Von: APA/dpa/Reuters/AFP
Bei Protesten nach der Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu ist es in verschiedenen Städten der Türkei zu Zusammenstößen zwischen Demonstrierenden und Polizei gekommen. In den Großstädten Istanbul, Izmir, Ankara und Eskisehir etwa ging die Polizei teilweise mit Tränengas und Wasserwerfern gegen Demonstrierende vor, wie verschiedene Nachrichtenportale schrieben.
Medien und Oppositionspolitiker teilten mit, es seien in Ankara Plastikgeschosse gegen Demonstrierende eingesetzt worden. Das Kommunikationsdirektorat der Regierung bezeichnete dies als Falschinformation.
Medien zufolge gingen auch etwa in Adana, Izmir und weiteren türkischen Städten Menschen auf die Straße. In der Hauptstadt Ankara schlossen sich Parlamentsabgeordnete zu einem Protestmarsch zusammen.
Imamoglus Partei “nun auf der Straße”
Bei einer Großdemonstration vor dem Stadtverwaltungsgebäude in Istanbul sagte der Vorsitzende der Partei Imamoglus, Özgür Özel, niemand solle von der CHP erwarten, Politik in Sälen und Gebäuden zu machen. “Von nun an sind wir auf der Straße.” Innenminister Ali Yerlikaya schrieb auf der Plattform X von sechs bei Protesten in Istanbul verletzten Polizisten.
Imamoglu war am Mittwoch gemeinsam mit vielen weiteren Menschen festgenommen worden, wenige Tage vor seiner geplanten Nominierung als Präsidentschaftskandidat der größten Oppositionspartei. Begründet wurde dies von der Staatsanwaltschaft mit Terror- und Korruptionsvorwürfen. Oppositionelle wie auch Beobachter werfen der Regierung vor, mit ihrem Vorgehen gegen Imamoglu einen politischen Konkurrenten ausschalten zu wollen.
Imamoglu ist derweil weiterhin in Gewahrsam auf einer Istanbuler Polizeidirektion und wurde am Abend einer Gesundheitsuntersuchung unterzogen, schrieben Medien.
“Müssen gegen Übel aufstehen”
“Wir müssen als Nation gegen dieses Übel aufstehen”, schrieb Imamoglu zuvor auf X. Er rief auch Mitglieder der Justiz und von Erdogans Regierungspartei auf, gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen. “Diese Ereignisse gehen über unsere Parteien und politischen Ideale hinaus”, schrieb der Politiker. “Der Prozess betrifft jetzt unser Volk, nämlich Ihre Familien. Es ist an der Zeit, unsere Stimme zu erheben.”
Erdogan weist Kritik als “Theatralik” zurück
Erdogan tat in seiner ersten Stellungnahme Kritik der Opposition an der Festnahme als übertriebene Reaktion ab. “Wir haben weder Zeit für sinnlose Debatten zu verschwenden, noch Unmengen an Geld, mit denen wir leichtfertig umgehen können”, sagte Erdogan am Donnerstag in einer Ansprache in Ankara. Die Ziele der oppositionellen Republikanischen Volkspartei “sind nicht die Themen des Landes, sondern die Themen einer Handvoll Opportunisten in ihrem Hauptquartier”. Der Präsident erklärte: “Wir haben keine Zeit für die Theatralik der Opposition zu verschwenden.”
Die Regierung weist die Vorwürfe zurück und warnt davor, Erdogan mit Imamoglus Festnahme in Verbindung zu bringen. Das sei der “Gipfel politischer Unvernunft”, sagte AKP-Sprecher Ömer Celik. Die Regierung verhängte ein viertägiges Versammlungsverbot und schränkte den Zugang zu einigen sozialen Medien ein. Am Donnerstag sperrte die Polizei in Istanbul Straßen ab und postierte Wasserwerfer in der Nähe der Polizeistation, in der Imamoglu festgehalten wird.
Verhaftungen wegen Social-Media-Beiträgen
Innenminister Ali Yerlikaya sagte am Donnerstag, dass 37 Personen festgenommen worden seien, weil sie “provokative Social-Media-Beiträge” veröffentlicht hätten, die zu Straftaten und Hass aufgestachelt hätten. Zudem seien 261 Social-Media-Konten identifiziert worden, darunter 62 im Ausland. Insgesamt seien bis Donnerstag mehr als 18 Millionen Beiträge auf X zu dem Thema veröffentlicht worden. Die Behörden beschlagnahmten auch ein Bauunternehmen, an dem Imamoglu beteiligt ist, wie die Istanbuler Generalstaatsanwaltschaft mitteilte.
Die sozialen Medien waren unterdessen weiterhin nur eingeschränkt verfügbar. Der in der Türkei bekannte Cyberrechts-Aktivist Yaman Akdeniz schrieb auf X, die Bandbreitendrosselung der Plattformen halte an. Nutzer und Medien berichten seit Mittwoch von nur teilweise und kaum erreichbaren Portalen.
CHP will weiterhin über Kandidat abstimmen
Neben Imamoglu wurden mehr als hundert weitere Menschen festgenommen, darunter Mitarbeiter des Bürgermeisters, Abgeordnete und CHP-Mitglieder. Örtliche Medien berichteten, dass die gemeinsam mit Imamoglu Festgenommenen von der Polizei verhört wurden – Imamoglu selbst wurde demnach noch nicht befragt. Mit dem Vorgehen gegen den 54-Jährigen erreicht die seit Monaten andauernde Verfolgung von Oppositionellen einen neuen Höhepunkt. Kritiker sehen darin den Versuch, die Wahlchancen der Opposition mit juristischen Mitteln zu schwächen.
Die CHP rief unterdessen alle Menschen in der Türkei dazu auf, am Sonntag über seine Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten für die Wahlen 2028 abzustimmen. Neben jeder der rund 4.000 landesweit aufgestellten Wahlboxen für die 1,7 Millionen Parteimitglieder würden zusätzlich symbolisch “Solidaritätswahlboxen” aufgestellt. CHP-Chef Özgur Özel wollte gegen 18.30 MEZ vor dem Istanbuler Rathaus zu seinen Anhängern sprechen, wie ein Sprecher mitteilte.
Kritik an Festnahme aus Österreich
Das österreichische Außenministerium übte Kritik an der Verhaftung des Oppositionspolitikers. “Wir machen uns große Sorgen über die Inhaftierung des Bürgermeisters von Istanbul, Ekrem Imamoğlu! Respekt vor dem Rechtsstaat und einer starken Zivilgesellschaft sind lebensnotwendig für die Beziehung der Türkei mit Europa!”, schrieb das Ministerium am Mittwoch auf seinen Social-Media-Plattformen.
Auch die außenpolitische Sprecherin der SPÖ, Petra Bayr, und SPÖ-Bundesratsfraktionsvorsitzender Stefan Schennach kritisierten die Festnahme von Imamoglu am Donnerstag in einer Aussendung. “Das ist ein weiterer trauriger Höhepunkt im antidemokratischen Agieren der Türkei unter Präsident Erdogan”, wurde mitgeteilt. Die Festnahme kurz vor der Wahl zum Präsidentschaftskandidaten sei “politisch motiviert”.
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