Zwei Frauen aus ihren Häusern in Agadez entführt - Steckt IS dahinter?

Sohn von Wiener Niger-Geisel sieht Parallelen zu Schweizerin

Donnerstag, 17. April 2025 | 06:00 Uhr

Von: apa

Der Sohn der im Niger entführten Österreicherin sieht Parallelen zum Fall der am Sonntag gekidnappten Schweizerin. So wie seine Mutter vor rund 100 Tagen wurde auch die Schweizer Bürgerin am Abend aus ihrem Haus in der nigrischen Sahara-Wüstenstadt Agadez verschleppt. Das Außenministerium bestätigte auf APA-Anfrage Kontakte zu den Schweizer Behörden. Insider aus der Region vermuten, dass der Islamische Staat in der Sahelzone (ISGS bzw. ISSP) hinter beiden Entführungen steht.

Christoph Gretzmacher, der Sohn der fast 73-jährigen Wienerin, hofft darauf, dass seine Mutter nun “nicht mehr allein” in den Händen der Entführer ist. Er habe zwar keinen direkten Kontakt zu den Kidnappern, aber “kann sich sehr gut vorstellen”, dass es sich bei der Entführung der 67-jährigen Schweizerin um die gleichen Täter handelt. Gretzmacher hat wie die beiden Geiseln selbst jahrelang in Agadez gelebt und verfügt nach eigenen Angaben über ein weitreichendes Netzwerk vor Ort. Als hilfreich könne sich erweisen, “dass sich nun eine zweite Regierung der Sache annimmt und die Schweiz durch ihre neue und aktive Rolle mehr Druck auf lokale und regionale Player ausüben kann”, sagt er zur APA. Und Gretzmacher verweist darauf, dass Eva G. am 21. April 100 Tage entführt ist.

Vermehrt Entführungen orchestriert vom IS

Mehrere Quellen aus der Region vermuten, dass es sich bei den Entführern um Banditen handelte, die die Geiseln an den IS weiterverkauft haben. Jüngsten Informationen zufolge geht es Eva G. gut, hieß es gegenüber der APA. Insider weisen auch auf den Fall des deutschen Entwicklungshelfers Jörg L. hin. Der Mann war nach vier Jahren Geiselhaft im Dezember 2022 freigekommen und nach eigenen Angaben vom ISGS korrekt behandelt worden. Die islamistische Terrormiliz JNIM, ein regionaler Ableger der Al-Kaida, dementierte eine Beteiligung an der Entführung von Eva G..

Dass der ISSP zuletzt eine Reihe von Entführungen ausländischer Staatsangehöriger in der Sahelzone orchestriert hat, bestätigt ein Experte. “Die Zahl der Entführungen von Ausländern, die von dem ISSP durchgeführt wurden, ist in diesem Jahr beispiellos. Zuvor führte die Gruppe solche Operationen nur sehr sporadisch durch”, erklärt der Westafrika-Analyst der Konfliktdatenorganisation ACLED, Héni Nsaibia. “Diese Veränderung scheint auf den Ressourcenbedarf der Gruppe zurückzuführen zu sein, da für Ausländer höhere Lösegelder gezahlt werden als für einheimische Entführte.”

Neuerdings scheine der ISSP Entführungen an andere bewaffnete Gruppen und Banden auszulagern. “Bewaffnete Banditen nehmen möglicherweise auch Geiseln, weil sie wissen, dass sie sie an den ISSP ‘verkaufen’ können”, ergänzt Nsaibia in einem Interview, das auf der ACLED-Homepage veröffentlicht wurde. Als Beispiel nennt der Experte die Entführung eines spanischen Staatsbürgers in Algerien im Jänner durch lokale Kriminelle, die schließlich von Tuareg-Rebellen der Azawad-Befreiungsfront (FLA) vereitelt wurde, bevor die Banditen ihn an den ISSP übergeben konnten. “Eine ähnliche Taktik wurde angewandt, als eine ungenannte Gruppe, von der angenommen wird, dass sie mit dem ISSP in Verbindung steht, die Österreicherin in Agadez entführte, bevor sie sie – so wird vermutet – in eine ISSP-Hochburg brachte.”

Krisenteam in der Region

Das Außenministerium bestätigt auf APA-Anfrage diese Vermutung nicht. “Im Fall der entführten Österreicherin in Niger gibt es bislang keine neuen Entwicklungen”, heißt es in einer Stellungnahme gegenüber der APA. “Das Krisenteam in der Region geht den vorliegenden Hinweisen und Kontakten mit Nachdruck nach.” Auch das Schweizer Außenministerium macht keine Angaben zu den Geiselnehmern. Die Schweizer Vertretung in der Hauptstadt Niamey stehe mit den nigrischen Behörden in Kontakt, “welche für die Lösung dieses Entführungsfalls zuständig sind”, so das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) in Bern.

Der EU-Sonderbeauftragte für die Sahelzone, João Cravinho, will sich auf APA-Nachfrage ebenfalls nicht zu “laufenden konsularischen Angelegenheiten” äußern. “Wir können lediglich bestätigen, dass wir diesen Fall vor Ort über unsere Delegation in Niamey verfolgen und mit der zuständigen österreichischen Botschaft in Kontakt stehen, um die entsprechenden Kontakte vor Ort herzustellen”, betont das Büro Cravinhos.

Angespannte Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in der Sahelzone ist nach Militärputschen in Mali, Burkina Faso und Niger stark angespannt. Das österreichische Außenministerium hat wegen der Anschlags- und Entführungsgefahr eine Reisewarnung für den Niger ausgesprochen. Das Schweizer Außenamt verweist darauf, dass in großen Teilen der Sahara und des Sahel bewaffnete Banden und terroristische Gruppierungen aktiv seien, die von Schmuggel, Raubüberfällen und Entführungen leben. Sie seien gut organisiert, operierten grenzüberschreitend und hätten Verbindungen zu lokalen, kriminellen Gruppen.

Während westliche Länder wie Frankreich und die USA die Region verließen, habe sich die bilaterale Unterstützung auf Russland verlagert, und zwar durch Söldner der Wagner-Gruppe und ihres Nachfolgers, des Africa Corps, analysiert die Konfliktdatenorganisation ACLED. Der IS Sahel ist laut der NGO einer der gewalttätigsten und aktivsten bewaffneten Akteure in der Region. Er habe das durch den Abzug der französischen Truppen entstandene Sicherheitsvakuum strategisch ausgenutzt, um seinen Einflussbereich in der Grenzregion auszuweiten, insbesondere in der malischen Region Ménaka. Zuletzt habe ISGS aber seine Taktik geändert – von Massengewalt hin zu strukturierteren Formen der territorialen Kontrolle mit dem Ziel, ein selbst ernanntes jihadistisches Regierungssystem zu errichten, erklärt ACLED auf seiner Homepage.

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