Außenminister Alexander Schallenberg verlässt die Politik

Schallenberg: “Europa muss deutlichere Sprache sprechen”

Sonntag, 02. März 2025 | 09:00 Uhr

Von: apa

Angesichts neuer Herausforderungen muss Europa Stärke zeigen. Das forderte der scheidende Außenminister Alexander Schallenberg in einem APA-Abschiedsinterview. “Die größte Schwierigkeit, die momentan in der Beziehung USA-Europa besteht, ist unsere völlig verfehlte Selbstwahrnehmung”, diagnostizierte Schallenberg angesichts der neuerdings “ruppigeren” Tönen aus Washington. Es sei viel mehr nötig, “die verfügbaren Hebel in die Hand zu nehmen”. Globale Krisenherde gebe es genug.

Europa müsse US-Präsident Donald Trump, der zuletzt etwa durch eine Annäherung an Russland im Ukraine-Krieg oder harschen Tönen in Richtung EU für Aufsehen gesorgt hatte, eines zu verstehen geben: “Nicht nur wir brauchen die USA, die USA brauchen auch uns.” Wahrscheinlich müsse Europa nun auch eine “deutlichere Sprache sprechen”, mutmaßte Schallenberg. Keinesfalls dürfe es aber den transatlantischen Beziehungen den Rücken zukehren. “Wir sind immer noch eine Wertefamilie”, argumentierte Schallenberg, der auch als ÖVP-Interimskanzler die Politbühne verlässt. “Wir haben dasselbe Lebensmodell. Das schließt aber nicht aus, dass man Beziehungen mit Staaten wie Indien, Südkorea oder Japan weiter vertieft.”

“USA können auch unter Trump nicht jede Weltkrise alleine lösen”

Die USA werden auch unter Präsident Trump “nicht jede Weltkrise alleine lösen können”, argumentierte Schallenberg, “und wir sind als Europäische Union sicher ihr engster Partner.” Zwar gelte es mitunter auch, “sehr deutlich und mit Selbstbewusstsein unsere Position zu beziehen”, andererseits dürfe Europa nicht wegen jeder Aussage aus den USA “in Schnappatmung oder Schwarz-Weiß-Denken” verfallen. So müsse auch zugestanden werden, dass US-Vizepräsident J.D. Vance bei seiner viel kritisierten Rede im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz auch “in eigenen Punkten recht hatte, etwa bei der Migrationspolitik”.

Auch bei gewissen Äußerungen von Trump sei es angebracht, “dass wir nicht allzu sehr in dieser Social-Media-Bubble-Instant-Bewertung bleiben”, forderte der ÖVP-Minister. Es gelte langfristiger zu denken. “Ich würde mir grundsätzlich ein bisschen mehr kühlen Kopf und ein bisschen weniger Emotionalität wünschen.” Trump versuche doch ständig, die Dinge aufzuschaukeln, mutmaßte Schallenberg: “Der amerikanische Präsident wirft jeden Tag einen Stein in den Teich und schaut, wie die Wellen schlagen. Und alle reagieren darauf. Das heißt aber nicht, dass das dann so umgesetzt wird.”

Trumps “Riviera-Pläne” für Gazastreifen nicht ernst zu nehmen

So seien etwa die von Trump geäußerten Pläne, die Palästinenser aus dem Gazastreifen abzusiedeln und dort eine “Riviera des Nahen Ostens” aufzubauen, nicht ernst zu nehmen. “Kein seriöser Mensch nimmt wirklich in Aussicht, zwei Millionen Menschen zu deportieren.” Das sei mit Europa jedenfalls nicht denkbar. “Die Riviera kann man schon machen, aber als palästinensische Riviera.” Der Nahost-Konflikt nehme leider schon Züge eines “Hundertjährigen Kriegs” an, bedauerte Schallenberg und nahm sowohl die palästinensische als auch die israelische Seite in die Pflicht: “Es werden sich weder die Israelis in Luft auflösen, noch die Palästinenser.” Solange aber “namhafte Kräfte auf beiden Seiten” dies glauben würden, könne es keinen Frieden geben. Allerdings seien durchaus auch positive Bewegungen in Nahost zu beobachten, analysierte er: “Es ist doch hochinteressant, wie die Golfstaaten jetzt einen ganz anderen Zugang haben und sehr viel mehr Ownership zeigen, als noch vor zwei Jahren.”

Vertrauen in “Checks and Balances” in den USA

Bezüglich diverser umstrittener Amtshandlungen der Administration Trump vertraut Schallenberg weiter auf das System der “Checks and Balances” – also der staatlichen Gewaltenteilung – in den USA. “Ich höre, dass es da durchaus auch juristische Auseinandersetzungen gibt. Ich habe ein großes Vertrauen in die Demokratie und die Stärke der Institutionen in den Vereinigten Staaten, auch wenn das in den Medien anders dargestellt ist. Sie sind nicht zu 100 Prozent ausgehöhlt.” Doch dürfe man auch eines nicht vergessen: “Die Menschen haben das auch gewählt. Die Amerikaner wollten Wandel und da muss man als Demokrat doch sagen: ‘Gut, dann ist es eben so.” Sollte dann über das Ziel geschossen werden, “dann wird es ohnehin Korrekturen geben müssen.”

EU muss Selbstzweifel ablegen

Doch müsse etwa die Europäische Union auch unnötige Selbstzweifel ablegen: “Wir sehen immer die 15 Prozent Probleme und nicht die 85 Prozent, die funktionieren.” Dies sei umso wichtiger, als die größte Gefahr von Russland ausgehe. Und zwar in Form von Cyberattacken oder steigender Online-Einflussnahme via “Bots und Trollen”. Durch diese werde Folgendes suggeriert: “Ihr seid schwach, Demokratien bringen es nicht mehr zusammen, ihr seid am absteigenden Ast, ihr könnt es nicht mehr”. Wenn es quer durch Europa und auch in Österreich politische Kräfte gebe, die sich vor den Karren spannen ließen und dieses russische Narrativ “nachäffen und nachplappern”, werde es “gefährlich”. Doch habe die EU bereits mehr Resilienz gezeigt, als ihr vielleicht zugetraut worden sei, und gemeinsam immerhin 16 Sanktionspakete gegen Russland beschlossen.

Natürlich müsse Europa auch für potenzielle militärische Angriffe gerüstet sein, forderte der Außenminister. Schließlich tobe nur rund 500 Kilometer von Österreich entfernt in der Ukraine einen Krieg, den noch vor wenigen Jahren niemand für möglich gehalten hätte. “Daher muss man sich rechtzeitig auf alles vorbereiten. Man schließt auch keine Brandversicherung ab, wenn das Haus schon in Flammen steht.” Es brauche daher eine neue Wehrhaftigkeit, nicht nur in Europa, sondern auch in Österreich. Daher habe die auslaufende ÖVP-Grünen-Bundesregierung in ihrer Amtszeit ohnehin “zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder eine massive Erhöhung der Mittel für das Verteidigungsministerium und das österreichische Bundesheer veranlasst.” Dass Österreich militärisch neutral sei, habe schon einen besonderen Wert, betonte Schallenberg und erinnerte, dass nicht zuletzt deshalb “50 internationale Organisationen” in Österreich ansässig seien. Aber: “Die Neutralität per se gibt uns keine Sicherheit.”

Langfristig muss Afrika in den Fokus rücken

Für die neue ÖVP-SPÖ-Neos-Bundesregierung und seine designierte “pinke” Nachfolgerin im Außenministerium, Beate Meinl-Reisinger, gebe es jedenfalls außenpolitisch jede Menge Herausforderungen, so Schallenberg und nannte als erste Beispiele ” den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, den Nahen Osten oder die Gestaltung der transatlantischen Zusammenarbeit.” Langfristig müssten Europa und damit Österreich aber auch die Entwicklungen auf dem afrikanischen Kontinent in den Fokus rücken, meinte der Minister und nannte als Beispiele die Konflikte im Sudan oder im Kongo. Dort würden sich in den kommenden fünf bis zehn Jahre die entscheidenden Fragen stellen. Zudem gebe es weltweit noch viele weiteren Krisenherde: “Denken wir nur an Myanmar, denken wir in Haiti – es gibt eine ganze Reihe von Krisenherden. Wie stark wird das wahrgenommen? Das ist ja gerade das Problem: Die menschliche Aufmerksamkeitsspanne ist auch nicht unendlich.”

(Das Gespräch führten Edgar Schütz und Stefan Vospernik/APA)

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