Von: APA/Reuters/dpa
Bei der parallel zur EU-Wahl abgehaltenen Parlamentswahl in Bulgarien ist die konservative Partei von Ex-Regierungschef Bojko Borissow laut Exit-Polls stärkste Kraft geworden. Die GERB-Partei errang laut den am Sonntagabend veröffentlichten Umfrageergebnissen einen Stimmenanteil zwischen 26 und 28 Prozent. Das liberale Reformbündnis PP-DP, mit dem die GERB-Partei nach der vergangenen Wahl im Vorjahr einige Monate koaliert hatte, rutschte hingegen auf knapp 16 Prozent ab.
Die neue Stimmenverteilung hatte sich in Umfragen vor der Wahl bereits abgezeichnet. Der Urnengang am Sonntag war die sechste Parlamentswahl in Bulgarien binnen drei Jahren. Im Wahlkampf hatten Borissow und seine Partei GERB (Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens) die Bildung einer Koalition in Aussicht gestellt, mit der die jahrelange politische Instabilität in dem Land beendet werden soll.
Als möglichen Partner dafür brachte sich bereits die Partei der türkischen Minderheit DPS ins Gespräch. Experten zufolge dürfte sich die Regierungsbildung aber schwierig gestalten. Experten halten es daher für wahrscheinlich, dass für den Herbst erneut Neuwahlen angesetzt werden müssen. In diesem Fall würden sich im ärmsten EU-Land die Reformen, die Voraussetzung für die Freigabe von EU-Mitteln und eine Vollmitgliedschaft Bulgariens im Schengenraum sind, weiter verzögern.
Bulgarien, das ärmste Land in der EU, befindet sich seit Jahren in einer politischen Krise. Mehrere Wahlen führten zu zersplitterten Parlamenten, in denen keine Partei in der Lage war, eine funktionierende Regierung zu bilden. Die GERB-Partei hatte Bulgarien fast ununterbrochen von 2011 bis 2021 regiert, wurde aber nach massiven Protesten wegen Korruptionsvorwürfen 2020 zunehmend isoliert.
Das Reformbündnis PP-DP arbeitete zuletzt jedoch mit der Mitte-Rechts-Partei GERB zusammen. So vereinbarten sie etwa, dass das traditionell Russland-freundliche Bulgarien die Ukraine bei der Abwehr des russischen Angriffskriegs unterstützt. Nach nur neunmonatiger Zusammenarbeit überwarfen sich PP-DP und GERB im April jedoch im Streit über eine wichtige Justizreform und andere Reformvorhaben.
Im März war ein Regierungsbündnis beider Parteien zerbrochen. Bulgarien wird deswegen gegenwärtig von einer Übergangsregierung geführt. Seit 2020 hat Präsident Rumen Radev fünf Übergangsregierungen eingesetzt, nachdem mehrere Koalitionen nach Streitigkeiten gescheitert waren. Das Land hat am Sonntag zum sechsten Mal in drei Jahren ein neues Parlament gewählt. Im Tagesverlauf hatte sich eine niedrige Wahlbeteiligung abgezeichnet.
Hart umkämpft war der zweite Platz und davon hängt zum größten Teil die Regierungsbildung ab. Auf fast den gleichen Zuspruch kamen am Sonntag gleich drei Parteien: die liberale Partei der türkischen Minderheit DPS, das liberal-konservative Wahlbündnis PP/DB und die antieuropäische prorussische Partei “Wazraschdane” (zu Deutsch: Wiedergeburt) mit jeweils rund 15 bis 16 Prozent. Die russlandorientierten Sozialisten erreichen fast das gleiche Wahlergebnis wie im April 2023 – 9,8 Prozent. Die kleinste Parlamentsfraktion im neuen Parlament in Sofia stellt die populistische Formation ITN des Showmasters Slawi Trifonow, die mit 6,4 Prozent wieder den Sprung ins Parlament schafft, wofür mindestens 4 Prozent der abgegebenen Stimmen notwendig sind.
Die GERB-Partei gewann zum vierten Mal in Folge eine Parlamentswahl in Bulgarien, diesmal jedoch deutlicher als zuvor. Politische Beobachter erwarten allerdings nicht, dass es erneut zu einer Koalition mit der verfeindeten PP/DB (Wandel fortgesetzt und Demokratisches Bulgarien) kommt. Nach mühsamen Verhandlungen hatten sie sich vor ziemlich genau einem Jahr auf ein Experiment geeinigt und eine Regierung für 18 Monate gebildet.
Um Bulgarien aus der politischen Sackgasse herauszuholen, hatten Wahlsieger GERB und die zweitstärkste Kraft PP/DB eine politische Einigung für die Bildung eines proeuropäischen Kabinetts erzielt. Die Mitte-Rechts-Partei GERB verzichtete auf den Ministerpräsidentenposten und unterstützte den Regierungschef Nikolaj Denkow von der PP/DB. Vereinbart war, dass er nach neun Monaten den Rücktritt der Regierung erklärt, um das Amt an die ehemalige bulgarische EU-Kommissarin Maria Gabriel von der GERB-Partei zu übergeben.
Die vereinbarte Rotation im März dieses Jahres ist jedoch an gegenseitigem Misstrauen gescheitert. Das Reformbündnis PP/DB wirft der GERB-Partei und ihrem Vorsitzenden Bojko Borissow vor, für die grassierende Korruption im Land während ihrer über 10-jährigen Regierungszeit verantwortlich zu sein. Nun könnte Borissow ein Kabinett mit der Türkenpartei DPS bilden, welches allerdings einen dritten Partner bräuchte.
Der erste politische Kommentar kam vom Ko-Vorsitzenden der DPS, Deljan Peewski, einem umstrittenen Geschäftsmann und Politiker, der von den USA wegen Korruption sanktioniert wird. “Die Bulgaren verdienen einen Neuanfang und eine stabile Regierung, die das Funktionieren des Staates möglich macht”, sagte er am Wahlabend. Er setze auf die Vernunft der Politiker. GERB-Chef Borissow hatte zuvor angekündigt, die Wahlergebnisse erst am Montag zu kommentieren.
Das liberal-konservative Bündnis PP/DB verzeichnet deutliche Verluste – rund 10 Prozent weniger als bei der letzten Wahl im April 2023 – und erklärt es mit der neunmonatigen Koalition mit Borissows Partei und der indirekten Duldung durch die Partei von Deljan Peewski. Auch das Reformbündnis will sich am Wahlabend nicht äußern.
Die politischen Beobachter im Land gehen jedoch davon aus, dass es im Herbst wieder zu Neuwahlen kommt. Darauf deute auch der fade Wahlkampf und die niedrige Wahlbeteiligung von knapp 30 Prozent hin, was viel über die Politikverdrossenheit der Bulgaren in der andauernden politischen Instabilität aussagt.
Bei der Europawahl zeichnen sich in den Ergebnissen kaum Abweichungen zur Parlamentswahl ab. Nur die Türkenpartei DPS bekommt deutlich weniger Zuspruch – 11,7 Prozent. Das liegt daran, dass die in der Türkei lebenden rund 300.000 bulgarischen Staatsbürger mit doppelter Staatsbürgerschaft nicht berechtigt sind, an der Wahl zum Europaparlament teilzunehmen.
Im Wahlkampf ging es um Innenpolitik. Wenn überhaupt europapolitische Themen angesprochen wurden, dann ausschließlich aus der Überlegung heraus, wie sich das auf die Regierungsbildung in Sofia auswirken würde. Das gilt selbst für so wichtige Themen, wie die Euro-Einführung ab 2025 und der volle Schengen-Beitritt.