Van der Bellen mit Plädoyer für Kompromissbereitschaft

Regierungsbildung wieder zurück am Start

Mittwoch, 12. Februar 2025 | 22:51 Uhr

Von: apa

136 Tage nach der Nationalratswahl heißt es bei der Regierungsbildung zurück auf Start. Nachdem sich Freiheitliche und ÖVP unter anderem wegen der Besetzung des Innenressorts überworfen hatten, hat FPÖ-Parteichef Herbert Kickl am Mittwoch in der Hofburg den Auftrag zur Regierungsbildung zurückgelegt. Anfang Jänner waren bereits die Verhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS gescheitert. Bundespräsident Alexander Van der Bellen will nun die weiteren Möglichkeiten ausloten.

Er werde in den kommenden Tagen mit “Politikerinnen und Politikern” – also wohl den Parteichefs – Gespräche führen, wie eine künftige Regierung aussehen soll, sagte Van der Bellen Mittwochabend in einem Statement in der Hofburg. Präferenzen für eine der vier Optionen – er nannte Neuwahl, eine Minderheitsregierung unter Duldung des Parlaments, eine Expertenregierung oder doch noch eine Koalition mehrerer Parteien – zeigte er nicht. “Wie diese Regierung zusammengesetzt ist, hat für mich grundsätzlich keine Rolle zu spielen”, betonte der Bundespräsident, der in seiner Rede ein Plädoyer für die Suche nach Kompromissen hielt.

Einen Vorschlag von FP-Chef Kickl hat Van der Bellen bereits bekommen. Wie dieser in einer Pressekonferenz zur besten Fernsehzeit Mittwochabend kundtat, habe er dem Staatsoberhaupt empfohlen, rasch Neuwahlen einzuleiten. Er sei der Überzeugung, dass es so rasch wie möglich klare Verhältnisse brauche statt eines Patts. “Heut ist nicht alle Tage, ich komme wieder, keine Frage”, zitierte der Blaue den rosaroten Panther.

Scheitern der Verhandlungen war absehbar

Ein Scheitern der blau-schwarzen Regierungsverhandlungen hatte sich spätestens seit Wochenbeginn angekündigt. Die Stimmung zwischen den Verhandlungspartnern schien zuletzt vergiftet, über Medien und Soziale Netzwerke richteten sie sich Unfreundlichkeiten aus. Nachdem wegen des Konflikts um Regierungsressorts zunächst tagelang Funkstille geherrscht hatte, wurden auch die Verhandlungsinhalte zunehmend über öffentliche Kanäle bekannt. Ein letztes persönliches Treffen zwischen ÖVP-Chef Christian Stocker und FPÖ-Chef Kickl hatte am Mittwoch überhaupt nur auf Bitte Van der Bellens stattgefunden. Doch auch dieses dauerte weniger als eine Stunde und brachte keinen Durchbruch mehr. Kickl legte schließlich den Auftrag zur Regierungsbildung zurück, nachdem eine rechnerisch mögliche Koalition mit der SPÖ wegen inhaltlicher Differenzen ohnehin aussichtslos gewesen wäre.

Gegenseitige Schuldzuweisungen

Die Schuld am Scheitern der Verhandlungen sahen Freiheitliche und Volkspartei naturgemäß beim jeweils anderen. Kickl machte die ÖVP für das Scheitern verantwortlich, sei man dieser doch in vielen Punkten entgegengekommen. Die FPÖ habe ihre zentralen Wahlkampfpunkte in den Bereichen Sicherheit und Asyl umsetzen und deshalb das Finanz- und das Innenministerium führen wollen. “Das konnte für niemanden eine Überraschung sein.”

Die ÖVP habe dem gegenüber auf diese beiden Ressorts sowie das Wirtschafts-, Landwirtschafts- und das Außenministerium als “unverhandelbar” bestanden, so Kickl. Selbst hier habe man Kompromisse angeboten wie etwa einen unabhängigen Fachmann für die Nachrichtendienste. Im Endeffekt seien diese Differenzen unüberbrückbar gewesen. “Ich muss schauen, dass die FPÖ nicht den Markenkern, für den sie gewählt wurde, hergibt”, meinte der FPÖ-Chef. “Das kann ich nicht machen, sonst wäre ich Alfred Gusenbauer oder Werner Faymann (Ex-SPÖ-Kanzler, Anm.).

Das Vorgehen, zunächst die Ressorts und dann die Inhalte zu verhandeln, sei von der ÖVP gekommen, betonte Kickl. Er selbst hätte dies umgekehrt bevorzugt oder zumindest parallel verhandeln wollen – auch hier sei man den Schwarzen entgegengekommen. Persönlich wollte er Stocker nichts vorwerfen: Die Gespräche seien anständig verlaufen, es seien auch keine Fetzen geflogen. Aber es gebe offensichtlich nicht eine ÖVP, sondern mehrere.

Stocker: Keine Einigung über ÖVP-Grundlinien

ÖVP-Bundesparteiobmann Stocker hat Kickl wiederum vorgeworfen, nicht aus der Rolle des Oppositionspolitikers in jene eines Regierungspolitikers gewechselt zu sein. Die ÖVP habe die Verhandlungen ehrlich und konstruktiv geführt und sei in vielen Bereichen über ihren eigenen Schatten gesprungen. Im Verlauf der Verhandlungen habe man aber mit der FPÖ keine Einigung über die von der ÖVP vor Beginn der Verhandlungen festgelegten Grundlinien finden können. Es sei zudem nicht infrage gekommen, “die Sicherheit des Landes auf Spiel zu setzen”, sagte er in Bezug auf die Forderung der FPÖ nach dem Innenministerium.

Es sei nun notwendig, die Gespräche zwischen den Parteien weiterzuführen, sagte Stocker in der “ZiB 2” des ORF. “Die SPÖ wird hier notwendig sein aufgrund der Mehrheiten”, sprach er sich gegen eine Minderheitsregierung aus. Es brauche aber “eine Einbeziehung der anderen Parteien, damit das tragfähig und stabil ist”, schließlich habe man mit der SPÖ nur ein Mandat Überhang im Nationalrat. Die Gespräche müssten jedenfalls schnell gehen, viel sei bereits ausverhandelt. Stocker will zudem mit “jedem, der uns als Verhandlungspartner namhaft gemacht wird”, Gespräche führen. Tirols Landeshauptmann Anton Mattle (ÖVP) hatte sich zuvor für eine Dreierkoalition aus ÖVP, SPÖ und NEOS ohne SPÖ-Chef Andreas Babler ausgesprochen.

Am frühen Abend hat online der ÖVP-Bundesparteivorstand getagt. Dort wollte man die aktuelle Lage intern bewerten, eine Kommunikation war danach nicht geplant. Einen Rücktritt als Bundesparteichef nach dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen schloss Stocker aus, immerhin habe nicht er den Auftrag zur Regierungsbildung gehabt und sei auch nicht für deren Scheitern verantwortlich. Zuvor hatte bereits ÖVP-Generalsekretär Alexander Pröll erklärt, die Regierungsbildung sei “am Machtrausch und der Kompromisslosigkeit von Herbert Kickl gescheitert”. Dieser sei in fünf Wochen nur insgesamt sieben Stunden am Verhandlungstisch gesessen. Es bleibe die Frage, ob sich Kickl der Verantwortung überhaupt je stellen habe wollen.

SPÖ, NEOS und Grüne offen für Gespräche

Sozialdemokraten, NEOS und Grüne haben sich unterdessen offen für Koalitionsgespräche gezeigt und auch die Unterstützung einer Expertenregierung nicht ausgeschlossen. Das Land brauche Stabilität, die budgetäre Lage stelle Österreich vor Herausforderungen, so SPÖ-Chef Andreas Babler. “Handlungsfähigkeit muss daher vor Stillstand, das Staatsinteresse vor dem Parteiinteresse stehen.” Für NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger muss nun “rasch eine handlungsfähige Regierung” gebildet werden, dabei müsse “jeder über seinen Schatten springen”. Offen für alle Varianten zeigte sich auch Grünen-Chef Werner Kogler. Vor Journalisten appellierte er an ÖVP und SPÖ, sich wieder anzunähern, denn auch eine etwaige Expertenregierung würde eine Mehrheit dieser beiden Parteien brauchen. Auch nochmalige Dreierverhandlungen mit den NEOS würde Kogler unterstützen.

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