Von: apa
Jener 17-Jährige, der am 11. September 2023 im Namen des “Islamischen Staat” (IS) mit einem Kampfmesser am Hauptbahnhof einen Terror-Anschlag verüben wollte, dann aber davon Abstand nahm, ist am Donnerstag am Wiener Landesgericht zu zwei Jahren Haft, davon acht Monate unbedingt verurteilt worden. Zusätzlich wurden dem Burschen die Weisungen erteilt, sich einem Deradikalisierungsprogramm zu unterziehen und seine Psychotherapie fortzusetzen.
Außerdem wurde Bewährungshilfe angeordnet. Das Gericht legte zudem fest, dass der 17-Jährige nach Verbüßung des unbedingt ausgesprochenen Strafteils – die Reststrafe macht einen Monat und einen Tag aus – in eine WG einer sozialpädagogischen Einrichtung ziehen muss. Eine schriftliche Wohnplatzzusage wurde von den Verteidigern Rudolf Mayer und David Jodlbauer dem Gericht bereits vorgelegt. Das Urteil wegen terroristischer Vereinigung und krimineller Organisation ist rechtskräftig. Sowohl die Verteidigung als auch die Staatsanwältin waren mit der Entscheidung einverstanden.
Auf den 17-Jährigen war die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) am 10. September – einen Tag vor dem geplanten Anschlag – aufmerksam geworden. Der jugendliche IS-Anhänger, der sich innerhalb weniger Monate übers Internet radikalisiert hatte, kündigte in einem Telegram-Kanal mit expliziten Verfechtern der radikalislamistischen Terrormiliz in holprigem Englisch an: “I make inshallah attacke in vienna”. Auf die Nachfrage, wann er “es” machen werde, antwortete er später: “Im make today”, wobei er ein Foto von sich in den Chat stellte, das ihn mit einem Kampfmesser, Handschuhen und in Tarnkleidung vor einem auf die Wand gesprühten IS-Logo zeigte. Das teilte ein ausländischer Partnerdienst der DSN mit – da in Österreich die aktuelle Rechtslage die Überwachung von Messengerdiensten nicht erlaubt, hätten die heimischen Verfassungsschützer von den Absichten des 17-Jährigen wohl kaum aus Eigenem erfahren. Nach einer fieberhaften Suche nach dem Burschen konnte dieser am 12. September vor einer Moschee im zweiten Wiener Gemeindebezirk festgenommen werden.
Bei seinen folgenden Einvernahmen als Beschuldiger berichtete der 17-Jährige dem Wiener Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) freimütig von seinen terroristischen Absichten. Er bezeichnete den IS als “die religiöseste Gruppe der Welt”, die “alles richtig” mache. Deren Mitglieder würden “für die Wahrheit kämpfen”. Er gab zu, er habe einen Anschlag “genauso” wie der Attentäter vom 2. November 2020 machen wollen, “wenn ich die Möglichkeiten, also die Waffen gehabt hätte”. Aufgrund seines jungen Alters habe er aber keine Schusswaffe bekommen und sich daher um 20 Euro ein Messer mit einer Klingenlänge von 16,5 Zentimeter besorgt. Damit wollte der IS-Teenie gemäß seiner Verantwortung am Hauptbahnhof mehreren Menschen in den Hals stechen, wie das LVT in einem Anlassbericht festhielt. “Es hätten für mich mehr als drei oder vier Opfer sein sollen. Diese sollten nicht nur verletzt sein, sondern getötet werden. Ich wollte dadurch zeigen, dass Menschen Allah fürchten sollen. Ich hätte, während ich die Personen erstochen hätte, auch Allahu Akbar (Gott ist groß, Anm.) gerufen, damit alle wissen, warum sie sterben. Durch dieses Töten komme ich ins Paradies, dort ist es sehr schön und ich entgehe der Streiterei mit meinem Vater”, gab der Bursch zu Protokoll. Er habe “keinen Zorn auf die Menschen allgemein, aber Polizisten, Soldaten und Homosexuelle sollten sterben”, merkte der IS-Anhänger noch an.
“Er war nach seiner Festnahme geständig, einen Anschlag geplant zu haben. Es hat ihn der Mut verlassen. Er hat sich nicht getraut, es umzusetzen”, sagte die Staatsanwältin nun zu Beginn der Verhandlung. 45 Minuten hätte sich der Angeklagte am Hauptbahnhof aufgehalten, dann sei er unverrichteter Dinge abgezogen: “Ein Riesenglück, sonst säßen wir wegen ganz etwas anderem hier.” Die terroristische Straftat, die der Bursch avisiert hatte, sei nicht von der Anklage umfasst, diesbezüglich liege ein Rücktritt vom Versuch vor, erläuterte die Staatsanwältin: “Er hat freiwillig die Tatausführung unterlassen.” Also könne man ihm das ursprüngliche Vorhaben in strafrechtlicher Hinsicht nicht zum Vorwurf machen.
Dem Angeklagten lag daher lediglich zur Last, IS-Propagandamaterial gesammelt und geteilt zu haben. Er verherrlichte ab Ende Jänner 2023 bis zum Zeitpunkt seiner Festnahme in diversen sozialen Medien bzw. in privaten Chats die terroristische Vereinigung bzw. deren Ziele, darunter insbesondere den bewaffneten Jihad. 15 Chats bzw. einschlägige Nachrichten fanden Aufnahme in die Anklage, darunter Ausführungen des Burschen, die er unmittelbar vor der Fahrt zum Hauptbahnhof in seine einschlägige Telegram-Gruppe mit 28 IS-Anhängern gepostet hatte.
Der 17-Jährige bekannte sich vor einem Schöffensenat zu den wider ihn erhobenen Vorwürfen schuldig. “Es stimmt”, sagte der Angeklagte. Inzwischen habe er seine radikale Gesinnung abgelegt: “Der IS ist vollkommen falsch.” Auf die Frage, was ihn zum Umdenken bewogen habe, erwiderte der äußerst einsilbig auftretende Bursch: “Derad.” Ein Vertreter der Deradikalisierungsstelle hätte gern an der Verhandlung teilgenommen, da er zu spät erschien, fand er in dem bis auf den letzten Platz gefüllten Gerichtssaal aber keinen Platz.
Dass der Deradikalisierungsprozess weit fortgeschritten ist, darf bezweifelt werden. In der Zelle des 17-Jährigen in der Justizanstalt Josefstadt wurden nämlich IS-Schriftzeichen und -Symbole gefunden. Im März, also unmittelbar vor dem Prozess, beschmierte er seine Matratze und kritzelte auf den Lattenrost das Glaubensbekenntnis des IS, wie aus einem Bericht der Justizanstalt hervorgeht, der in der Verhandlung verlesen wurde.
Diese dauerte insgesamt keine zwei Stunden. Der 17-Jährige wollte nicht näher darauf eingehen, was in ihm vor seiner Festnahme vorgegangen war. Zeugen waren keine geladen. Verteidiger Mayer erklärte sich die Hinwendung seines Mandanten zu einer radikalen Auslegung des Islam mit “Einsamkeit, fehlendem Selbstbewusstsein, demütigenden Mobbingerfahrungen, schulischem Misserfolg”. Der Bursch habe auch ein schlechtes Verhältnis zum Vater gehabt und sei “eine ich-schwache, für negative Einflüsse offene Person mit geringem Selbstwertgefühl”, zitierte Mayer aus einem Gutachten einer Kinder- und Jugendpsychiaterin, das die Staatsanwaltschaft einholen hatte lassen. Dieses “Konglomerat” habe dazu geführt, dass der Bursch sich mit dem Gedankengut des IS “infiziert” habe, meinte Mayer.
Dem psychiatrischen Gutachten zufolge war der 17-Jährige im Tatzeitraum voll zurechnungsfähig. Er weist einen IQ von 94, aber eine sprachliche Minderbegabung auf. Bei der Strafbemessung rechnete ihm der Schöffensenat eine herabgesetzte Dispositionsfähigkeit neben der bisherigen Unbescholtenheit als mildernd an. Erschwerend war demgegenüber der lange Tatzeitraum.