Plakolm plädiert für mehr Eigenständigkeit der EU

Plakolm fordert mehr Tempo bei EU-Erweiterung

Donnerstag, 10. April 2025 | 06:13 Uhr

Von: apa

Europaministerin Claudia Plakolm (ÖVP) fordert mehr Tempo bei der EU-Erweiterung. Am Westbalkan müssten “endlich spürbare Schritte für die Bevölkerung erfolgen”, sagte Plakolm im APA-Interview. Sie wünsche sich, dass die EU erste Beitrittskandidaten “in wenigen Jahren”, jedenfalls bis 2030 aufnimmt. Angesichts der aggressiven Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump fordert sie, Europa müsse “das Heft des Handelns selbst in die Hand nehmen”, anstatt bloß zu hoffen.

“Seit über 20 Jahren keine Fortschritte am Westbalkan”

Plakolm beanstandet, dass “wir seit über 20 Jahren über den Westbalkan sprechen, aber keine wesentlichen Fortschritte gemacht werden, weil meistens Nachbarländer auf der Bremse stehen”. In diesem Zusammenhang kann sich Plakolm auch eine Einschränkung der Vetomöglichkeiten in der EU vorstellen. Es wäre “sinnvoller, manche Schritte schneller machen zu können, und erst zum Ende des gesamten Prozesses wieder auf die Einstimmigkeit zurückzukommen. Aber ich halte es schon für wichtig, dass wir in zentralen Fragen die Einstimmigkeit und das Gespräch miteinander finden.”

Die EU riskiere, an Glaubwürdigkeit am Westbalkan zu verlieren, warnte die Europaministerin. “Es besteht die Gefahr, wenn wir die europäische Integration versäumen, dass der Westbalkan zum Spielball anderer geopolitischer Mächte wird”, meinte sie in offensichtlicher Anspielung auf die versuchte regionale Einflussnahme von Großmächten wie Russland oder China. “Man spürt, insbesondere, wenn wir an die Demonstrationen in Serbien denken, dass die Bevölkerung bereit ist für Reformen, für die europäische Integration, mehr denn je, und dass sie jetzt endlich auch spürbare Verbesserungen braucht. Man sieht, dass das auch von einer Jugend getragen ist, von Studierenden, die auf die Straße gehen und von der Politik Dinge einfordern”, erklärte die 30-jährige Ministerin für Europa, Integration und Familie.

Die EU sollte fortgeschrittene Beitrittskandidaten im Rahmen einer “graduellen Integration” an EU-Programmen teilnehmen lassen, plädierte Plakolm. “Das kann zum Beispiel in einer besseren wirtschaftlichen Zusammenarbeit passieren mit spürbarem Nutzen für die Bevölkerung und für die Unternehmen am Westbalkan, was natürlich gleichzeitig mit Verpflichtungen einhergeht. Man kann hier schon einen Fuß nach dem anderen setzen und in Ländern, die schon gut dabei sind europäische Programme ausweiten oder starten.” Als am weitesten fortgeschritten stufte Plakolm die EU-Beitrittskandidaten Montenegro, Nordmazedonien und Albanien ein. Auf die Nachfrage, ob für diese Länder ein Beitritt bis 2030 realistisch sei, meinte die Europaministerin: “Hoffentlich, das würde ich mir wünschen.”

“Westbalkan deutlich weiter vorne als die Ukraine”

Dass die Ukraine den EU-Kandidatenstatus erhalten habe, sei eine geopolitische Entscheidung gewesen”, so Plakolm. Es sei klar, “dass wir uns zur Unterstützung der Ukraine als Österreich, als Europäische Union, bekennen. Denn hier ist ein Land überfallen worden am 24. Februar 2022 auf europäischem Boden. Und eine stärkere Annäherung an unsere europäische Prinzipien, an unsere Werte, kann ja nur vorteilhaft sein.” Doch selbst wenn der Angriffskrieg Russlands ein baldiges Ende finde, “wird die Ukraine nicht von einem Tag auf den anderen bereit sein, Mitgliedsland der Europäischen Union zu werden”. Dieser Prozess habe bei manchen Ländern über 20 Jahre gedauert, erinnerte Plakolm und ergänzte: “Da ist der Westbalkan deutlich weiter vorne als die Ukraine.”

Einen vom deutschen Ex-Außenminister Sigmar Gabriel vorgeschlagen EU-Beitritt Kanadas, das sich vehement gegen Trumps Annexionsvorstellungen wehrt, kann Plakolm wenig abgewinnen. “Es befinden sich genug Beitrittskandidaten im Wartezimmer.” Gerade in Hinblick auf Kanada wäre aber zentral, dass die EU ihre internationalen Partnerschaften stärke.

“Europa als altes Schiff im Meer”

Angesichts des “globalen Sturms”, der aktuell nicht zuletzt wegen der forschen Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump um den Erdball fegt, forderte die ÖVP-Politikerin europäisches Selbstbewusstsein: “Wichtig ist, dass wir uns nicht zurückziehen als Europa, dass wir unsere strategische Souveränität fokussieren, nicht auf die Gnade anderer angewiesen sind und als starker Partner in der Welt wahrgenommen werden, und nicht als Spielball zwischen globalen Mächten.” Plakolm verglich Europa im APA-Gespräch mit einem “alten Schiff”, das im Meer steht und darauf hofft, dass endlich der Wind von der richtigen Richtung bläst. “Aber eigentlich könnte man die Segel auch selbst so drehen, dass man davon profitiert.”

Sollte die EU dann auch das Handelsabkommen mit den Mercosur-Staaten Südamerikas abschließen? Diesbezüglich sieht Plakolm, die kürzlich an einer Videoschaltung von Mercosur-kritischen EU-Ländern auf Initiative Frankreichs teilnahm, noch Gesprächsbedarf. “Österreich ist nicht allein. Es ist wichtig, dass wir Wege finden, diese Sorgen aus dem Weg zu räumen. Wiewohl es wichtig ist, dass wir hier einen klugen Mittelweg finden, dass wir diesen neuen Absatzmarkt für unsere Industrie – insbesondere die Autoindustrie – erschließen können. In Österreich verdienen wir mittlerweile zwei von drei Euros durch Exporte. Und deswegen ist so wichtig, dass wir uns auf internationale Partnerschaften stärker besinnen können.”

Plakolm begrüßt den von der EU-Kommission vorgeschlagenen Plan zur Aufrüstung Europas (ReArm Europe Plan/Readiness 2030). “Ich bin sehr froh darüber, dass wir unsere eigene Verantwortung sehen, indem wir uns auf solide Beine stellen, was unsere Wehrhaftigkeit, unsere Verteidigung betrifft.” Österreich werde im Rahmen seiner Verfassung die Möglichkeiten, die sich bieten, insbesondere was die Finanzierung betrifft, auch wahrnehmen.

Österreichs Haltung zum EU-Budget als Nettozahler unverändert

In Hinblick auf die bevorstehenden Verhandlungen über das nächste EU-Mehrjahresbudget nach 2027 betonte Plakolm, dass Österreich, das aktuell selbst mit einem hochen Budgetdefizit zu kämpfen hat, sich weiterhin für einen sparsamen Haushalt einsetzen wolle. “Unsere Haltung ist insofern unverändert, weil auch unser Status unverändert sein wird, dass wir Nettozahler in der Europäischen Union sind. Deswegen plädieren wir selbstverständlich dafür, dass wir einen sorgsamen und klugen Umgang mit den finanziellen Ressourcen der Europäischen Union treffen. Es würde ein gewisses Effizienzpotenzial, Einsparpotenzial liefern, wenn wir uns weniger in Details und im Klein-Klein verlieren. Also soll sich das auch im mehrjährigen Finanzrahmen zeigen, dass wir uns um die großen Fragen kümmern: Sicherheit, Verteidigung und Asyl und Migration, Wettbewerbsfähigkeit.” Auf die Frage, ob auch das geplante europäische Luftverteidigungsprojekt Sky Shield von der EU gefördert werden könnte, sagte Plakolm: “Auch solche Dinge kann man andenken, ja.”

Dialog mit Orbán nicht verwehren

Mit Kritik an Ungarns Blockadehaltung gegenüber EU-Beschlüssen hält sich die Europaministerin zurück. “Was Europa immer stark gemacht hat, ist der Dialog”, betonte sie. Auf die Frage, ob sie die von Ungarns Premier Viktor Orbán forcierte Stimmungsmache gegen die EU in Ordnung finde, antwortete Plakolm: “Nein. Und diese Dinge sprechen wir ja auch ganz klar an. Aber ich glaube, es stärkt tatsächlich nur die Position eines einzelnen Mitgliedslandes, wenn man den Dialog verwehrt.” Dass Ungarn aus dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) austreten wolle, müsse man akzeptieren, weil jedes Land selbst entscheide. Es seien auch große Demokratien wie die USA oder Israel nicht Teil des IStGH.

Konsequenzen für digitale Plattformen gefordert

In Hinblick auf die große digitalen Plattformen wie TikTok plädiert Plakolm für eine stärkere Regulierung durch die EU. “Wir haben ein Regelwerk mit dem Digital Services Act (DSA). Dieses Regelwerk muss ins Laufen kommen und funktionieren. Wir müssen die Möglichkeit haben, Konsequenzen einzufordern von Plattformen, die nicht kooperieren wollen, die nicht bereit sind, radikale, demokratiegefährdende Inhalte, extremistische Inhalte, zu löschen.” Ein Verbot könne aber nur letzte Konsequenz sein, da sich das Problem ansonsten nur auf andere Kanäle verlagere.

(Das Gespräch führten Thomas Schmidt und Edgar Schütz/APA)

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