Von: APA/AFP/dpa
Wenige Tage nach der Amtseinführung des neuen taiwanesischen Präsidenten Lai Ching-te hat China den Unabhängigkeitsbefürwortern in Taiwan in drastischen Worten mit einem Blutvergießen gedroht. “Die Unabhängigkeitskräfte werden mit zerschmetterten Schädeln und im Blut enden”, nachdem sie mit Chinas “großem” Vorhaben der “vollständigen Vereinigung” mit Taiwan konfrontiert wurden, sagte Außenamtssprecher Wang Wenbin am Donnerstag in Peking.
Die aktuellen chinesischen Militärübungen rund um Taiwan nannte er eine “ernsthafte Warnung”. Zuvor hatte China eine großangelegte Militärübung um die Insel Taiwan begonnen. “Dies ist auch eine harte Strafe für die separatistischen Kräfte einer Unabhängigkeit Taiwans und eine ernsthafte Warnung gegen Einmischung und Provokation durch externe Kräfte”, erklärte der Sprecher des Ost-Verbandes der Volksbefreiungsarmee, Marine-Oberst Li Xi, am Donnerstag.
Heer, Marine, Luftwaffe und die Raketenstreitkräfte würden seit Donnerstag in der Früh (Ortszeit) bis Freitag Übungen in der Meerenge zwischen China und Taiwan (Taiwanstraße) und um Taiwan abhalten. Das chinesische Militär will den Angaben zufolge die gemeinsame Kampfbereitschaft zu Wasser und in der Luft sowie den Angriff auf Schlüsselziele trainieren. Schiffe und Flugzeuge würden sich Taiwan von Norden, Süden und Osten für “Patrouillen” nähern und auch mehreren Inseln nahekommen, etwa dem nur wenige Kilometer vom chinesischen Festland entfernten Eiland Kinmen. Die Taiwanstraße ist an ihrer engsten Stelle rund 130 Kilometer breit. Das Verteidigungsministerium in Taipeh sprach am Donnerstag von mindestens 15 Schiffen der chinesischen Marine, 16 Schiffen der chinesischen Küstenwache und mehr als 40 chinesischen Kampfflugzeugen, die rund um die Insel gesichtet worden seien.
Der Militärexperte Zhang Chi sagte im chinesischen Staatsfernsehen, China simuliere eine Blockade Taiwans. Die Armee wolle damit üben, Energieimporte “als Lebensader” nach Taiwan zu stoppen, Fluchtwege für Taiwans Politiker ins Ausland abzuschneiden und Unterstützung von Verbündeten wie den USA zu verhindern. Die Übung dürfte damit die größte seit April 2023 sein, bei der China ebenfalls eine Blockade probte.
Der Wissenschafter Su Tzu-yun vom taiwanesischen Institut für nationale Verteidigungs- und Sicherheitsforschung sagte, zwar sei das Manöver mit einer angekündigten Dauer von zwei Tagen kürzer als frühere Übungen. Allerdings umfasse es mit einer Einbeziehung der Meeresregion rund um die Taiwan vorgelagerten Inseln ein ungewöhnlich großes Gebiet. “Die politischen Signale sind hier wichtiger als die militärischen”, bilanzierte er. “Peking zeigt Muskeln”, sagte der Wissenschafter Wen-Ti Sung von der US-Forschungseinrichtung Atlantic Council. “Aber das ist nur ein Signal. Die tatsächliche ‘Strafe’ könnte noch kommen.”
Die Regierung in Taipeh reagierte mit scharfer Kritik auf die chinesischen Militärübungen. Das Verteidigungsministerium verurteilte Chinas “irrationale Provokationen und Handlungen, die den Frieden und die Stabilität in der Region untergraben, auf das Schärfste”. Präsident Lai äußerte sich später auf einem Militärstützpunkt in Taoyuan. “Ich werde mit unseren Brüdern und Schwestern an der Frontlinie stehen, um gemeinsam die nationale Sicherheit zu verteidigen”, sagte er, ohne die chinesischen Militärübungen direkt anzusprechen. “Im Angesicht von Herausforderungen und Bedrohungen von außen werden wir weiter die Werte der Freiheit und Demokratie verteidigen und Frieden und Stabilität in der Region bewahren.”
Der taiwanesische Vize-Verteidigungsminister Po Horng-huei sagte, das Ziel sei diesmal offensichtlich zu zeigen, dass China Kontrolle über die Region habe. Anders als bei einer groß angelegten Übung nach dem Besuch der damaligen Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, in Taiwan im August 2022, habe China diesmal keine Verbotszonen für Schiffe oder Flugzeuge ausgewiesen, erklärte er.
Im morgendlichen Bericht des taiwanesischen Verteidigungsministeriums über die Aktivitäten der Volksbefreiungsarmee in den zurückliegenden 24 Stunden war lediglich die Rede von einem chinesischen Kampfflugzeug und acht Marineschiffen um Taiwan. Die Zahlen könnten womöglich erst im freitäglichen Bericht deutlich höher ausfallen. Von chinesischer Seite lagen zunächst keine Zahlen vor.
Taiwans Verteidigungsministerium verurteilte die Militärübung als “irrationale Provokation”, die den Frieden und die Stabilität in der Straße von Taiwan gefährde. Taiwanesische Streitkräfte zu Wasser, am Boden und in der Luft seien entsendet worden, um “Freiheit und die Demokratie mit praktischen Handlungen” zu verteidigen, hieß es aus Taipeh. Weitere Details zu den Maßnahmen nannte das Ministerium nicht. “Es ist bedauerlich, die einseitigen Militärprovokationen zu sehen, die Taiwans Demokratie und Freiheit genauso wie Frieden und Stabilität gefährden”, sagte Präsidentensprecherin Kuo Ya-hui.
Hintergrund der nun angekündigten Übung dürfte die Vereidigung des taiwanesischen Präsidenten am vergangenen Montag sein. Seine Demokratische Fortschrittspartei (DPP) hatte im Jänner die Präsidentschaftswahl gewonnen und steht für eine Unabhängigkeit Taiwans, obwohl Lai bisher nicht andeutete, diese offiziell erklären zu wollen. Die regierende Kommunistische Partei in Peking wirft der DPP Separatismus vor. Die chinesische Führung hatte Lais Antrittsrede als gefährliches Signal für eine Unabhängigkeit Taiwans gewertet und las darin einen radikaleren Ansatz heraus. Lai hatte etwa gefordert, dass China Taiwans Existenz akzeptieren müsse.
China betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz, obwohl dort seit Jahrzehnten stets unabhängige und demokratisch gewählte Regierungen an der Macht sind. Die Führung in Peking hat bereits mehrmals damit gedroht, die mehr als 23 Millionen Einwohner zählende Insel und das Festland mit militärischen Zwangsmitteln zu vereinen. Neben regelmäßigen Übungen der Streitkräfte fliegen beinahe täglich Kampfflugzeuge in Richtung Taiwan, um die militärische Macht der Volksbefreiungsarmee zu demonstrieren.
Die Übung dürfte auch den Verbündeten Taiwans als Warnung gelten und insbesondere den USA, die der Inselrepublik für den Verteidigungsfall Unterstützung zugesichert haben und ihr zum Ärger Pekings regelmäßig Waffen liefern.