Von: mk
Bozen – Was vor 100 Jahren mit Leid und Unrecht begann, ist heute ein Beispiel des Zusammenlebens und ein Auftrag, Politik mit Verantwortung für die Zukunft zu machen. Dies war der Grundtenor in den Reden der Landeshauptleute aus Südtirol, Tirol und Trentino – Arno Kompatscher, Günther Platter und Maurizio Fugatti – im Rahmen der heutigen Gedenkveranstaltung „Zukunft-Erinnerung“ zum Tag der Autonomie.
“Viele Opfer, aber auch Täter”
Alle drei Landeshauptleute gingen auf das viele Leid ein, das die Teilung Tirols vor 100 Jahren in allen Landesteilen versursacht hatte. Kompatscher erinnerte: „Es gab viele Opfer, aber auch Täter. Daran müssen wir uns heute erinnern. Er und Platter sprachen auch wörtlich von einer Unrechtsgrenze, die laut Platter „nicht allein deshalb nicht mehr Unrecht ist, weil inzwischen 100 Jahre vergangen sind.“
Mit dem Vertrag von Saint-Germain habe sich die Hoffnung auf Selbstbestimmung der Völker – das Versprechen von US-Präsident Thomas Woodrow – zerschlagen. „Und es folgten ganz ganz schwierige Jahrzehnte“, sagte Platter. Vor 80 Jahren setzte die Option für die Südtiroler Bevölkerung die Zerrissenheit fort.
“Unser Land hatte auch viel Glück”
Doch dann sprachen die Landeshauptleute auch von guten Stunden: „Unser Land erlebte nicht nur Leid, es hatte auch Glück. Das Glück mutiger und fähiger politischer Vertreter – allen voran Silvius Magnago – und glückliche Fügungen der Geschichte. Das Gruber-Degasperi Abkommen habe am 5. September 1946 im Pariser Vertrag den Grundstein gelegt, sagte Südtirols Landeshauptmann Komptascher, „und vor 50 Jahren wurde mit der legendären, knappen Zustimmung zum Südtirol-Paket in der SVP endgültig die Wende zum Positiven eingeleitet.“
Kein Platz für “America first”, “prima gli italiani” oder “Österreich zuerst”
Gelungen sei der Weg zur heutigen Autonomie vor allem dank des Mutes zum Kompromiss: „Viele Politiker auf allen Seiten haben ihn an den Tag gelegt“, betonte Kompatscher: „Nicht bis zum bitteren Ende auf dem Recht bestehen, aber das Ziel und die Werte nicht aus den Augen verlieren: Das war die Grundlage ihrer Politik.“ Genau das müsse die Politik von heute als Erbe ansehen: „Autonomie bedeutet Verantwortung, denn wir dürfen und können gestalten!“ Deshalb wünscht sich Kompatscher für die Zukunft: „Wir müssen uns rückbesinnen auf die unantastbaren Werte unserer Vorgänger: Friede, Gleichheit, Gerechtigkeit verbunden mit Solidarität müssen Maßstab unseres politischen Handelns sein.“ Südtirol habe nicht nur das Zusammenleben dreier Sprachgruppen gelernt, sondern sogar, dass das auch ein Mehrwert ist. Gerade deshalb sprach sich Kompatscher für Zusammenhalt und gegen Abschottung aus: “Die Mottos ‘America first’, ‘prima gli italiani’, ‘Österreich zuerst’ oder wie sonst auch immer haben keinen Platz bei uns! Im Jahr 2019 stehen vor viel größeren Herausforderungen: Es gibt Menschen vieler Sprachen, die hier eine vorübergehende oder dauerhafte Heimat gefunden haben. Wir müssen den sozialen Zusammenhalt stärken und eine ökonomische Entwicklung auch vor dem Hintergrund der Ökologie meistern.“
Oft mehr in Euregio gemeinsam als mit Rom oder Wien
Auch Tirols Landeshauptmann Günther Platter kam zum Schluss: „Vor 100 Jahren konnte sich niemand auch nur annähernd vorstellen, dass wir heute da stehen, wo wir sind. Das grenzt an ein Wunder!“ Die drei Länder hätten 100 Jahre Grenze überstanden. „Und wir stellen fest, dass wir in Tirol, Südtirol und Trentino oft viel gemeinsamere Interessen haben als mit Wien und Rom“, sagte Platter, der sich daher wünscht, „dass unsere Ländern weiter zusammenarbeiten, vor allem im Rahmen der Euregio: Wir haben schon viel erreicht und können noch mehr erreichen.“
Laut dem Trentiner Landeshauptmann Maurizio Fugatti sind Gedenkfeiern wie diese hilfreich, um zu verstehen, dass 100 Jahre viele sind und vieles überwunden haben. Sie sind aber wenig für jene, bei denen die Geschichte Wunden und Leid hinterlassen hat. Für sie ist heute ein wichtiger Tag der Erinnerung.“
Gemeinsam hätten die Länder mit großem Einsatz und Willen die Autonomie und Selbstverwaltung aufgebaut. Diese Erfahrungen der Geschichte helfen laut dem Trentiner Landeshauptmann auch für die Zukunft, die Autonomie weiter zu entwickeln. „Dabei wird die Provinz Trient ihren Beitrag leisten“, sagte Fugatti.