Von: APA/dpa
Er hat Auschwitz und Buchenwald überlebt, war Diplomat und Dolmetscher Titos und hat seinen reichen Erfahrungsschatz in unzählige Bücher gepackt: Der Autor und Übersetzer Ivan Ivanji, der die serbische und die österreichische Staatsbürgerschaft besaß, ist tot. Er starb am Donnerstag in Weimar, wie die Stadtverwaltung am Freitag mitteilte. Wenige Stunden zuvor hatte er noch an der Eröffnung des neuen Museums zu Zwangsarbeit im Nationalsozialismus in Weimar teilgenommen.
Anlässlich seines 95. Geburtstags im Jänner hatte Ivanji der APA noch schriftlich ausgerichtet, dass es ihm gut gehe. Den größten Teil der Zeit verbringe er in Belgrad, wo Tochter, Sohn und einige der Enkel- und Urenkelkinder leben, teilte er damals mit. 1992 kam Ivanji nach Wien, ohne seine Belgrader Wohnung aufzugegeben. Nach dem Tod seiner Gattin vor einigen Jahren war er wieder dorthin zurückgekehrt.
Ivan Ivanji wurde am 24. Jänner 1929 in Veliki Beckerek (Groß-Betschkerk, heute: Zrenjanin) in der Vojvodina als Sohn einer jüdischen Ärztefamilie geboren. Im Jänner 1942 wurde er in Novi Sad Augenzeuge von Massakern an der Donau. In seiner Heimatstadt überlebten von 278 Juden nur 38, erzählte er einmal. Er selbst kam als 15-Jähriger nach Auschwitz und wurde erst bei Kriegsende aus dem Konzentrationslager Buchenwald befreit. Seine Eltern sah er nie wieder.
Er studierte Architektur und Germanistik und war daraufhin in Belgrad als Lehrer, Theaterintendant, Journalist, aber auch lange als Titos Dolmetscher und als Botschaftsrat Jugoslawiens in Deutschland tätig. Seine Erfahrungen verarbeitete Ivanji in zahlreichen Büchern wie “Die Tänzerin und der Krieg” (2002), “Titos Dolmetscher” (2007) oder “Mein schönes Leben in der Hölle” (2014).
Die Liste seiner im Picus Verlag erschienenen Romane ist noch um einiges länger. Sie umfasst u.a. auch “Barbarossas Jude”, “Geister aus einer kleinen Stadt”, “Schattenspringen”, die Balkan-Familiensaga “Schlussstrich” (2017), bei der die Geschichte des Protagonisten Rudolf Radvanyi viele Ähnlichkeiten mit der Vita des Autors aufwies, “Hineni” (2020), seine eigene Version der Geschichte des biblischen Abraham, oder “Corona in Buchenwald” (2021), eine Art Decamerone der KZ-Überlebenden, in dem zwölf alte Männer in der Quarantäne eines Weimarer Hotels zu Geschichtenerzählern werden. Erst heuer brachte das Verlagshaus zudem eine Neuauflage von Ivanjis 1999 erschienenen Romans “Der Aschenmensch von Buchenwald” heraus. In ihm schildert er die Entdeckung von 700 Urnen mit der Asche von namenlosen Häftlingen bei Renovierungsarbeiten im Krematorium der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Buchenwald und verleiht den anonymen Toten Stimmen, die sich zu einem Chor ermordeter Seelen vereinigen.
Ivanji bezeichnete sich selbst als “Skribomane”, als Schreibwütigen. “Günter Grass sagte mehrere Jahre vor seinem Tod, er wolle nichts mehr anfangen, weil er nicht weiß, ob er es zu Ende bringen kann”, erzählte er der APA einmal. “Ich beginne immer wieder etwas Neues, und wenn ich es nicht beenden kann, bleibt es eben unvollendet. Hat es ja auch schon gegeben.”
“Mit Ivan Ivanji verlieren wir einen unermüdlichen Schreiber und Chronisten der Zeitgeschichte”, kondolierte die österreichische Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer am Freitag. “Er hat in seinem vielfältigen Werk Erfahrungen aus seinem bewegten Leben als Autor, Lehrer, Diplomat und Dolmetscher Titos mit dem Weltgeschehen verwoben und so ein unersetzliches Gesamtwerk hinterlassen. Seine autobiografisch geprägten Bücher über die Gräueltaten des Nazi-Regimes sind schon jetzt fixer Bestandteil des Kanons der Erinnerungsliteratur. Seine Stimme wird fehlen.”
Auch die deutsche Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) zeigte sich betroffen. “Der Tod von Ivan Ivanji bestürzt mich sehr und erfüllt mich mit großer Trauer, äußerte sie im Kurznachrichtendienst X. “Noch am vergangenen Mittwoch durfte ich Ivan Ivanji in Weimar persönlich kennenlernen – eine Begegnung, für die ich unendlich dankbar bin.” Roth war unter den Gästen des Festaktes zur Museumseröffnung. Ivanjis Hoffnung sei gewesen, “dass die junge Generation aus der Geschichte lernt und einsteht für Menschlichkeit, Solidarität und Respekt”. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) schrieb auf X: “Mit tiefer Trauer nehme ich Abschied von Ivan Ivanji, der nur wenige Stunden, nachdem er das Museum ‘Zwangsarbeit im Nationalsozialismus’ in Weimar in einem symbolträchtigen Akt eröffnet hat, von uns gegangen ist.”
“Mit ihm verliert Weimar eine außerordentliche Persönlichkeit, die mit unserer Stadt und dem Vermächtnis von Buchenwald tief verbunden war”, betonte der Weimarer Oberbürgermeister Peter Kleine (parteilos). Im Weimarer Rathaus liegt ein Kondolenzbuch für Ivanji aus.