Grüne: „Angriff auf Gesundheit und Vernunft“

Salvini am Brenner: Heimatpfleger fordern Solidarität mit Anrainern und Nordtirol

Dienstag, 10. Oktober 2023 | 09:41 Uhr

Von: mk

Brenner – Der italienische Verkehrsminister Mateo Salvini hat am 9. Oktober auf dem Brenner gegen die Tiroler Transitverkehrsmaßnahmen protestiert. „Statt vor dem Europäischen Gerichtshof für noch mehr Transitverkehr zu klagen, sollte Minister Salvini endlich Gerichtsurteilen zur Luftverschmutzung längs der A22 Folge leisten und Regierungsverpflichtungen zum Klimaschutz umsetzen“, fordert der Heimatpflegeverband Südtirol.

2022 hätten 2,48 Millionen Lkw den Brenner gequert, Tendenz steigend, 29,5 Prozent davon seien laut „Mobilitätsplan 2035“ Umwegverkehr. Der gesamte innere Alpenbogen (Fréjus bis Brenner) sei 2021 von fünf Millionen schweren Straßengüterfahrzeugen gequert worden, der größte Teil fahre über den Brenner. Allein 39,7 Mio. von insgesamt 72,5 Mio. Tonnen (54,7 Prozent) des Straßengüterverkehrs habe die Brennerroute geschluckt – und bis 2040 soll das Verkehrsvolumen auf der A22 trotz Inbetriebnahme des BBT 2032 gemäß Südtiroler Mobilitätsplan um bloß 10,7 Prozent sinken, erklärt der Verband. „Da fragt man sich schon, in welcher Welt Minister Salvini eigentlich lebt, wenn er heute am Brenner für freie Fahrt für Lkw demonstriert“, zweifelt Heimatpflegeobfrau Claudia Plaikner. „Wenn sich an der Situation nichts ändert, wird die Brennerautobahn auf Jahrzehnte hinaus Mensch und Umwelt zwischen Kufstein und Verona weiterhin belasten.“

Verkehrsemissionen: „Italiens ungelöstes Problem“

Werde die Brennerroute nicht verteuert und reglementiert – mit Priorität auf die Auslastung der schon bestehenden Bahnkapazitäten –, würden weder der Umwegverkehr noch der Gesamtverkehr auf der A22 sinken. „Dabei stehen Umweg- statt Bestwegverkehr grundsätzlich in Widerspruch zu den Klimazielen und zur Mobilitätsstrategie der EU. So hat die EU im Klimagesetz vom 21. Juni 2021 die Reduktion der CO2-Emissionen um -55 Prozent bis 2030 festgelegt, Italien hat sich mit seinem Klimaplan PNIEC verpflichtet, bis 2030 die CO2-Emissionen um -40 Prozent zu reduzieren. Der Verkehr ist in Italien der einzige Bereich, in welchem die CO2-Emissionen seit 1990 nicht abgenommen, sondern bis 2022 sogar um zehn Prozent zugenommen haben. 90 Prozent dieser Emissionen stammen aus dem Straßenverkehr“, so der Heimatpflegeverband. Nur fünf Prozent des verkehrsbedingten Energieverbrauchs Italiens würden aus erneuerbarer Energie bzw. grünem Strom stammen. „Die Forderung Salvinis nach freier Fahrt für fossil betriebene Lkw geht daher klar in die falsche Richtung.“

NO2-Grenzwerte regelmäßig überschritten

„Minister Salvini möge nicht nur die Realität und die eigenen Verpflichtungen zum Klimaschutz zur Kenntnis nehmen, sondern endlich Maßnahmen zur Senkung der Stickstoffdioxidbelastung längs der Brennerachse angehen“, fordert daher der Heimatpflegeverband. Die Überschreitung der NO2- Grenzwerte (derzeit 40 µg/m3) an allen Messstellen der A22 sei seit 2010 von Landes- und Staatsstellen eindeutig erhoben worden und bestehe nach wie vor. Selbst das staatliche ISPRA habe schon vor Jahren die sofortige Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit für Pkw gefordert. „Die später im Unterland eingerichtete Versuchsstrecke mit Pkw-Höchstgeschwindigkeitsempfehlung hat nachgewiesen, dass ein solches Geschwindigkeitslimit die NO2-Emission deutlich senkt. Daraufhin ist aber wenig geschehen: Das ab 2023 im Rahmen des Projekts BrennerLec vorgesehene freiwillige Tempolimit an fünf kurzen Autobahnabschnitten der A22 mit ‚dynamischer Geschwindigkeitsbegrenzung‘ ist in dieser Hinsicht absolut unzureichend“, finden die Heimatpfleger.

Mit ihrer Untätigkeit breche die Regierung nicht nur geltendes Recht bei der Einhaltung der Grenzwerte, sondern missachte auch Gerichtsurteile. Laut Urteil des Verwaltungsgerichts im Latium vom 17. April 2018 müsse das beim Verkehrsministerium angesiedelte Technische Komitee Maßnahmen zur Senkung dieser Emission treffen. Trotzdem sei das Ministerium unter Missachtung dieses Urteils untätig. Auch eine am 10. Dezember 2018 vom Verwaltungsgericht im Latium ernannte Sonderkommissarin habe dieses Urteil bisher nicht umsetzen können, so der Verband.

„Italien braucht Mengenbegrenzung“

„Damit ist Italien seit mehr als einem Jahrzehnt säumig, längs der A22 die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte beim NO2 einzuhalten“, erkläre n die Heimatpfleger. Nun habe das EU-Parlament im September 2023 beschlossen, gemäß WHO-Empfehlung die Grenzwerte bei Stickstoffdioxid, Ruß (PM), Ozon und Schwefeldioxid weiter zu verschärfen. Italien stehe damit nicht nur in der Pflicht, endlich den geltenden Grenzwert einzuhalten, sondern müsse sich auf die neuen, tieferen Grenzwerte einstellen. Dies könne nur durch eine Mengenbegrenzung der Fahrten insgesamt, eine Geschwindigkeitsbegrenzung für Pkw, neue Anstrengungen zur Verlagerung des Schwerverkehrs auf die Schiene und zur Senkung des Umwegverkehrs über den Brenner geschehen.

Forderung nach Aktionen gegen Luftverschmutzung und für Verkehrsreduktion

„In diesem Sinn fordern wir Minister Salvini und die italienische Regierung auf, seine rechtswidrige Blockadepolitik in Sachen Luftverschmutzung an der A22 zu beenden, sofort dem Urteil des Verwaltungsgerichts im Latium vom 17.4.2018 Folge zu leisten und alle zweckdienlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Senkung der NO2-Belastung längs der A22 anzuordnen,“ so der Heimatpflegeverband. „Wir fordern Minister Salvini auf, die EU-Vorgaben beim Klimaschutz und die Ziele des nationalen Klimaschutzprogramms PNIEC zu achten, die eine Senkung der CO2-Emissionen um -40 Prozent bis 2030 gegenüber 1990 vorsehen.“ In diesem Sinn müsse die klimaschädliche Subventionierung des Dieseltreibstoffs für Frächter abgebaut werden.

Die Regierung dürfe keine weiteren Anreize für noch mehr Transitverkehr auf der A22 setzen wie Mautsenkungen und eine dritte Fahrspur Verona NordBozen Süd. An die Südtiroler Landesregierung richtet der Heimatpflegeverband den Appell, nicht nur zu „Vermittlungen“ zwischen Salvini und Tirol aufzurufen, sondern die Maßnahmen des Bundeslands Tirols wie Nachtfahrverbot, Blockabfertigung, Geschwindigkeitsbegrenzungen u.a.m. aktiv und deutlich zu unterstützen. „Der Auftritt Salvinis am Brenner ist“, so Plaikner, „nicht nur widersinnig, sondern kontraproduktiv. Der Südtiroler Landtag sollte seine Solidarität mit dem Nordtiroler Landtag aussprechen, der sich am 5. Oktober dieses Jahres einstimmig gegen die Forderungen von Salvini gestellt hat. Es ist Zeit für konkrete Maßnahmen statt leerer Proteste.“

Grüne: „Angriff auf Gesundheit und Vernunft“

Seit Monaten verurteilen auch die Südtiroler Grüne „Salvinis aggressive Vorstöße gegen Österreich und das Bundesland Tirol“. Nun sei es für alle absehbar, dass der Lega-Verkehrsminister keinen Schritt zurückweiche, sondern im Gegenteil den von ihm vom Zaun gebrochenen Transitstreit nur weiter anfache.

„Wie wichtig ihm die Gesundheit der Menschen ist, sieht man schon an der Ausdrucksweise – er spricht von ‚illegalen, ungerechten, ignoranten und arroganten Fahrverboten‘. Ihm ist die Gesundheit der Frächterlobby offensichtlich wichtiger als jene der Menschen, die an der Brennerachse wohnen“, so die grüne Fraktionsvorsitzende Brigitte Foppa. Sie warnt seit Langem vor Salvinis Absichten, den Verkehr auf der Brennerachse wieder zu liberalisieren und damit neu anzukurbeln. „Südtirol hat sich bisher in dieser Sache sehr kleinlaut verhalten“, so Foppa.

Sie erinnert an den Dreierlandtag in Riva del Garda im Juni, wo man schon gesehen habe, dass es aufzupassen gelte. „Damals haben die Landesregierungen vom Trentino, aber auch von Südtirol und Tirol keine klaren Aussagen hierzu getroffen. Im Gegenteil, ein Antrag von uns Grünen, den Lufthunderter und die anderen Maßnahmen zu verteidigen und auf Südtirol und Trentino auszudehnen, wurde abgelehnt”, so Brigitte Foppa. “Südtirol, namentlich die regierende SVP, beugt sich seinem Koalitionspartner Lega und dessen Namensträger Salvini.“

Die Grünen weisen darauf hin, wie wichtig es ist, ein schlüssiges und tragfähiges Verkehrsminderungskonzept grenzüberschreitend zu erarbeiten. Bereits eingeführte und erstrittene Maßnahmen dürften nicht zurückgenommen werden. „Es wäre ein Schritt in die Vergangenheit, nicht in die Zukunft“, so die Grünen.

Bezirk: Bozen