"Hinweise auf eine Mitte-rechts-Koalition" nach der Wahl

Politologe Pallaver sieht keinen Kompatscher-Sturz

Sonntag, 15. Oktober 2023 | 08:01 Uhr

Von: apa

Bozen – Der Politologe Günther Pallaver sieht eine Woche vor der Südtiroler Landtagswahl den Landeshauptmann-Sessel für Arno Kompatscher (SVP) voraussichtlich gesichert. “Die SVP wird sicher das schlechteste Ergebnis in ihrer Geschichte einfahren”, erwartet der Südtirol-Experte im APA-Interview. Dennoch sei Kompatscher wohl nur bei einem Absturz um zehn Prozentpunkte auf rund 32 Prozent in Gefahr, wenn zudem dessen Vorzugsstimmen “in den Keller fallen”. Beides sei nicht zu erwarten.

Vielmehr würden aktuelle Umfragen Kompatscher als einen der Politiker mit den höchsten Sympathiewerten ausweisen. Ein Ergebnis von 35 Prozent für die SVP, was einem Verlust von sieben Prozentpunkten entsprechen würde, wäre wohl noch nicht mit einem Wechsel an der Spitze der Südtiroler Volkspartei – Parteiobmann ist Philipp Achammer – und im Landeshauptmann-Amt verbunden. “Ich gehe davon aus, dass Kompatscher auch der neue Landeshauptmann sein wird”, sagte der ehemals an der Universität Innsbruck tätige Wissenschafter.

2013 hatte die SVP die absolute Mandatsmehrheit verloren. Bei der Landtagswahl 2018 war man trotz eines weiteren Minus immer noch auf 41,9 Prozent bzw. 15 der 35 Landtagsmandate gekommen. Aktuelle Umfragen wiesen für die Partei des amtierenden Landeshauptmannes zuletzt nunmehr 35 oder gar nur 32 Prozent der Stimmen aus.

“SVP nicht mehr Sammelpartei”

Indes sieht Pallaver den Status als “Sammelpartei” für die SVP verloren. Aufgrund der nunmehr abgesicherten Autonomie und des Minderheitenschutzes sei der “ethnische Kitt” verloren gegangen. Viele hätten bisher “beide Augen zugedrückt und trotzdem die Volkspartei gewählt, um eine gute Vertretung gegenüber dem Staat zu haben.” Da der Verlust der Autonomie oder der Minderheitenrechte nun jedoch “keine präsente Gefahr” mehr sei, verschwinde dieser Effekt. Solange sich diese Bedingungen nicht unerwarteterweise radikal ändern würden, sei dieser Prozess “mittelfristig nicht mehr reversibel”, prognostizierte der Südtiroler Politikwissenschafter.

Der Wahlkampf sei indes bisher “eher ruhig” verlaufen, seit zwei Wochen ziehe er nun merklich an, beobachtet der Politologe. Das würden Auftritte italienischer Politiker wie des Vizepremiers und Verkehrsministers Matteo Salvini (Lega) in Südtirol verdeutlichen. Teilweise werde nun auch Wahlkampf “unter der Gürtellinie” geführt, meinte Pallaver etwa mit Verweis auf die Causa von äußerlich an Verbandszeitungen angelehnte Broschüren der Liste “Für Südtirol mit Widmann”.

Bei der Wahl am kommenden Sonntag erwartet die Wählerinnen und Wähler nun ein besonders fragmentiertes Parteiensystem. 16 Listen rittern um 35 Sitze im Südtiroler Landtag. Zuletzt sei dies vor 30 Jahren der Fall gewesen, erinnerte Pallaver. Neu sei dabei, dass die Fragmentierung auch die deutschsprachigen Parteien erfasst habe. Bisher sei das Maximum bei fünf deutschsprachigen Parteien gelegen, nun würden acht Listen zur Wahl antreten. Dass die SVP die “große Mehrheit der Minderheit” vertritt, sei nun “rein arithmetisch nicht mehr der Fall.”

Ein Parlament mit vielen Parteien sei dabei nicht automatisch instabiler, so Pallaver. Es komme auf die Regierungsmehrheit an. “Wenn die Regierung eine stabile Mehrheit hat, können im Parlament eine ganze Menge an Parteien sitzen”, sagte der Politologe. Die SVP werde nun allerdings wohl zwei Partner brauchen, um eine Regierung zu bilden. Dies sei jedoch nicht neu. Entgegen einer weitverbreiteten Vorstellung habe die SVP “jahrzehntelang immer mit zwei italienischen Parteien koaliert.”

“Hinweise auf eine Mitte-rechts-Koalition” nach der Wahl

Die Zusammensetzung der künftigen Landesregierung hänge nun vom tatsächlichen Abschneiden der SVP und des amtierenden Landeshauptmanns bei den Vorzugsstimmen ab. Dabei sieht der Südtirol-Experte “Hinweise auf eine Mitte-rechts-Koalition” nach der Wahl. Als wahrscheinliche Partner galten dabei die italienischen Rechtsparteien Lega (der bisherige Koalitionspartner) und die “Fratelli d’Italia” der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Die SVP habe sich bei der Regierungsbildung historisch immer auch an der Regierung in Rom orientiert, ein “Spiegelbild” gebildet, betonte der Politikwissenschafter.

Kürzlich sei zudem ein Autonomie-Paket für Südtirol dem zuständigen Minister übergeben worden, erinnerte Pallaver. Für dessen Verwirklichung sei die Zustimmung der italienischen Regierung erforderlich. Auch würde die SVP bei einer etwaigen Koalition mit einer weiteren deutschsprachigen Partei den “Alleinvertretungsanspruch”, den die Volkspartei historisch immer erhoben hatte, aufgeben. “Das wird die SVP vermeiden”, analysierte der Politologe.

Dem zu erwartenden Aufschrei nach einer Koalitionsbildung mit der als postfaschistisch geltenden “Fratelli” könnte die SVP mit einer Präambel begegnen. Bereits bei der Bildung der aktuell amtierenden Koalition mit der Lega war diese Variante zur Anwendung gekommen. In der Erklärung waren Bekenntnisse für Minderheiten, Autonomie und Europa festgeschrieben und von der Lega auch unterzeichnet worden. “Ich könnte mir vorstellen, dass es diesmal in dieselbe Richtung geht”, meinte Pallaver.

Bezirk: Bozen