Von: mk
Rom/Bozen – Am 4. Dezember sollen die Bürger in Italien im Rahmen eines Referendums über die neue Verfassung abstimmen. Der Ministerrat in Rom hat den Termin am Montagabend festgelegt.
Mit der Reform würde der Senat und damit das Zweikammersystem in seiner derzeitigen Form abgeschafft.
Kritik der BürgerUnion und der Süd-Tiroler Freiheit
Als “Mega-Falle für die Südtiroler” bezeichnet der Landtagsabgeordnete Andreas Pöder (BürgerUnion) das Verfassungsreferendum.
„Denn letztlich sprechen sich die Südtiroler damit entweder für die neue oder für die alte Verfassung Italiens aus, ohne dabei je über den eigenen völkerrechtlichen Status abgestimmt zu haben. Man stimmt sozusagen darüber ab, welche Farbe die Leine haben soll, mit der Südtirol an Rom gebunden ist. Es gibt nur eine Entscheidung zwischen dem ´Italien der alten Verfassung´ oder ´dem Italien der neuen Verfassung´“, so der Abgeordnete. Dass dabei das größere Übel die neue Verfassung ist und man deshalb mit Nein stimmen sollte, mache die völkerrechtliche Problematik des Verfassungsreferendums auch nicht besser, bemängelt Pöder.
„Mitstimmen heißt mitmachen: Wenn man bisher immer darauf bedacht war, als Land Südtirol auf Distanz zum Staat zu bleiben, gibt man diese Distanz durch die Zustimmung zur einen oder anderen Verfassung auf. Die Südtiroler als Minderheit riskieren dabei die internationale Absicherung der Autonomie durch den Pariser Vertrag abzuschwächen oder gar zu verlieren. Südtirol und vor allem die deutsche Volksgruppe und die ladinische Volksgruppe haben innerhalb des Staates einen Sonderstatus, der bislang international abgesichert war. Zudem haben die Südtiroler nie über den eigenen Status abstimmen können, es gab noch keine Volksabstimmung über die staatliche Zugehörigkeit Südtirols. Auf jeden Fall droht Südtirol beim bevorstehenden Verfassungsreferendum ein Knieschuss: Es könnte völkerrechtlich auch so ausgelegt werden, dass man sich in jedem Fall für die eine oder andere Verfassung Italiens ausspricht und somit in auch die Südtirolfrage zu einer rein inneritalienischen Angelegenheit macht“, befürchtet Pöder.
Zwar könnte man laut Pöder diese Frage auch für die Beteiligung an Parlamentswahlen oder anderen Referenden stellen, aber da sei es nicht präzise um die Verfassung gegangen bzw. bei Parlamentswahlen könnten die Südtiroler eigene Vertreter ins Parlament schicken. „Mitstimmen heißt auf jeden Fall mitmachen und das könnte für Südtirol eine Falle sein“, so Pöder abschließend.
Als Skandal und Armutszeugnis bezeichnet die Süd-Tiroler Freiheit vor allem die Fragestellung, die zur Abstimmung kommen wird. „Die Abstimmungsfrage könnte suggestiver und einseitiger nicht sein. Es ist auch weniger eine Frage, sondern vielmehr eine Werbung für das Ja. Renzi führt die Demokratie ad absurdum“, kritisiert Stefan Zelger, Landtagssekretär und Landesleitungsmitglied der Bewegung.
„Der Wähler wird gefragt, ob er für Kostensenkungen, weniger Parlamentarier, weniger Kommissionen und die ‚Überwindung‘ der zweiten Kammer ist. Was in den Ohren der Wähler vermeintlich gut klingt, wurde herausgehoben. Aber kein Wort davon, dass der Staat massiv zentralisiert und die Demokratie ausgehöhlt wird“, kritisiert Zelger. „Der größte Staatsumbau seit 1948 wird wie ein nettes ‚Sparprogrammchen‘ verkauft, zu dem man praktisch nicht Nein sagen kann. Renzi muss in die unterste Schublade greifen, um seine Politik durchzudrücken!“
„Für Südtirol hätte dieser zentralistische Ungeist erhebliche negative Folgen. Rechtsexperten und ehemalige Parlamentsabgeordnete warnen eindringlich vor dieser Verfassungsreform und die Auswirkungen auf Südtirol“, erklärt die Bewegung.
Die Süd-Tiroler Freiheit will in den kommenden Wochen weder Kosten noch Mühen scheuen, um die Bevölkerung davon zu überzeugen, gegen die Verfassungsreform zu stimmen. Nur so könne der drohende Schaden von Südtirol noch abgewendet werden.
Auch Freiheitliche gegen Verfassungsreform
Auch die Freiheitlichen rufen erneut die Südtiroler Bevölkerung dazu auf, mit Nein beim Referendum zur Verfassungsreform zu stimmen. Ein Ja aus Südtirol würde die Bindung zu Rom festigen und komme einer endgültigen Abgabe des Selbstbestimmungsrechtes gleich. „Unsere Heimat muss bei der Entscheidung im Vordergrund stehen, da es um nichts weniger als um die weitere Zukunft unseres Landes geht“, so die Freiheitlichen.
Die vom PD vorgelegte Verfassungsreform sehe einen zentralistischen Staat vor, der das staatliche Interesse stets vor das Interesse der Autonomien in Italien stellt. Die Verfassungsreform sei den Bedürfnissen der Zentralverwaltung in Rom angepasst. Die „bisher viel gerühmte Schutzklausel für Südtirol“ sei lediglich ein zahnloser Papiertiger, der im Ernstfall Südtirol vor den Zugriffen des Zentralstaates nicht schützen kann. Eine sogenannte „Schutzklausel für Südtirol“ widerspreche im eigentlichen Sinn der Rechtslogik der Verfassungsreform und werde in ihrer Tragweite überschätzt. Mit der neuen Verfassung werde der Staat seine Forderungen gegenüber den untergeordneten Gliedern effektiver durchsetzen können. Gegen Eingriffe in die Autonomie an sich – auch durch den Verfassungsgerichtshof – könne die Klausel im Endeffekt nicht schützen, so die Freiheitlichen.
Grüne: Der falsche Weg
Nach der nun erfolgten Festsetzung des Referendums auf den 4. Dezember 2016 hat sich der Grüne Rat sofort zu einer Sondersitzung getroffen und ist zum Schluss gekommen, den von Ministerpräsident Matteo Renzi initiierten und vom Parlament genehmigten Reformentwurf abzulehnen. Der Grüne Rat empfiehlt den Südtiroler Wählerinnen und Wählern, beim Referendum vom 4. Dezember mit Nein zu stimmen.
Südtirols Verdi Grüne Vërc haben sich mit ihren Vertretungen im Südtiroler Landtag und im römischen Parlament sowie im Autonomiekonvent an der Diskussion über die staatliche Verfassungsreform von Anfang an engagiert beteiligt. „Wir bleiben überzeugt, dass Italiens Demokratie dringend einer Reform ihrer Institutionen bedarf. Wir sehen in der zur Abstimmung stehenden Renzi-Reform jedoch eine Gegenreform: Was kommt, ist schlechter, als was ist, aus folgenden Gründen: Der Staat wird zentralisiert und die Autonomie der Regionen ausgehöhlt; der Zentralstaat wird in die Autonomie der Regionen eingreifen, ‚wenn es die juridische und ökonomische Einheit der Republik oder das nationale Interesse erfordern‘. Das ist ein Freibrief für zentralistische Willkür“, erklären die Grünen.
Die „Schutzklausel“ für die fünf Regionen mit Sonderstatut (nur unter anderen auch unsere) sei laut den Grünen nur ein scheinbarer Schutz. Sie schütze das Land nicht vor dem Zugriff der Reform, sondern schiebe sie diesen allenfalls auf.
Das Zweikammer-System werde nicht abgeschafft. Der Senat werde zwar verkleinert, dafür aber verkompliziert und vor allem entdemokratisiert. Er werde von oben ernannt werden, statt wie bisher von unten gewählt, so die Grünen.
In Verbindung mit dem Wahlgesetz „Italicum“ schwäche die Verfassungsreform zudem laut den Grünen die Demokratie. „Es tritt der gar nicht unwahrscheinliche Fall ein, dass eine Minderheitspartei die Mehrheit der Sitze in der Abgeordnetenkammer erlangt und der Regierungschef somit ohne Gegengewicht sämtliche Verfassungsorgane des Staates bestimmt – und selbst den Krieg erklären kann“, warnen die Grünen.
Weitere Negativfolgen seien laut den Grünen, dass das Referendum ein einziges Ja oder Nein zu insgesamt 47 Artikeln der Verfassung verlange. „Man kann nicht zum Guten ja und zum Schlechten nein sagen. Das ist unfair. Das Schlechte überwiegt“, so die Grünen. Dies gelte auch für die Stellung von Frauen im Senat: Da überwiegend Bürgermeister delegiert werden und die „Ersten Bürger“ zu 90 Prozent Männer sind, sei leicht absehbar, dass in der Zweiten Kammer Frauen nur ein Schattendasein führen werden.