Von: mk
Bozen – Zusammenarbeit und Autonomieausbau vor dem Hintergrund des gestrigen Verfassungsreferendums haben die Haushaltsrede des Präsidenten der Region geprägt.
Hier geht es zur Rede im Original
Die gute Zusammenarbeit zwischen Trient und Bozen als Grundlage einer gemeinsamen Entwicklung der Autonomie hat Arno Kompatscher als Präsident der Region in den Mittelpunkt seiner Haushaltsrede 2017 gestellt, die er heute Vormittag vor dem Regionalrat gehalten hat. Den Ausgang des Referendums zur Verfassungsreform werte er als klaren Auftrag dazu, allerdings „bedarf es der politischen und juridischen Voraussetzungen, um die Autonomie ausbauen zu können“. Zu Beginn seiner Haushaltsrede ging der Präsident der Region auf die Auswirkungen des Referendums ein. Dabei betonte Kompatscher, dass die Autonomie auch nach dem mehrheitlichen Nein unbeeinträchtigt beibehalten werde.
Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern Südtirol und Trentino bezeichnete Präsident Kompatscher als sehr gut. „Wenn es uns immer öfter gelingt, von ‚uns’ und nicht von ‚ihnen’ zu sprechen, so liegt das an dem vor 20 Jahren gemeinsam in Angriff genommenen Projekt der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino“, so Präsident Kompatscher. Mit der Euregio habe der Dialog zwischen Bozen und Trient an Methodik und an Natürlichkeit gewonnen. Was das gemeinsame Anliegen der Überarbeitung des Autonomiestatuts angeht, erklärte Präsident Kompatscher: „Eine Änderung wird es nur dann geben, wenn die politischen und juridischen Bedingungen einen gesicherten Ausbau der Autonomie möglich machen.“ Österreich, das gerade einen erklärten Europäer und Autonomiefreund zum Präsidenten gewählt habe, zeigte sich Kompatscher gewiss, werde dabei seine Schutzfunktion erfüllen.“
Was den Haushalt der Region 2017 als solchen angeht, so umfasst er Ausgaben und Einnahmen von 304.174.944 Euro. In den Folgejahre 2018 und 2019 sieht der Dreijahreshaushalt eine Budgetverringerung auf 283,7 beziehungsweise 281,5 Millionen Euro vor. Diese Verringerung ist unter anderem auf das Übereinkommen der beiden Länder zurückzuführen, nach dem die Region zum Abbau der Staatsverschuldung beiträgt, und zwar mit je 26 Millionen Euro im Jahr 2017 und 2018 sowie 16 Millionen 2019.
Trotz der Sparmaßnahmen und der Eindämmung der Ausgaben, so Kompatscher, sei man um einen hohen Standard im Sozialsystem bemüht, das den sozialen Zusammenhalt stärke. Die Rolle der Region werde derzeit neu definiert und klarer abgegrenzt, kündigte Kompatscher an: „Künftig wird sie nur für die Vorsorge zuständig sein, während die Befugnisse im Fürsorgebereich den Ländern übertragen werden.“ Im Bereich der Vorsorge wird die Region ihre Dienstleistungen und Maßnahmen beibehalten und sogar ausdehnen: Ab 2017 sollen Personen, die freiwillig die Vorsorgebeiträge einzahlen und die sich innerhalb der eigenen Familie den pflegebedürftigen Angehörigen widmen oder sich wegen Verlust des Arbeitsplatzes in Schwierigkeiten befinden, eine zusätzliche Unterstützung erfahren. Vorgesehen ist zudem eine angehobene Beihilfe für Personen, die der Arbeit fernbleiben, um sich der Pflege und Erziehung ihrer Kinder zu widmen.
Debatte zum Haushalt der Region
Der Regionalrat wurde für heute und morgen einberufen, um über vier Punkte zum Haushalt von Region und Regionalrat für 2017 zu beraten:
1. Gesetzentwurf Nr. 86: Entwurf des regionalen Begleitgesetzes zum Stabilitätsgesetz 2017 der Region (eingebracht von der Regionalregierung);
2. Gesetzentwurf Nr. 87: Regionales Stabilitätsgesetz 2017 (eingebracht von der Regionalregierung);
3. Beschlussfassungsvorschlag Nr. 45: Aktualisierungsbericht zum Wirtschafts- und Finanzdokument der Region (WFDR) 2017-2019 (eingebracht von der Regionalregierung) und Gesetzentwurf Nr. 88: Haushaltsvoranschlag der Autonomen Region Trentino-Südtirol für die Haushaltsjahre 2017-2019 (eingebracht von der Regionalregierung);
4. Beschlussfassungsvorschlag Nr. 44: Genehmigung des Haushaltsvoranschlages des Regionalrates für die Finanzjahre 2017-2018-2019 (eingebracht vom Präsidium des Regionalrats).
Vor Beginn der Debatte meldete sich Maurizio Fugatti (Lega Nord) zum Fortgang der Arbeiten zu Wort, um den Ausgang des Verfassungsreferendums zu kommentieren. Im Trentino hätten sich Landesregierung, Bürgermeister, und Bezirkspräsidenten auf die Seite des Ja gestellt und seien vom Volk delegitimiert worden. Rossi habe auf das Ja gesetzt und sollte daher nun zurücktreten. Fugatti verlangte eine eigene Debatte zum Thema. Präsident Thomas Widmann bat darum, das Thema in die Generaldebatte zu verlegen, dort gebe es Gelegenheit dazu genug.
Die soeben abgelehnte Verfassungsreform hätte für Italien eine Zentralisierung bedeutet, erklärte Arno Kompatscher, Präsident der Region, in seiner programmatischen Rede, für uns aber hätte es eine Absicherung und eine Chance bedeutet. Die Beziehungen zwischen Bozen und Trient seien derzeit bestens, man habe gemeinsam in Rom stark auftreten können und man habe gemeinsam in der Europaregion eine Schließung der Brennergrenze verhindert. Diese Europaregion bildete nun auch gegenüber Brüssel eine lebendige Realität. Die Reform des Statuts müsse auf jeden Fall im Einvernehmen mit Österreich erfolgen, das gerade einen großen Befürworter unserer Autonomie zum Präsidenten gewählt habe.
Der Haushaltsvoranschlag der Region, der für 2017 304 Mio. Euro umfasse biete im wesentlichen Kontinuität. Kompatscher ging anschließend auf einzelne Schwerpunkte des Haushalts ein, die Maßnahmen zugunsten der Familien, die Zusatzrenten, die Zuwendungen zugunsten der Gemeinden, die ein Projekt des Zusammenschlusses vorantreiben, die Ausgaben für die Justiz, sowohl für die Tätigkeit der Friedensgerichte als auch für die administrative und technische Unterstützung aller Gerichtsämter u.a.m.
Alessandro Urzì (gemischte Fraktion) sah die Haushaltsrede Kompatschers als Synthese aller Fehler, die die Mehrheit beim Referendum gemacht habe. Kompatscher habe eingeräumt, dass die Verfassungsreform die Autonomie der anderen Regionen beschnitten hätte, aber dass das uns weniger berühre – mit dieser Einstellung habe man alle Regionen ohne Sonderstatut gegen uns aufgebracht, und das werde sich in Zukunft bemerkbar machen. Ganz Italien sehe unsere Autonomie heute mit Verachtung. Vor allem Südtirol mit seinem Ja zur Reform stehe in Italien heute schwächer da als je zuvor. Bozen hingegen habe Nein gesagt und damit den Bürgermeister delegitimiert. Delegitimiert sei auch der Autonomiekonvent. Das Parlament müsse über eine Reform der Autonomie entscheiden, und es sei nicht gesagt, dass es weiter eine autonomiefreundliche Mehrheit haben werde.
In seiner Rede habe Kompatscher nie die Region erwähnt, nur die beiden Provinzen, es stehe wenig Konkretes drin. Vor allem fehle ein Entwurf für die Zukunft der Region.
Maurizio Fugatti (Lega Nord – Forza Italia) sah den Ausgang des Referendums ebenfalls im Lichte der Frage, welche Zukunft die Region, die beiden Provinzen und die Autonomie insgesamt haben würden. Im Trentino hätten sich alle Verantwortungsträger, Landesregierung, Bürgermeister, aber auch Verbände und Gewerkschaften für das Ja ausgesprochen und seien vom Volk widerlegt worden. Es sei eine klare Niederlage für Mitte-Links im Trentino, und Rossi müsste deshalb zurücktreten. Die Euregio sei am Flüchtlingsproblem nicht gewachsen, sondern weiter zerbröckelt.
Giacomo Bezzi (Lega Nord – Forza Italia) gratulierte der SVP, die ihr Ziel erreicht habe. Das unterschiedliche Ergebnis in Bozen und Trient zeige aber auch, dass die Autonomie nur durch historische Gründe geschützt sei, nicht durch eine gute autonome Verwaltung, und das bedeute, dass der Schutz für Südtirol gelte und nicht für das Trentino. Die Aufspaltung der Region sei schließlich das Ziel der SVP. Der Einsatz für das Ja aus Bozen und Trient habe jedenfalls ganz Italien dazu gebracht, unsere Autonomie zu hassen. Es werde Jahre brauchen, diesen Schaden zu beheben.
Rodolfo Borga (Amministrare e Civica Trentina) stellte fest, dass die Trentiner Rossi nicht mehr vertrauten, auch wenn Kompatscher Wahlkampfhilfe geleistet habe. Im Trentino wie in ganz Italien habe man mit dem Herzen, nicht mit dem Bauch gewählt. Sie hätten die zentralistische Reform erkannt und die Absicht, alle Macht in aller Hand zu vereinen. Nach diesem Ergebnis werde auch die Reform des Statuts in Frage gestellt. Borga forderte schließlich die Streichung von einigen Bestimmungen aus dem Finanzgesetz: die Senkung des Quorums für Gemeindefusionen, die Übertragung von 250 Mio. Euro vom Regionalrat an die Region u.a.
Das wirtschaftliche und politische Chaos werde in Italien auch nach dem Referendum bleiben, meinte Bernhard Zimmerhofer (Süd-Tiroler Freiheit). Wirtschaftsexperten wie Stieglitz und Sinn rechneten mit einem Ausstieg Italiens aus dem Euro. Italiens Wirtschaft sei nicht wettbewerbsfähig, es werde kurzfristig zu Neuwahlen kommen, und die EU-Skeptiker würden gewinnen. Die Auflösung der EU werde schwer abzuwenden sein. Mit ihrer Treue zu Renzi habe die Landesregierung dem Land einen Bärendienst erwiesen, man werde einen schlechten Draht zu den nächsten Regierungen haben. Daher sollte man gemeinsam ein Ausstiegsszenario erstellen wie Schottland oder Katalonien.
Claudio Cia (Lega Nord – Forza Italia) zeigte sich erfreut über den Ausgang des Referendums. Renzis Wahlgeschenke hätten die Bürger nicht umstimmen können. Wie Renzi vertrete auch Rossi nicht mehr die Bevölkerung, und auch er habe die Wahl auf seine Person bezogen. Deshalb sollte er wie Renzi auch zurücktreten. Nach diesem Ergebnis könne man bei der Reform des Statuts mehr wagen, auch wenn die beiden Provinzen beim Referendum anders gewählt hätten.
Andreas Pöder (BürgerUnion – Team Autonomie) bezeichnete Kompatscher und Renzi als De-facto-Paar, aber nun sei plötzlich die Braut weg. Nun sei eine neue Braut zu suchen, aber es könne sein, dass Kompatscher wegen seinem Ja nicht mehr so willkommen sei – die Folgen trage Südtirol, während das Trentino sich mit seinem Volksentscheid gerettet hat. Der Neid Roms auf Südtirol sei größer geworden, und es gebe keinen Plan B nach Renzi. Man habe auf das falsche Pferd gesetzt. Das Ja zur zentralistischen Reform werde Kompatscher und Rossi in Rom als Nein zur Autonomie ausgelegt werden. Kompatscher und Rossi hätten unser Land mit einer schweren Hypothek belastet. Die Bilanz der Regierung Renzi sei mäßig, es hätte keinen Grund gegeben, sich so eng an sie anzulehnen.
Pius Leitner (Freiheitliche) bezeichnete die “Wir”-Form in Kompatschers Rede als Illusion, denn die Positionen in Trient und Bozen gingen weit auseinander. Er kritisierte die Unterstellung, ein Präsident Norbert Hofer hätte die Autonomie nicht unterstützt. Die SVP maße sich immer an, für Südtirol zu sprechen, und in diesem Fall habe sie dem Land einen großen Schaden zugefügt. Auch die Medien, vor allem die öffentlichen, hätten einseitig dem Ja Platz gegeben. Eigenartigerweise habe es Südtirol nun den Italienern zu verdanken, dass die Autonomie geschützt wurde. Hofer werde als Rechtspopulist verschrien wie alle, gegen die gegen den europäischen Zentralismus seien. Wenn es den Linken in Europa nicht gefalle, wie ein Staat wähle, dann gebe es Sanktionen. Südtirol habe es verabsäumt, Italien zu erklären, dass die Autonomie ein Recht und nicht ein Privileg ist. Auf diesen Staat könne man sich längerfristig nicht verlassen, daher sollte man einen neuen Weg einschlagen.
Die Sitzung wird um 14.30 Uhr wieder aufgenommen.