Von: APA/Reuters/dpa
Eine von Frankreichs Ex-Außenministerin Catherine Colonna geleitete Untersuchungskommission hat keine Hinweise für die Behauptung Israels gefunden, unter den Mitarbeitern des UN-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) seien viele Unterstützer von Terrororganisationen. Israel habe dafür keine Beweise vorgelegt, hieß es am Montag. Jedoch orteten die Experten bei UNRWA “Probleme” bzw. “Verbesserungsbedarf bei der Einhaltung der Neutralität”. Israel reagierte empört.
Zwar habe Flüchtlingsorganisation eine Reihe von Mechanismen und Verfahren etabliert, um die Wahrung des Neutralitätsgrundsatzes zu gewährleisten, sagte Colonna am Montag in New York. Trotzdem gebe es nach wie vor Probleme mit der Neutralität. Dazu gehörten politische Äußerungen von Mitarbeitern, Schulbücher mit problematischen Inhalten und Drohungen der sehr politischen Gewerkschaften gegen die Leitung der Organisation.
Bei den meisten Verstößen gegen die Neutralität handelt es sich demnach um “Beiträge in den sozialen Medien”, die häufig auf gewalttätige Zwischenfälle folgen, die Kollegen oder Verwandte betreffen. Eine Präventivmaßnahme könne darin bestehen, dass dem Personal die Möglichkeit gegeben werde, “diese traumatischen Vorfälle zu besprechen”, heißt es in dem Bericht, der in Zusammenarbeit mit drei nordischen Menschenrechtsorganisationen erstellt wurde.
Colonna empfahl unter anderem eine genauere Überprüfung der Mitarbeiter, einen besseren Schutz der UNRWA-Einrichtungen vor missbräuchlicher militärischer Nutzung und eine Revision des gesamten Lehrmaterials an den von der Organisation betrieben Schulen. “Wir sind zuversichtlich, dass die Umsetzung dieser Empfehlungen UNRWA helfen wird, sein Mandat zu erfüllen”, hieß es in dem Bericht. Das UNRWA bleibe allerdings “unersetzlich und unverzichtbar für die menschliche und wirtschaftliche Entwicklung der Palästinenser”.
Das Hilfswerk begrüßte die Ergebnisse des Berichts und sagte zu, die Empfehlungen umzusetzen. “Die Wahrung der Neutralität ist von zentraler Bedeutung für unsere Fähigkeit, weiterhin Leben zu retten und zur menschlichen Entwicklung der Flüchtlinge im Gazastreifen beizutragen”, sagte UNRWA-Chef Philippe Lazzarini.
Israel hat mit scharfer Kritik auf den Bericht reagiert. Das “enorme Ausmaß der Unterwanderung” des Hilfswerks durch die islamistische Hamas werde darin nicht berücksichtigt, hieß es am Montagabend in einer Stellungnahme des israelischen Außenministeriums auf der Plattform X (vormals Twitter). Der Bericht “ignoriert die Schwere des Problems”, hieß es. “So sieht ein Versuch aus, dem Problem auszuweichen und es nicht direkt anzugehen”.
Die Hamas habe das Palästinenserhilfswerk so tief infiltriert, “dass es nicht mehr möglich ist, festzustellen, wo das UNRWA endet und wo die Hamas beginnt”, bekräftigte das israelische Außenministerium nach Veröffentlichung des Untersuchungsberichts, sprach von “kosmetischen Lösungen” und forderte Geberländer auf, ihre Gelder an andere humanitäre Organisationen in Gaza zu überweisen. “UNRWA kann nicht Teil der Lösung in Gaza sein, weder jetzt noch in Zukunft”.
Israel hatte im März erklärt, mehr als 450 UNRWA-Mitarbeiter seien Agenten terroristischer Gruppen im Gazastreifen. Das sei nicht belegt worden, hieß es am Montag. Bereits im Februar hatte Israel behauptet, zwölf UNRWA-Mitarbeiter seien an den Angriffen auf Israel vom 7. Oktober beteiligt gewesen. Eine UNO-Untersuchung dazu läuft derzeit noch.
Zahlreiche Länder – darunter Österreich – hatten nach den Vorwürfen millionenschwere Zahlungen an das UNRWA unterbrochen oder ausgesetzt. Das hat dem Hilfswerk, das auch gegen die humanitäre Krise im Gazastreifen ankämpft, schwer zugesetzt. UN-Generalsekretär António Guterres forderte am Montag alle Länder auf, das Hilfswerk weiter aktiv zu unterstützen. Es sei lebenswichtig für die Flüchtlinge.
Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu hatte schon weit vor Beginn des Gazakriegs die Schließung des 1949 gegründeten Hilfswerks gefordert. Der UNRWA-Chef Philippe Lazzarini hatte im März vor einer “absichtlichen und konzertierten Kampagne” gewarnt, die das Aus des Hilfswerks zum Ziel habe.
Die Vereinten Nationen hatten nach den ersten Vorwürfen Israels im Februar die ehemalige französische Außenministerin Catherine Colonna zur Leiterin einer UNRWA-Neutralitätsprüfung ernannt. In deren Bericht, der am Montag offiziell vorgestellt werden sollte, heißt es nun, Israel habe keine Beweise für die Behauptung vorgelegt, eine “beträchtliche Anzahl” von UNRWA-Mitarbeitern seien Mitglieder terroristischer Organisationen.
In dem Bericht heißt es auch, das UNRWA verfolge einen “ausgeprägteren Ansatz” zur Neutralität als ähnliche UN- oder Hilfsorganisationen. Zudem gebe es solide Rahmenbedingungen, um die Einhaltung von Grundsätzen einer humanitären Neutralität zu gewährleisten.
Es gebe aber auch Probleme. Dazu gehörten öffentliche Äußerungen politischer Ansichten von einigen UNRWA-Mitarbeitern, die Verwendung von Schulbüchern mit problematischem Inhalt in einigen UNRWA-Schulen sowie Drohungen aus UNRWA-Gewerkschaften gegen die UNRWA-Leitung. Die Neutralität des Hilfswerks im Gazstreifen werde zudem durch die Größe des Hilfsprojekts erschwert, da die meisten Mitarbeiter vor Ort rekrutiert würden und auch UNRWA-Leistungen erhielten.
Einige Staaten haben zwischenzeitlich ausgesetzte Zahlungen an das UNRWA wieder aufgenommen. Sie fordern aber unter anderem eine stärkere Überprüfung und Überwachung des Personals. In dem Bericht wird empfohlen, solche Verfahren dauerhaft einzuführen, vor allem bei der Beförderung von Mitarbeitern.
Nach den Vorwürfen Israels gegen zwölf bestimmte Mitarbeiter im Februar hatte das Hilfswerk nach eigenen Angaben die Verträge von zehn der zwölf gekündigt. Die beiden anderen waren in der Zwischenzeit gestorben. Das UNRWA beschäftigt insgesamt 32.000 Mitarbeiter, davon 13.000 im Gazastreifen.