Von: APA/AFP/dpa
Indische und pakistanische Soldaten haben sich nach Angaben eines Regierungsvertreters einen nächtlichen Schusswechsel in der Region Kaschmir geliefert. Die Schüsse seien im Leepa-Tal an der durch Kaschmir verlaufenden Kontrolllinie gefallen, sagte ein Regierungsvertreter im pakistanisch kontrollierten Teil der Region, Syed Ashfaq Gilani, am Freitag. Damit steigen die Spannungen nach dem blutigen Anschlag auf Touristen im indisch kontrollierten Teil Kaschmirs weiter.
Zivilisten seien nicht betroffen gewesen, sagte der Regierungsvertreter der Nachrichtenagentur AFP. Die indische Armee bestätigte den Schusswechsel und machte Pakistan dafür verantwortlich. Indische Soldaten hätten lediglich auf Schüsse “geantwortet”, erklärte ein Sprecher.
Indien zerstörte Häuser der mutmaßlichen Attentäter
Der pakistanische Senat wies unterdessen Vorwürfe Indiens zurück, Pakistan sei für den Anschlag mitverantwortlich, bei dem am Dienstag 26 indische Touristen getötet worden waren. Der Senat lehne “jegliche unseriösen und gegenstandslosen Versuche ab, Pakistan mit dem Angriff in Pahalgam in Verbindung zu bringen” und verurteile eine “Kampagne der indischen Regierung, die pakistanische Regierung zu verleumden”, hieß es in einer am Freitag einstimmig verabschiedeten Erklärung. Das Land sei “bereit, seine Souveränität zu verteidigen”.
Die indische Armee zerstörte nach Behördenangaben am Freitag die Häuser der Familien von zwei der mutmaßlichen Attentäter. Der indische Premierminister Narendra Modi hatte am Vortag erklärt, Indien werde die Verantwortlichen des Angriffs “bis ans Ende der Welt verfolgen” und “alle Terroristen und deren Unterstützer bestrafen”. Die indische Polizei fahndet nach vier mutmaßlichen Mitgliedern der pakistanischen Extremistengruppe Lashkar-e-Taiba (LeT) – zwei Pakistanis und zwei Indern – und setzte ein Kopfgeld in Höhe von umgerechnet rund 20.000 Euro aus. Die LeT wird von der UNO als Terrororganisation eingestuft.
UNO fordert “maximale Zurückhaltung”
Die Vereinten Nationen haben Indien und Pakistan angesichts der höchst angespannten Lage zwischen beiden Ländern nach einem tödlichen Angriff auf Touristen in Kaschmir zu “maximaler Zurückhaltung” aufgerufen. “Wir appellieren an beide Regierungen, größtmögliche Zurückhaltung zu üben und sicherzustellen, dass sich die Situation und die Entwicklungen, die wir gesehen haben, nicht weiter verschlechtern”, sagte UNO-Sprecher Stéphane Dujarric am Donnerstag in New York.
Alle Probleme zwischen Pakistan und Indien sollten “friedlich” gelöst werden, so Dujarric weiter. Der seit Jahrzehnten schwelende Konflikt zwischen den beiden Nachbarstaaten war am Donnerstag eskaliert.
Der Angriff auf die Touristen wurde am Dienstag im beliebten Urlaubsort Pahalgam verübt, etwa 90 Kilometer von der Stadt Srinagar entfernt. Die Angreifer töteten 26 Inder und einen Nepalesen. Zu der Tat bekannte sich zunächst niemand. Es war der folgenschwerste Angriff in Kaschmir seit mehr als 20 Jahren. Normalerweise verüben die in der zwischen Indien und Pakistan umstrittenen Kaschmir-Region aktiven militanten Gruppen Angriffe geringeren Ausmaßes auf indische Sicherheitskräfte. Von indischer Seite wurde die Verantwortung Pakistan zugewiesen, das in Kaschmir “grenzüberschreitenden Terrorismus” unterstütze.
Gegenseitige Strafmaßnahmen
Zuvor hatten sich die beiden Nachbarstaaten am Donnerstag nach dem tödlichen Angriff gegenseitig mit Strafmaßnahmen überzogen: Indien ordnete die Ausweisung aller pakistanischen Staatsangehörigen bis zum kommenden Dienstag an, während Pakistan indische Diplomaten auswies und eine Aussetzung des Handels ankündigte. Das Außenministerium in Neu-Delhi verkündete die Schließung des wichtigsten gemeinsamen Grenzübergangs sowie die Aussetzung eines Abkommens zur Verteilung von Wasserressourcen mehrerer Himalaya-Flüsse. Die Regierung in Islamabad teilte daraufhin mit, jeder Versuch Indiens, durch ein Aussetzen des Wasserabkommens für den Indus-Fluss in Kaschmir die pakistanischen Wasserressourcen zu gefährden, werde als “Kriegsakt” bewertet.
Die nördliche Himalaya-Region Kaschmir, die mehrheitlich von Muslimen bewohnt wird, ist seit der Unabhängigkeit und der Aufteilung Britisch-Indiens in Indien und Pakistan im Jahr 1947 geteilt. Beide Länder beanspruchen das Gebiet vollständig für sich und haben bereits zwei Kriege um die Kontrolle der Bergregion geführt.
Experten: Hohes Eskalationsrisiko
Experten warnten indes vor einer drohenden Eskalation. Das Eskalationsrisiko sei “enorm hoch”, schrieb der renommierte Südasien-Experte Michael Kugelman, Direktor des Südasien-Instituts am Woodrow Wilson International Center for Scholars in Washington, auf der Online-Plattform X. “Die Welt sollte sehr besorgt über die derzeitige Indien-Pakistan-Krise sein”, die Regierungen beider Länder stünden unter Druck.
Auch Christian Wagner, Experte für Indien und Pakistan bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, sprach von einer “neuen Eskalationsstufe”. Pakistan habe in der Vergangenheit angedeutet, dass mit der Reduzierung der Wasserzufuhr, die mit der Aussetzung des Indus-Wasservertrags drohe, eine rote Linie für den Einsatz von nuklearen Waffen überschritten sein könne. Dass Pakistan das Shimla-Abkommen von 1972, das die friedliche Bereinigung aller strittigen Fragen zwischen beiden vorsieht, infrage stelle, sei eine gefährliche Zuspitzung der Lage.
Befürchtet wird, Indiens Militär könnte nach dem jüngsten Anschlag in Pakistan mutmaßliche Basen von Terrorgruppen oder andere Ziele angreifen. Pakistan könnte dann mit Gegenschlägen auf indische Ziele antworten. Schon kleinere Scharmützel am Grenzverlauf könnten rasch eskalieren – mit unübersehbaren Folgen. “Es ist leider davon auszugehen, dass wir noch mal eine militärische Eskalation sehen”, so Wagner. Möglich wäre aber auch, dass militärische Reaktionen im begrenzten Rahmen folgen könnten, ohne den Konflikt vollständig aus dem Ruder laufen zu lassen. Eine Verschlechterung der ohnehin schon angespannten Beziehungen sei jedoch in jedem Fall zu erwarten.
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