Opposition und Verbände größtenteils mit Rückendeckung

SVP sagt sich von Rom los: Die Reaktionen

Dienstag, 28. April 2020 | 15:13 Uhr
Update

Von: luk

Bozen – Südtirol will bei der „Phase zwei“ nach dem durch Corona bedingten Lockdown seinen eigenen Weg gehen. Die SVP hat sich gestern von Rom losgesagt und auf die Autonomie gepocht. Nun will man mit einem Landesgesetz selbst über die Öffnung von Betrieben, Bars, Restaurants, Friseur- und Kosmetiksalons entscheiden. Sollte dieser Schritt in Rom nicht akzeptiert werden, will die SVP die Mehrheit in Rom nicht länger unterstützen. Das Landesgesetz zur „Phase zwei“ muss nun noch von der Landesregierung und dem Landtag genehmigt werden.

In Südtirol wird dieses Vorgehen größtenteils begrüßt. Auch die Oppositionsparteien heißen den Kurs der Landesregierung gut.

Freiheitliche: “Sonderweg für Südtirol ist die richtige Entscheidung”

Die Freiheitlichen unterstützen die Entscheidung der Landesregierung einen Sonderweg für Südtirol in der Coronakrise einzuschlagen. Der Druck der Familien, der Betriebe und der Opposition hätten die Entscheidungsträger im Land bewogen, einen eigenen Weg einzuschlagen. „Spät, aber doch hat sich die Landesregierung entschieden ein eigenes Landesgesetz im Umgang mit der Coronakrise vorzulegen. Nun ist es wichtig, dass der Entwurf in den Gesetzgebungsausschüssen behandelt wird und so rasch wie möglich der Landtag das Gesetz verabschieden kann. In den vergangenen Tagen wurde klar, dass Regierung und Opposition an einem Strang ziehen wollen, um die Rückkehr zur Normalität zu ermöglichen“, so die freiheitlichen Landtagsabgeordneten Ulli Mair und Andreas Leiter Reber in einer ersten Stellungnahme.

„Es muss jedoch auch klar sein, dass der Sonderweg Südtirols alle gebotenen Sicherheitsmaßnahmen und Hygienevorschriften beachten muss. Die Zusammenarbeit aller in Verbindung mit dem Verantwortungsbewusstsein eines jeden kann dazu beitragen, um diese Krise zu bewältigen. Die Sicherheit als hohes Gut darf keinem leichtfertigen Umgang preisgegeben werden, damit die Rückkehr zu den Arbeitsplätzen unter Einhaltung der entsprechenden Vorschriften ermöglicht wird“, so Mair und Leiter Reber. „Ich erwarte mir von der Landesregierung klar gesetzte Schritte und keine halbherzigen Entscheidungen. Unser Südtiroler Weg muss sich klar von der römischen Marschroute unterscheiden“, unterstreichen die freiheitlichen Landtagsabgeordneten.

STF: “Wir pfeifen auf Rom”

Der Landtagsabgeordnete Sven Knoll begrüßt, “dass die SVP nun endlich dem Druck der Bevölkerung nachgibt und den Vorschlag der Süd-Tiroler Freiheit umsetzt, sich die Corona-Maßnahmen nicht länger vom italienischen Staat diktieren zu lassen.” Südtirol müsse eigenständige Entscheidungen treffen, die auf die Bedürfnisse unseres Landes zugeschnitten sind. “Auf die schönen Worte müssen nun aber auch Taten folgen! Die Gelegenheit dazu bietet bereits nächste Woche die Sitzung des Landtages, bei der die Süd-Tiroler Freiheit einen Antrag eingebracht hat, mit dem der Landesregierung gegenüber Rom der Rücken gestärkt werden soll, damit Südtirol eigenständige Corona-Maßnahmen treffen kann. Der politische Ungehorsam gegen Rom ist notwendig, um Südtirol vor Schaden zu bewahren. Wir werden daher mit ganzer Kraft alle Maßnahmen mittragen, die Südtirol von Italien unabhängig machen”, so die Bewegung.

Grüne: “Spiel mit dem Feuer”

Die Grüne Fraktion im Landtag mahnt jedoch zur Vorsicht: Zorn und Ärger seien schlechte Ratgeber, insbesondere bei Verhandlungen mit Rom. “Wir sollten alles unternehmen, um einen lähmenden institutionellen Konflikt zwischen Bozen und Rom zu vermeiden.”

“Bereits vor zwei Wochen haben wir die Landesregierung aufgefordert, in den demokratischen Normalmodus zu schalten und parteiübergreifend den nächsten Schritte zu beschließen und einzuleiten. Die Menschen brauchen endlich wieder Arbeit, die Kleinbetriebe müssen besser heute als morgen wieder aufsperren dürfen und darüber galt es mit Rom zu verhandeln. Auch wir Grünen waren daher enttäuscht und unzufrieden über die Aussagen von Premier Conte zu Phase zwei. Sie zeugen weniger von der gebotenen Vorsicht, sondern mehr von einer Regierung, die intern gespalten ist und die Zwistigkeiten in Schwäche umlenkt. Politik muss Antworten geben können, wie Familien mit Kindern über den Sommer kommen können, wie Alleinerziehende oder Selbstständige überleben, wie die Betriebe wieder in Schwung kommen sollen”, so die Grünen.

“Südtirol beschreitet keinen sanitären Sonderweg (man denke an die Diskussionen zur Gesundheitsreform vor wenigen Jahren), sondern ist normaler Teil des italienischen Gesundheitssystems. Wir grenzen an die meistbetroffenen Regionen Italiens und befinden uns auf einer der Hauptachsen der Infektionsverbreitung in Europa. Auch in Südtirol hat man die Pandemie anfangs unterschätzt und, wie anderswo auch, Fehler gemacht. Südtirol erholt sich im selben langsamen Rhythmus wie andere Regionen. Die Salurner Klause wird vom Virus noch lange durchdrungen werden. In beide Richtungen. In Südtirol wie im Rest Italiens sind die Menschen enttäuscht und die Aggressionen kochen hoch. Wer in dieser Situation noch Öl ins Feuer gießt, wird seiner Verantwortung für die Gesundheit der Menschen (was wäre, wenn in Südtirol eine zweite Welle ausbrechen würde?) und dem sozialen Zusammenhalt jedoch nicht gerecht. Das Spiel mit dem Feuer, das die Landesregierung nun plötzlich auf Druck von allen Seiten begonnen hat, verblüfft und sorgt. Südtirol kann und soll autonome Wege gehen. Aber die Autonomie Südtirols gründet sich auf der Geschichte und der besonderen Situation der Sprachgruppen im Lande. Die Autonomie steht in keinem Zusammenhang mit der Coronakrise”, so die Grünen.

Das angekündigte Landesgesetz werde die Grüne Fraktion im Landtag begutachten und nach Inhalt bewerten.

SVP-Fraktion: “Wir sind nicht am Start eines Sprints, sondern eines Marathons”

Der SVP-Fraktionsvorsitzende Gert Lanz stellt klar: „Die erste Phase, mit dem Ziel die Bevölkerung zu schützen, war geprägt von Maßnahmen, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Diese Maßnahmen wurden weltweit umgesetzt, in jedem Staat unterschiedlich, jedoch alle mit demselben Ziel, nämlich: Die Infektionskette zu unterbrechen. Die zweite Phase beginnt nun in vielen Staaten anzurollen. Wir stehen nicht am Start eines Sprints, sondern eines Marathons und genau deshalb wollen wir beim Neustart unser eigenes Tempo einschlagen und dafür auch die Verantwortung übernehmen“.

Seit Wochen werde auf politischer Ebene ständig ein regionales Vorgehen für die zweite Phase gefordert. “In Südtirol, der einzigen Provinz Italiens, wurden bereits in der ersten Phase durch verantwortungsvolle Entscheidungen des Landeshauptmannes wichtige Maßnahmen umgesetzt: z.B. Bewegungsfreiheit, teilweises Arbeiten usw., Entscheidungen, die aufgrund der Autonomie auch in Phase eins möglich waren.” In diesem Sinne sei nun der Vorschlag von Landeshauptmann Kompatscher für ein eigenes Landesgesetz zu sehen. „Dieses Gesetz soll die Basis sein für den ersten Kilometer. Wir wollen selbst entscheiden! In der ersten Phase war klar, dass die Regeln vom Staat vorgegeben wurden. Für die zweite Phase hätten wir uns Leitlinien erwartet, denn es kann nicht sein, dass Rom für viele Monate jedes Detail regelt. Das wollen und können wir autonomiepolitisch nicht akzeptieren. Es geht nun darum, unseren Weg für die Zukunft zu gestalten“, betont Lanz.

Selbstverständlich wisse man – vor allem auch weil man jetzt zurückblicken könne -, dass in den letzten Wochen „nicht alles rund gelaufen“ sei. „Nun wollen wir, aufbauend auf diesen Erfahrungen und vor allem auch aufbauend auf all dem, was Südtirol seit Jahrzehnten geprägt und zu einer Erfolgsregion gemacht hat, nach vorne gehen. Neben Geschwindigkeit geht es uns dabei vor allem um die lokalen Bedürfnisse und Möglichkeiten – diese wollen wir berücksichtigen“, so Lanz. Diese Arbeitsweise war schon immer gekennzeichnet von einem „weg vom absoluten Zentralstaat“ und hin zu mehr lokaler Verantwortung durch lokale Gesetzgebung. „Nur so können wir auf lokale Bedürfnisse gezielt eingehen! Und das wollen wir aktiv tun“, unterstreicht der SVP-Fraktionssprecher die geplante Vorgangsweise.

Derzeit mache es keinen Sinn Schuldzuweisungen zu machen, man werde jedoch in Zukunft genauestens analysieren müssen, was gut und was weniger gut gelaufen ist. „Wir dürfen uns in Südtirol nicht vor einer Fehlerkultur verstecken“, sagt Gert Lanz abschließend.

Lega stärkt SVP den Rücken

Auch Lega-Vertreter aus Südtirol – wie Parlamentarier Filippo Maturi und Landesrat Massimo Bessone – stärken der SVP den Rücken. Die Autonomie müsse von Rom respektiert werden.

M5S: “Mit Rom zusammenarbeiten”

Die Fünf-Sterne-Bewegung in Südtirol bezeichnet die Drohung der SVP in Richtung Rom als unerwartet, inakzeptabel und rabiat. Das Vorpreschen der SVP zeuge von einer tiefen Krise innerhalb der Partei, so der Landtagsabgeordnete Diego Nicolini. Ein eigenes Landesgesetz durchzuwinken sei in so kurzer Zeit auch nicht machbar, meint Nicolini. Seine Partei plädiert für eine Zusammenarbeit mit Rom.

ASGB: “Rückendeckung für autonome Gestaltung der Phase zwei”

Der Autonome Südtiroler Gewerkschaftsbund (ASGB) unterstützt die Südtiroler Volkspartei in ihrem Vorhaben, ein eigenes Landesgesetz für die Gestaltung der Phase zwei auszuarbeiten. ASGB-Vorsitzender Tony Tschenett zeigt sich erleichtert: „Der nationale Marschplan für Phase zwei war ein Schlag ins Gesicht für unsere Betriebe und Arbeitnehmer. Die Angst der Wirtschaftstreibenden, dass die lokale Ökonomie einen nicht mehr gutzumachenden Schaden erleidet, war durchaus berechtigt. Dies hätte natürlich auch massive Konsequenzen für die Lohnabhängigen. Insofern geben wir der SVP für ihren Plan, autonom die Phase zwei zu gestalten, volle Rückendeckung.“

Der ASGB-Chef appelliert an alle Parteien und politischen Bewegungen in Südtirol, ihre inhaltlichen Divergenzen ruhen zu lassen und geschlossen unser verbrieftes Recht zu verteidigen, autonom darüber zu entscheiden, was das Beste für Südtirol ist: „Die Entscheidung, einen eigenständigen Weg einzuschlagen – auch entgegen staatlichen Plänen – ist auch eine Entscheidung, in der der Wert unseres Autonomiestatutes bemessen wird. Damit kann unsere Position gegenüber Rom nachhaltig gestärkt werden.“

hds: “Wir wollen am 4. Mai arbeiten”

Die Südtiroler Volkspartei hat gestern auf Vorschlag von Landeshauptmann Arno Kompatscher einen “sehr mutigen Schritt” gesetzt und ein eigenes Südtiroler Landesgesetz für die Phase zwei angekündigt. „Wir begrüßen diesen Schritt in die richtige Richtung. Nichtsdestotrotz müssen wir weiterhin auf die Öffnung aller Einzelhandelsgeschäfte am kommenden Montag, 4. Mai, pochen. Die technischen Fristen für ein Landesgesetz sind dafür aber nicht mehr gegeben. Wir brauchen dringend eine autonome Lösung für Südtirol, denn wir wollen am 4. Mai arbeiten! Von daher erwarten wir uns eine eigene Verordnung des Landeshauptmannes“, unterstreicht hds-Präsident Philipp Moser in einer Aussendung.

Autonomiegruppe im Senat: “Regierung soll zurückrudern”

„Die Autonomiegruppe im Senat hat sich getroffen, um die jüngsten Maßnahmen der italienischen Regierung zu bewerten: Dabei hat sie ihr großes Unbehagen über die fehlende Anerkennung der Rolle der Regionen ausgedrückt – vor allem aber der Sonderautonomien, die in den vergangenen Wochen loyal mit den Staatsorganen zusammengearbeitet haben, um die Maßnahmen gegen die Verbreitung von Covid-19 konsequent umzusetzen”, so SVP-Senatorin Julia Unterberger.

„Das Staatsgebiet weist große wirtschaftliche und soziale Unterschiede auf – ebenso gibt es kein einheitliches Bild, was die Verbreitung des Coronavirus betrifft. Deshalb muss die Politik den Mut haben, differenzierte Entscheidungen zu treffen – auch mit einer stärken Einbindung der Regionen und der Sonderautonomien.m Dadurch wird die staatliche Einheit nicht in Frage gestellt. Aber es ist ganz augenscheinlich, dass die Phase 2 der Lockerungen nicht mit den gleichen Entscheidungsmechanismen bewältigt werden kann, wie sie in der Phase 1 vorgesehen waren. Die Autonomiegruppe behält es sich daher vor, entsprechende parlamentarisch Schritte zu setzen  um aufzuzeigen, dass bei den derzeitigen Entscheidungsprozessen die autonomen Befugnisse eingeschränkt sind, was zwangsläufig zu einer Verstärkung der dramatischen wirtschaftlichen Auswirkungen infolge der Corona-Pandemie führen wird.“ Dies teilt die Vorsitzende der Autonomiegruppe, Senatorin Julia Unterberger, mit

Bezirk: Bozen