Sunak kündigt neuen Vertrag mit Ruanda an

Ruanda-Asylpläne Londons laut Höchstgericht rechtswidrig

Mittwoch, 15. November 2023 | 16:36 Uhr

Von: APA/AFP/Reuters/dpa

Die britische Regierung ist mit ihrem umstrittenen Vorhaben vorerst gescheitert, Asylsuchende nach Ruanda abzuschieben. Der britische Oberste Gerichtshof schloss sich am Mittwoch dem Urteil eines Berufungsgerichts an, dem zufolge entsprechende Pläne für Abschiebungen in das ostafrikanische Land rechtswidrig sind und gegen internationale Verträge verstoßen. Großbritanniens konservativer Premierminister Rishi Sunak kündigte kurz danach ein neues Abkommen mit Ruanda an.

In der 56-seitigen Entscheidung bestätigte das fünfköpfige Gremium des Obersten Gerichts das Urteil eines britischen Berufungsgerichtes vom Juni, wonach Ruanda kein sicherer Drittstaat ist, weil die Gefahr besteht, dass dorthin geschickte Asylbewerber gewaltsam in ein Land abgeschoben werden könnten, in denen ihnen Verfolgung droht.

Nach Bekanntwerden des Urteils räumte Regierungschef Sunak ein, dass dies nicht das erhoffte Resultat gewesen sei: “Das war nicht das Ergebnis, das wir uns gewünscht haben.” Die Regierung habe sich jedoch auf alle Eventualitäten vorbereitet und an einem neuen Vertrag mit Ruanda gearbeitet. Diesen werde sie unter Berücksichtigung des heutigen Urteils fertigstellen, sagte der Premier im britischen Parlament. Sollte dies keine Früchte tragen, ziehe er auch drastischere Mittel in Betracht: “Wenn sich herausstellt, dass unsere innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder internationalen Abkommen die Pläne immer noch durchkreuzen, bin ich bereit, unsere Gesetze zu ändern und diese internationalen Verträge neu zu überdenken.”

Die britische Regierung erklärte, in einem gemeinsamen Gespräch hätten Sunak und der ruandesische Präsident Paul Kagame ihren entschlossenen Einsatz für eine “funktionierende Migrationspartnerschaft” bekräftigt. Die beiden Politiker hätten vereinbart, notwendige Schritte für eine “solide und rechtmäßige Politik” und zum schnellstmöglichen Stopp von Flüchtlingsbooten einzuleiten.

Zuvor hatte die Regierung in Ruanda erklärt, die Entscheidung des britischen Gerichts zu akzeptieren. “Wir widersprechen jedoch dem Urteil, dass Ruanda kein sicherer Drittstaat für Asylsuchende und Flüchtlinge ist”, betonte Regierungssprecherin Yolande Makolo. Das Land käme seinen “internationalen Verpflichtungen” nach, und die “vorbildliche Behandlung von Flüchtlingen” sei vom UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) und anderen Gremien anerkannt worden.

Der stellvertretende Vorsitzende der konservativen Tories, Lee Anderson, bezeichnete das Gerichtsurteil als “schwarzen Tag für das britische Volk”. Er sagte, die Regierung solle “jetzt einfach die Flugzeuge in die Luft bringen und nach Ruanda schicken”. Die oppositionelle Labour Party warf Sunak vor, keinen ernsthaften Plan zur Eindämmung der gefährlichen Überfahrten von Flüchtlingen aus Frankreich über den Ärmelkanal nach Großbritannien zu haben. Die britische Organisation Refugee Council begrüßte die Entscheidung und nannte sie einen “Sieg für die Rechte von Männern, Frauen und Kindern, die einfach nur sicher sein wollen”.

Großbritannien hatte bereits unter dem früheren konservativen Premierminister Boris Johnson ein Abkommen mit Ruanda geschlossen, um irregulär eingereiste Asylsuchende jeglicher Herkunft dorthin auszufliegen. Dies sollte Menschen davon abschrecken, die gefährliche Überfahrt über den Ärmelkanal zu unternehmen. Gegner bezeichneten die Pläne als unmenschlich, kostspielig und schwer umzusetzen. Ein für Juni 2022 geplanter Abschiebeflug in das ostafrikanische Land wurde nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kurzfristig gestrichen.

Die britische Regierung steht durch eine Rekordzahl von über den Ärmelkanal einreisenden Migranten unter Druck. Allein in diesem Jahr kamen auf diesem Weg mehr als 27.000 Menschen nach Großbritannien. Im vergangenen Jahr waren es insgesamt knapp 46.000 gewesen.

Sunak betonte am Mittwoch, absolut daran festzuhalten, dass die Boote gestoppt werden müssten. “Illegale Migration zerstört Leben und kostet britische Steuerzahler Millionen Pfund pro Jahr. Wir müssen das beenden, und wir werden alles tun, was dafür nötig ist”, hieß es in der Stellungnahme des Regierungschefs.

Für Sunak steht viel auf dem Spiel. Er machte das “Stoppen der Boote” zu einer seiner fünf obersten Prioritäten, nachdem er im Oktober 2022 Premierminister geworden war. Zudem dürfte im kommenden Jahr das Parlament neu gewählt werden, und die regierenden Tories liegen in Umfragen weit hinter Labour.

Den Plänen zufolge sollten irregulär eingereiste Migranten ohne Prüfung eines Asylantrags direkt nach Ruanda abgeschoben werden können und stattdessen dort um Schutz ansuchen. Eine Rückkehr nach Großbritannien war nicht vorgesehen. Das Vorhaben war im In- und Ausland auf mitunter heftige Kritik, aber auch auf Interesse gestoßen. So war es unter anderem eines der Hauptthemen beim Besuch der damaligen britischen Innenministerin Suella Braverman Anfang November bei ihrem Amtskollegen Gerhard Karner (ÖVP) in Wien gewesen.

Aus dem österreichischen Innenministerium hieß es am Mittwoch auf APA-Anfrage, Ziel sei, dass sich Migranten erst gar nicht auf den gefährlichen Weg nach Europa machten. Dazu sei ein ganzes Maßnahmenbündel notwendig: “Ein robuster Außengrenzschutz, schnelle Asylverfahren an der EU-Außengrenze, Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitstaaten und die gemeinsame Bekämpfung von Schlepperkriminalität und Asylmissbrauch.” Eine wirksame Maßnahme gegen illegale Migration seien auch Asylverfahren in sicheren Drittstaaten. “Deshalb wird Österreich weiter dafür bei der EU-Kommission eintreten, dass diese ermöglicht werden. Diese Position unterstützen mittlerweile zahlreiche EU-Länder”, so das Innenministerium.

Der neue britische Innenminister James Cleverly sagte am Mittwoch, die Partnerschaft mit Ruanda sei nur ein Teil eines Bündels von Maßnahmen, “um die Boote zu stoppen” und gegen illegale Migration vorzugehen. Aber es sei klar, dass Interesse an dem Konzept bestehe: “In ganz Europa nimmt die illegale Migration zu, und Regierungen folgen unserem Beispiel: Italien, Deutschland und Österreich prüfen alle Modelle, die ähnlich unserer Partnerschaft mit Ruanda sind”, so der vorherige Außenminister laut britischen Medienberichten.

Großbritannien gibt derzeit mehr als drei Milliarden Pfund (aktuell 3,44 Mrd. Euro) pro Jahr für die Bearbeitung von Asylanträgen aus. Die Kosten für die Unterbringung von Migranten in Hotels und anderen Unterkünften während der Bearbeitung ihrer Anträge belaufen sich dabei auf etwa sechs Millionen Pfund pro Tag. Regierungsangaben vom August zufolge würde die Überstellung eines jeden Asylbewerbers in das afrikanische Land im Durchschnitt 169.000 Pfund kosten.

Das oberste britische Gericht machte in seiner Urteilsbegründung umfassend deutlich, dass es Ruanda nicht als sicheres Drittland betrachtet. Dabei berief sich der Supreme Court vor allem auf Berichte des UNHCR sowie frühere britische Angaben über außergerichtliche Hinrichtungen, Todesfälle in Haft sowie Folter und eine hohe Ablehnung von Asylanträgen aus Konfliktgebieten wie Syrien. Es besteht demnach die Gefahr, dass Flüchtlinge keine Chance auf ein faires Asylverfahren in Ruanda haben und ihnen eine Abschiebung in ihr Heimatland droht. Das Gericht betonte, nicht nur die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), sondern auch die Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen und andere Abkommen würden die Rückführung von Asylsuchenden verbieten.