Von: mk
Moskau – Der plötzliche Zusammenbruch des syrischen Regimes hat selbst für Experten überrascht, die sich mit dem Thema befassen. Ebenso erstaunlich war, dass Russland – traditionell ein Verbündeter von Baschar Al-Assad – sich diesmal nicht dazu entschlossen hat, den syrischen Diktator zu unterstützen. Dies hat nicht nur außenpolitische Folgen für den Kreml, sondern auch innenpolitische.
24 Jahre lang regierte Assad in Syrien mit eiserner Hand. Dass der Diktator überhaupt so lange an der Macht bleiben konnte, war vor allem Russland zu verdanken. Seit Aufkeimen des arabischen Frühlings unterstützte Russland ab 2015 den syrischen Diktator sowohl militärisch mit Kampfjets und Wagner-Söldnern als auch politisch.
Der Luftstützpunkt Hmeimim in Latakia und der Seestützpunkt im Hafen von Tartus galten als Zugang Russlands zum Mittelmeer und waren deshalb wichtige Einflusspunkte im Nahen Osten. Mittlerweile legen Satellitenbilder und Aufnahmen in sozialen Medien nahe, dass der russische Traum, sich in der Region weiter auszubreiten, platzen könnte. Offenbar hat Russland damit begonnen, die Stützpunkte zu räumen.
Gleichzeitig wurde der Kreml mit der Unterstützung Assads zu einem Machtfaktor in Syrien. Ganz im Stile einer Großmacht, die die Welt in Einflusssphären teilt, Allianzen schmiedet und Abhängigkeiten schafft, verhandelte Russland mit der Türkei und dem Iran über Syriens Zukunft und pflegte auch Kontakte zu Kurden. Mit der Stabilisierung des Assad-Regimes zeigte Moskau, dass Russland überall auf der Welt entscheidend intervenieren konnte. Dieses Bild bröckelt nun.
Kreml-Despot Wladimir Putin hat allen gezeigt, dass er nicht mehr in der Lage ist, seine Verbündeten zu unterstützen und seine Hand schützend über andere Machthaber im Nahen Osten, Südamerika und in Afrika auszustrecken. Das russische Selbstbewusstsein hat einen deutlichen Kratzer erlitten.
Damit gewinnt der Fall des syrischen Regimes nicht nur eine außenpolitische, sondern auch eine innenpolitische Dimension. Noch versucht die Propaganda in Russland den Umsturz kleinzureden. Doch russische Exilmedien schreiben bereits von „Putins Afghanistan“. Auch für Kriegsblogger in Russland ist Syrien eine militärische Schmach vor den Augen der Weltöffentlichkeit.
Syrien habe dem Westen die Augen geöffnet und gezeigt, man könne die Russen verjagen, hieß es im ultrarechten Portal „Zargrad“. Dies lenkt auch in Russland selbst die Aufmerksamkeit wiederum auf die Ukraine. Syriens Zusammenbruch zerstrört das Narrativ vom Kreml über einen sicheren Sieg im Nachbarland, das man überfallen hat.
In rund 1.000 Tagen Krieg hat Russland gerade einmal elf Prozent des ukrainischen Gebiets besetzen können. Für die selbsterklärte Supermacht ein fatal mageres Ergebnis. Weil Russland seit 2022 jegliche Kritik am Ukraine-Krieg verbietet und eine „Diskreditierung der Streitkräfte“ mit Gefängnis bestraft, sagt das niemand offen. Vielmehr wird Syrien zum Codewort für die Ukraine.
So schreibt der Militärexperte Ruslan Puchow in der Zeitung „Kommersant“ etwa, Russland jetzt das Gleiche wie die Amerikaner vorher im Irak und in Afghanistan erlebe: „In der modernen Welt ist ein Sieg nur in einem schnellen und kurzen Krieg möglich.“ Insgeheim meine der Autor weniger Syrien als die Ukraine, sagt ein Moskauer Politologe laut einem Bericht der NZZ. Der Abnutzungskrieg zehrt auch in Moskau an den Nerven.
Gleichzeitig wachse in Russland die Überzeugung, dass die Ukraine Russlands Möglichkeiten in Nahost und im Kaukasus blockiere, während der türkische Einfluss wächst.
Obwohl Armenien Russlands Bündnispartner war, überließen Russlands Truppen 2023 das armenisch bevölkerte Karabach Aserbaidschan, das von der Türkei unterstützt wird. Nun lasse man sich Syrien von den Sunniten abnehmen, hinter denen wieder die Türkei stehe.
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