Festnahme führt zu Unruhen

Tausende protestieren in Russland

Freitag, 19. Januar 2024 | 09:57 Uhr

Von: mk

Baymak – In Zentralrussland sind Dutzende von Demonstranten nach Zusammenstößen mit der Polizei in der Republik Baschkortostan verhaftet worden. Tausende von Menschen protestierten in der Stadt Baymak, nachdem der Ökoaktivist Fail Alsynow wegen angeblich rassistischer Äußerungen zu vier Jahren Haft verurteilt. Vermutet wird, dass die Behörden in Wahrheit gegen ihn vorgingen, weil er den Angriff Russlands auf die Ukraine verurteilt hat.

Laut Schätzungen des unabhängigen Internetportals „Wjorstka“ versammelten sich in der Kleinstadt Baimak vor dem Gerichtsgebäude mehr als 3000 Menschen, um Alsynow zu unterstützen, als das Urteil verkündet wurde. Beobachtern zufolge handelte es sich um eine der größten Protestaktionen in Russland seit Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine.

Die Demonstranten bewarfen die Polizei mit Schneebällen und Eisbrocken. Die Sicherheitskräfte setzten ihrerseits Schlagstöcke, Blendgranaten und Tränengas ein, um die Teilnehmer der Kundgebung auseinander zu treiben. Mindestens 15 Menschen wurden verletzt. Die Unruhen dauerten mehrere Stunden.

Gegen die Personen, die verhaftet wurden, werde wegen der Organisation von Massenunruhen und wegen der Teilnahme daran ermittelt, erklärte die regionale Justiz laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Tass. Werden die Betroffenen aufgrund der strengen russischen Anti-Demonstrationsgesetze für schuldig befunden, drohen ihnen bis zu 15 Jahre Haft.

Baschkortostan ist eine Republik mit Hoheitsrechten im östlichen Teil des europäischen Russlands. Sie wurde 1992 nach Auflösung der Sowjetunion gegründet. In der Bevölkerung herrscht ein breites Verlangen nach mehr Unabhängigkeit und Freiheit.

Alsynow gilt als sehr populär. Er war einer der Anführer der Proteste gegen den Abbau des Kalksteinbergs Kuschtau für die dort ansässige Sodafabrik, die zum Teil mit Erfolg gekrönt waren: Kuschtau wurde 2020 als Naturdenkmal unter Schutz gestellt. Zugleich setzte sich der 37-Jährige für eine stärkere Autonomie der Teilrepublik und den Schutz der baschkirischen Sprache ein. Die von ihm mitgeführte Organisation Baschkort wurde 2020 verboten, nachdem sie als extremistisch eingestuft worden war. Alsynow gilt auch Figur des Widerstands gegen die willkürliche Vorgangsweise der Behörden in Russland.

Weil er Ende 2022 im russischen sozialen Netzwerk VKontakte den Angriffskrieg auf die Ukraine als „Genozid am baschkirischen Volk“ bezeichnet hatte, wurde Alsynow zu einer Geldstrafe verurteilt. „Das ist nicht unser Krieg“, erklärte der 37-Jährige. Die Region gehört Berichten zufolge zu einem der russischen Gebiete mit überdurchschnittlich hohen Verlusten im Ukrainekrieg.

Nach den Festnahmen in der Region ist immer noch nicht Ruhe eingekehrt. In sozialen Netzwerken forderten Einwohner Soldaten aus Baschkortostan auf, von der Front in der Ukraine nach Hause zurückzukehren, um sich für ihre Heimat und die Bevölkerung dort einzusetzen. „Während ihr für die Ambitionen einer einzigen Person kämpft, werden eure eigenen Leute von Sicherheitskräften verprügelt“, erklärte eine Frau in einer Videobotschaft.

Für Kreml-Chef Wladimir Putin kommen die Proteste vor seiner Wiederwahl zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Analysten zufolge hat Putin weniger Probleme damit, einzelne Gegner kaltzustellen, wie etwa der Giftanschlag und die darauffolgende Festnahme von Oppositionsführer Alexei Nawalny beweisen. Schwieriger wird es bei Tumulten einer größeren Anzahl von Menschen: So reagierte Moskau im ersten Moment relativ unbeholfen auf den Aufstand der Wagner-Söldner im Juni 2023.