch die Amtszeiten der vier wichtigsten OSZE-Beamtenposten, darunter jener von Generalsekretärin Schmid, am 3. Dezember aus. Wie die Website “Security and Human Rights Monitor” meldete, scheiterte ein Vorschlag Nordmazedoniens zur Verlängerung der Amtszeiten um ein Jahr am Montag am Veto von Russland und Belarus.
Die Organisation war nach dem Ende des Kalten Krieges aus der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) hervorgegangen, die sich Mitte der 1970er Jahre um einen Abbau der politischen und militärischen Spannungen zwischen den westlichen und kommunistischen Staaten bemüht hatte. Neben praktisch allen europäischen Staaten gehören ihr die USA, Kanada sowie die Nachfolgestaaten der Sowjetunion an. Mit zahlreichen Missionen spielte die OSZE eine wichtige Rolle bei der Eindämmung von regionalen Konflikten am Westbalkan und dem Ex-Sowjetraum. Nach der ersten russischen Aggression gegen die Ukraine wurden hunderte OSZE-Beobachter in das Land geschickt, um den brüchigen Waffenstillstand zu überwachen.
Infolge des russischen Angriffskrieges fiel die OSZE in eine existenzielle Krise, die beim Jahrestreffen im polnischen Warschau im Vorjahr in einem Einreiseverbot für den russischen Außenminister Sergej Lawrow gipfelte. Die Ukraine forderte damals offen den Ausschluss des Aggressorstaates aus der Organisation, blieb damit aber weitgehend alleine. Ob Lawrow am OSZE-Ministerrat in Skopje teilnehmen wird können, war unklar. Der Grund ist ein EU-Flugverbot für russische Maschinen. Lawrow sagte am Montag, dass er an dem Treffen teilnehmen werde, wenn Bulgarien seinen Luftraum für das russische Regierungsflugzeug öffnen werde. Er habe schon “mehrere Anfragen für Treffen” erhalten, “auch von westlichen Vertretern”, sagte Lawrow nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters in Moskau. Kolportiert wurde auch ein Treffen Lawrows mit US-Außenminister Antony Blinken am Mittwoch in Skopje. Österreich wird beim OSZE-Treffen von Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) vertreten. Dieser sagte jüngst der “Presse” auf die Frage, ob er in Skopje mit Lawrow sprechen werde: “Wenn sich die Gelegenheit ergibt, ja.”