Von: mk
Bozen – Drei Gespräche zu für Südtirol wichtigen Themen hat Landeshauptmann Arno Kompatscher in dieser Woche mit EU-Erweiterungskommissar Olivér Várhelyi, EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni und Kommissions-Vizepräsidentin Dubravka Šuica per Videokonferenz geführt. Ursprünglich waren im Rahmen einer Delegationsreise Kompatschers nach Brüssel mehrere persönliche Treffen geplant. Aufgrund des allgemeinen aktuellen Corona-Infektionsgeschehens wurde die Reise abgesagt; einige Treffen konnte der Landeshauptmann jedoch in Videokonferenz abhalten.
Nach dem Gespräch am Dienstag mit EU-Erweiterungskommissar Olivér Várhelyi zur Frage der zu erwartenden Arbeits- und Absatzmärkte durch den EU-Erweiterungsprozess folgte am Mittwoch ein ausführlicher Austausch mit EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni zum Recovery Fund, Brennerkorridor und zur allgemeinen wirtschaftlichen Lage.
Recovery Fund: Südtirol legt Projekte in Höhe von 2,3 Milliarden Euro vor
Der Landeshauptmann berichtete dem EU-Wirtschaftskommissar, dass Südtirol Projekte für den Recovery Fund mit einem Investitionsvolumen von rund 2,3 Milliarden Euro ausfindig gemacht habe. Man sei auch in der Lage, diese konkret umzusetzen, erklärte Kompatscher: “Allein für die Umsetzung der geplanten Erschließung mit Breitband sind Investitionen von rund 350 Millionen Euro nötig.”
Nötig sei auch ein klarer Fortschritt auf dem Brennerkorridor. Einerseits müsse man die Arbeiten im Rahmen des Brennerbasistunnels BBT mit Überzeugung vorantreiben und das Betriebskonzept in europäischer Logik voranbringen, um den großen Erwartungen in dieses Projekt gerecht werden zu können. Andererseits müsse der bestehende Verkehrsfluss in einer klaren Korridorlogik organisiert werden. Mit zunehmender Erholung der Wirtschaft schwelle auch der Verkehrsfluss an: “Dementsprechend gilt es jetzt, die Weichen richtig zu stellen”, mahnte der Landeshauptmann. Eine Prognose zur allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung in den kommenden Monaten sei aktuell schwierig: “Umso mehr gilt es, die Chancen zu nutzen, welche die europäischen Instrumente für Italien und Südtirol bieten.”
Šuica begrüßt Minority-Safepack-Initiative
Mit Kommissions-Vizepräsidentin Dubravka Šuica erörterte der Südtiroler Landeshauptmann die Themen Migration, demografischer Wandel sowie die damit zusammenhängenden Herausforderungen für die europäische Demokratie. Zudem warb der Landeshauptmann für den Minority Safepack. Dazu findet am heutigen Donnerstag eine öffentliche Anhörung im Europäischen Parlament stattfindet. Die Kommissions-Vizepräsidentin begrüßte die Initiative und bekräftigte ihre Unterstützung.
Demographischer Wandel als demokratische Bewährungsprobe
Demokratie und Demografie sind die Zuständigkeiten von EU-Kommissarin und Kommissions-Vizepräsidentin Dubravka Šuica. Für viele Bürgerinnen und Bürger seien das abstrakte Begriffe, beträfen aber sehr alltägliche und lebensnahe Herausforderungen, und die gelte es zu meistern. Die Kommissarin berichtete über die Langzeitstrategie, um den ländlichen Raum stärker als Wirtschafts- und Innovationsraum zu sichern. Auch Themen wie das aktive Altern und die Chancengerechtigkeit in unserer Gesellschaft seien eng mit den wirtschaftlichen und demographischen Entwicklungen verknüpft. Landeshauptmann Kompatscher betonte: “Unsere Gemeinschaft ist in einem tiefgreifenden Wandel begriffen. Einer zunehmend älter werdenden Gesamtbevölkerung stehen weniger junge Menschen im Erwerbsalter gegenüber.” Damit sei eine Reihe von Herausforderungen verbunden: “Das ist eine Hypothek auf die Zukunft. Sie stellt nicht nur die öffentlichen Haushalte, sondern auch das demokratische System auf eine harte Probe.”
Mit legaler Zuwanderung, illegale Einwanderung unter Kontrolle bringen
Eine aktive europäische Migrationspolitik, die legale Zuwanderung organisiere, könne einen entscheidenden Beitrag zur Lösung leisten, unter der Voraussetzung, dass die illegale Einwanderung besser unter Kontrolle gebracht werde. Šuica hatte sich bereits in der Vergangenheit dafür ausgesprochen, die Dublin-Regeln zu überarbeiten. Man müsse eine klare Abgrenzung zwischen Asyl- und Migrationspolitik vornehmen. Durch eine aktive Migrationspolitik könne man Europa in die Lage versetzen, aus Zuwanderung einen Gewinn für die Gemeinschaft zu machen. Kompatscher erinnert in diesem Zusammenhang an die jüngste Überarbeitung des italienischen Sicherheitsdekrets und seine Forderung, endlich den Rechtsstatus von Personen, die auf Abschiebung warten, genauer zu klären. Bereits 2018 habe man den damaligen Innenminister davor gewarnt, dass der eingeschlagene Weg dazu führen werde, dass anteilsmäßig mehr Asylbewerber mit entsprechenden Begleiterscheinungen auf der Straße enden. Dies sei nun eingetreten. Jetzt gelte es, auf Grundlage von soliden humanistischen Werten die richtigen Konsequenzen daraus zu ziehen.
“Für die langfristige Stabilität der Europäischen Gemeinschaft reicht es nicht aus, allein auf Klimaschutz, Digitalisierung und Technologie zu setzen”, zeigte sich der Landeshauptmann überzeugt: “Wir müssen auch an einem soliden gemeinsamen Wertefundament arbeiten, das den großen Wunsch wachhält, Europäerinnen und Europäer zu sein, und so nationalistischen Tendenzen den Nährboden entzieht.“