Von: mk
Bozen – Die von der Regierung geplanten Pflichtimpfungen haben seit Wochen für viel Gesprächsstoff gesorgt. Gestern wurde das entsprechende Dekret im Amtsblatt veröffentlicht. Der Südtiroler Sanitätsbetrieb hat die wichtigsten Details zusammengestellt.
Die neue Regelung sieht insgesamt zwölf Pflichtimpfungen für Kinder und Jugendliche im Alter von null bis 16 Jahren vor. Sie sind vom nationalen Impfkalender vorgesehen und betreffen Pathologien, die eigentlich als ausgerottet oder zumindest „in Schach gehalten“ galten. Da in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer weniger Kinder geimpft wurden, sind sie wieder auf dem Vormarsch. Die heurige Masernepidemie in Italien z.B. hat insgesamt fast 3.000 Personen betroffen, 89 Prozent davon waren nicht geimpft.
Der Südtiroler Sanitätsbetrieb hat schon vor einigen Wochen eine Arbeitsgruppe einberufen, die die Abwicklung der Impfaktion plant. Sie wird von Dagmar Regele, Direktorin des Departments für Gesundheitsvorsorge geleitet und bezieht verschiedenste Berufsgruppen mit ein. „Wir werden die Pflichtimpfungen für die Eltern, die ihre Kindern impfen oder nachimpfen wollen, so schnell wie möglich auf die Beine stellen“, so Regele. „Geplant ist, dass die Eltern ein Einladungsschreiben erhalten, wo je Kind aufgelistet ist, welche Impfungen fehlen. Wir werden auch schon einen Impftermin mitteilen und unsere Öffnungszeiten ausweiten. Das Dekret sieht auch eine Übergangsbestimmung vor. Die Bevölkerung wird über die Medien, die Haus- und Kinderärzte, sowie die Apotheken in den nächsten Wochen noch über weitere Details informiert.“
Was für die Hygienedienste eine Herausforderung ist, sollte für die einzelnen Familien überschaubar bleiben: Die meisten der zwölf Impfungen können mittels Mehrfachimpfstoff verabreicht werden. Department-Direktorin Regele geht davon aus, dass die meisten Kinder eine vollständige Impfung im Sinne der neuen Regelung mit ein bis maximal drei Sitzungen erledigt haben. Eventuelle Auffrischungen können dann nach sechs Monaten oder einem Jahr noch gemacht werden. Für die Hygienedienste bedeutet das dennoch ca. 100.000 Impfsitzungen in den nächsten zwölf Monaten.
„Der Sanitätsbetrieb hat die Aufgabe, die Pflichtimpfungen für die Bevölkerung durchzuführen“, so Generaldirektor Thomas Schael. „Der Sanitätsbetrieb wird dazu auch künftig auf Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung setzen, wie vom Landtag gestern einstimmig beschlossen wurde. Durch Impfungen sind Millionen von Menschenleben gerettet worden. Weil die Impfraten zurückgehen, werden jahrzehntelange Erfolge der Medizin rückgängig gemacht. Wir werden also unser Möglichstes tun, um der Südtiroler Bevölkerung die Impfung unkompliziert anzubieten.“
Die Impfinitiative des Ministeriums wird von Fachgesellschaften großflächig unterstützt, u.a. von der Gesellschaft für Hygiene und Vorsorgemedizin, der Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Industriehygiene, der Gesellschaft für Tropenmedizin und Weltgesundheit sowie den Vereinigungen der Pädiater und Hausärzte.
Um zu verstehen, welche Ängste und Motive die Südtiroler Eltern davon abhalten, ihre Kinder impfen zu lassen, wird die Freie Universität Bozen mit dem Südtiroler Sanitätsbetrieb in den nächsten Monaten eine wissenschaftliche Studie durchführen.
Die vorgesehenen Pflichtimpfungen
1. Kinderlähmung: Viruserkrankung, wird über Speicheltropfen, Hautkontakt oder Nahrung übertragen. Verursacht Entzündungsreaktionen und Lähmung der Nervenzellen. Trat in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch seuchenartig auf, ist dank Impfung beinahe ausgestorben.
2. Diphterie: bakterielle Infektionskrankheit, wird über Tröpfcheninfektion, Husten, Niesen und Küssen oder durch verseuchte Gegenstände übertragen. Verursacht Entzündungen im Hals-Nasen-Rachen-Raum. Kann Leber- und Nierenschädigung sowie Herzmuskelschwäche verursachen.
3. Thetanus (Starrkrampf): Wundinfektion, Erreger lebt im Erdreich und in Tierexkrementen. Wird über Verletzungen der Haut übertragen. Führt zu Lähmungen und Krämpfen der Muskulatur.
4. Hepatitis B: virusbedingte Leberentzündung, gehört zu den häufigsten Infektionskrankheiten weltweit. Verursacht Durchfall, Kopf- und Gliederschmerzen, Appetitlosigkeit und Gelbsucht, im chronischen Stadium eine Leberzirrhose und kann Lebertumor verursachen.
5. Keuchhusten: durch Bakterien ausgelöste Infektionskrankheit. Wird über Luft übertragen (Tröpfcheninfektion). Verursacht Hustenanfälle bis zu Atemnot und Atemstillstand.
6. Haemophilusinfluenzae B: eine der schwersten bakteriellen Infektionen in den ersten fünf Lebensjahren. Äußert sich durch Fieber und Erbrechen. Kann Meningitis, Blutvergiftung und Lungenentzündung verursachen.
7. Meningokokken B: bakterielle Infektion im Nasen-Rachen-Raum, die Übertragung findet von Mensch zu Mensch statt. Die Erkrankung kann innerhalb weniger Stunden aus voller Gesundheit zum Tod führen. Können Hirnhautentzündung und Blutvergiftung auslösen.
8. Meningokokken C: bakterielle Infektion im Nasen-Rachen-Raum, Übertragung durch Tröpfcheninfektion. Können Hirnhautentzündung und Blutvergiftung auslösen.
9. Masern: Virusinfektion, Erkrankung der oberen Luftwege mit rötlichem Hautausschlag. Gefahr einer Lungenentzündung oder einer Gehirnentzündung.
10. Röteln: Infektionskrankheit, durch Viren übertragen, am häufigsten durch Tröpfcheninfektion. Im Erwachsenenalter verlaufen die Erkrankungen oft schwerer. Besonders gefährlich ist eine Infektion für ungeborene Kinder.
11. Mumps: Entzündung der Ohrspeicheldrüse mit grippeähnliche Krankheitszeichen. Bei Jugendlichen und Erwachsenen ist das Risiko für Komplikationen größer als bei Kindern.
12. Windpocken: Virusinfektion, erfolgt über Kontakt (Schmierinfektion), auch über Sprechen, Niesen und Husten (Tröpfcheninfektion). Eine große Ansteckungsgefahr ist auch über die Luft gegeben. Mögliche Komplikationen sind bakterielle Infektionen der Haut, Lungenentzündung, Fehlbildung bei Ungeborenen.
Details aus dem Dekret
Die Impfungen sind gratis. Die Pflichtimpfungen können nur im Falle einer erwiesenen Gesundheitsgefährdung eingeschränkt oder aufgeschoben werden. Die klinischen Bedingungen werden von Hausarzt bzw. Hausärztin oder Kinderarzt bzw. Kinderärztin dokumentiert.
Werden die Pflichtimpfungen nicht vorgenommen, erwartet die Eltern und Erziehungsberechtigten eine Geldstrafe von 500 bis 7.500 Euro. Die Geldstrafen werden von den Sanitätsbetrieben eingeholt. Die Eltern oder Erziehungsberechtigten werden dem Jugendgericht zur Aussetzung der elterlichen Gewalt gemeldet.
Nicht geimpfte Kinder können nicht in einen Kinderhort oder Kindergarten (öffentlich wie privat) eingeschrieben werden. Die Zuständigen der Einrichtung müssen dem zuständigen Sanitätsbetrieb innerhalb fünf Tagen den Namen des Kindes mitteilen, so dass die Verpflichtung zu Impfung erfüllt werden kann. Die Schulen sind dazu verpflichtet, den zuständigen Sanitätsbetrieb über nicht geimpfte Kinder in Kenntnis zu setzen. Nichtmeldung bedeutet Unterlassung von Amtshandlungen. Kinder, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden können, müssen in Klassen unterrichtet werden, in denen es keine anderen nicht-geimpften Kinder gibt.
Wenn ein Kind die Krankheit bereits hatte, muss vom zuständigen Arzt bzw. der zuständigen Ärztin ein Attest ausgestellt werden. Der Arzt kann auch Bluttests durchführen, um die Bildung von Antikörpern festzustellen.
Die fehlenden Impfungen müssen bis Ende nächsten Schuljahres nachgeholt werden.
STF: „Sanitätsbetrieb missachtet Landtagsbeschluss“
Die Vorgangsweise des Sanitätsbetriebs löst Irritationen bei der Süd-Tiroler Freiheit aus. „Erst gestern beschloss der Südtiroler Landtag einstimmig, sich dafür einzusetzen, dass die Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung der Impfpflicht aus dem Dekret gestrichen werden. Doch bereits heute, nur einen Tag später, kündigt der Südtiroler Sanitätsbetrieb an, mit den Vorbereitungen für die Zwangsimpfungen zu beginnen. Damit missachtet der Sanitätsbetrieb ganz klar, den vom Südtiroler Landtag, gefassten Beschluss!“, zeigt sich die Landtagsabgeordnete Myriam Atz Tammerle empört.
Aus einem Schreiben des Südtiroler Sanitätsbetriebes lässt sich entnehmen, dass die Freie Universität Bozen zudem eine wissenschaftliche Studie durchführen wird, um die Gründe zu erfassen, welche Eltern davon abhalten, ihre Kinder impfen zu lassen. Unabhängig von der Studie, die die Universität Bozen zu den Gründen, warum Eltern ihre Kinder nicht impfen lassen, würden die Kinder in der Zwischenzeit trotzdem zwangsgeimpft. „Dies ist eine Irreführung der Bevölkerung und missachtet die Anliegen der besorgten Eltern“, so die Süd-Tiroler Freiheit.
Atz Tammerle fordert die zuständige Landesrätin auf, „den Sanitätsbetrieb unverzüglich zu kontaktieren und die Vorbereitungen für die Zwangsimpfungen sofort zu stoppen“.