Wadim Krassikow war 2021 in Berlin verurteilt worden

Gefangenenaustausch: Angst vor weiteren Freipressungen

Freitag, 02. August 2024 | 16:12 Uhr

Von: APA/dpa/Reuters

Der größte Gefangenenaustausch seit Ende des Kalten Krieges fand am Donnerstag in der türkischen Hauptstadt Ankara statt. Dabei wurden 26 Häftlinge zwischen Russland, Belarus und westlichen Ländern, darunter auch den USA und Deutschland ausgetauscht. Der erfolgreiche Austausch weckt internationale Bedenken über das Erpressungspotenzial, das Russland durch Freipressungen dieser Art zukommt.

Abgewickelt wurde der Gefangenenaustausch mit Unterstützung des türkischen Geheimdienstes MIT am Flughafen in Ankara. Dort wurde, bevor die Freigelassenen in das jeweils auf sie wartende Flugzeug steigen durften, zunächst ihre Identität überprüft. Bei den involvierten westlichen Gefangenen drehte es sich um in Russland inhaftierte Ausländer und Journalisten sowie um Mitglieder der russischen Oppositionsbewegung. 13 Freigelassene kamen in Köln an, drei in der Nähe der US-Hauptstadt Washington.

US-Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris umarmten den wegen Spionage verurteilten “Wall Street Journal”-Korrespondenten Evan Gershkovich und den ehemaligen US-Soldaten Paul Whelan nach dem Verlassen der Maschine. Harris meinte, der Gefangenenaustausch sei ein “außerordentlicher Beweis dafür, wie wichtig es ist, einen Präsidenten zu haben, der die Macht der Diplomatie versteht”.

“Es ist ein wunderbares Gefühl”, sagte Biden. “Ich war absolut überzeugt, dass wir das schaffen können.” Der Gefangenenaustausch sei aber ein “harter Brocken” für die Verbündeten der USA gewesen, sagte er. Besonders Deutschland und Slowenien hätten Entscheidungen treffen müssen, die “gegen ihre unmittelbaren Interessen waren”. Ein besonderer Diskussionspunkt während der Verhandlungen war nämlich die Freilassung des russischen “Tiergartenmörders” Wadim Krassikow gewesen, der 2021 zu einer lebenslangen Haftstrafe in Deutschland verurteilt worden war. Er hatte 2019 in einer Parkanlage in Berlin einen Georgier getötet, der in Deutschland Schutz gesucht hatte.

Nach dem Austausch bestätigte der Kreml die westlichen Vermutungen, dass Krassikow ein Agent des russischen Geheimdienstes FSB gewesen sei. Er sei ein Mitglied der “Alpha-Gruppe”, einer auf Anti-Terror-Spezialeinheit des FSB. Der deutsche Generalstaatsanwalt Jens Rommel drängte auf eine vollständige Vollstreckung des Urteils – das Justizministerium musste sich einschalten und die Abschiebung veranlassen. Denn ohne die Freilassung des “Tiergartenmörders” wäre der Gefangenenaustausch insgesamt nicht zustande gekommen, wie die US-Regierung deutlich machte. “Im Verlauf der Verhandlung sind wir zu dem Schluss gelangt, dass Krassikow ein Schlüssel war”, sagte Bidens Nationaler Sicherheitsberater, Jake Sullivan.

Die Verhandlungen fanden seit Monaten im Geheimen statt. Ursprünglich sollte nach den US-Plänen Alexej Nawalny, der prominenteste russische Oppositionelle in den Häftlingsaustausch einbezogen werden. Nach seinem Tod heuer im Februar gingen die Verhandlungen mit anderen Gefangenen weiter.

Deutsche Innenministerin Nancy Faeser sagte am Freitag in Paris, die Entscheidung sei “sehr, sehr schwer” gefallen. Im Endeffekt habe aber die Freilassung der westlichen Gefangenen schwerer gewogen als die Vollendung der Gefängnisstrafe des Mörders Krassikow. Ähnlich äußerten sich unter anderem Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck. Angehörige von Krassakows Opfer zeigten sich enttäuscht über die Freilassung des Mörders.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des US-Repräsentantenhauses, Michael McCaul, äußerte Sorgen darüber, dass sich die USA erpressbar machten. Auch der CDU-Außenpolitiker Jürgen Röttgen meinte, er fürchte den Propagandaeffekt, den Putin durch den Gefangenenaustausch erziele. “Das Schlimmste wäre, wenn es jetzt zur Nachahmung kommt. Also wenn jetzt quasi Putin jedem gedungenen Mörder, den er in den Westen schickt, um irgendwelche Menschen auszuschalten (…), wenn er denen sagen kann: Ihr seht ja am Fall des ‘Tiergartenmörders’: Ich hole Euch raus.”

Emil Brix, der Direktor der Diplomatischen Akademie in Wien, findet ebenso, dass der Westen sich durch den Austausch erpressbar macht. “Aus diplomatischer Sicht war das eine Meisterleistung, aus Sicht der Internationalen Beziehungen war es keine Sternstunde, sondern ein Präzedenzfall”, so Brix im “Mittagsjournal” des ORF-Radios Ö1. Russland werde Freipressung dieser Art in Zukunft wieder nutzen, zeigte er sich überzeugt.

Russland hat bald nach dem Austausch die Freilassung weiterer Gefangener gefordert. “Es gibt immer noch Dutzende von Russen in amerikanischen Gefängnissen, die hoffnungsvoll auf das Vaterland blicken und auf ihre Stunde der Freilassung warten”, teilte der russische Botschafter in den USA, Anatoli Antonow auf Telegram mit. Dass der Gefangenenaustausch einen direkten Einfluss auf die Situation in der von Russland überfallenen Ukraine hat ist aus Regierungskreisen in Berlin und Washington unwahrscheinlich. Die beiden Situationen liefen “in getrennten Bahnen”, so Sullivan in Washington.

Kommentare

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2 Kommentare auf "Gefangenenaustausch: Angst vor weiteren Freipressungen"


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Doolin
Doolin
Kinig
3 h 59 Min

…die Russen werden halt wieder irgendjemand unter irgendeinem Vorwand einlochen, damit sie ihre Spione und Mörder frei pressen können…

Hustinettenbaer
2 h 23 Min

Was für eine seltsame Veranstaltung.
Der “ehemalige US-Soldat Paul Whelan” flog aus der Army. Wegen “versuchten Diebstahl(s), drei Spezifikationen wegen Pflichtverletzung, Abgabe einer falschen amtlichen Erklärung, unrechtmäßige Verwendung der Sozialversicherungsnummer eines anderen und zehn Spezifikationen für die Ausstellung und Ausstellung (von Schecks), ohne ausreichende Deckung auf seinem Konto zu haben, um bezahlt zu werden”…”Whelan unterstützte Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen 2016; Nach Trumps Sieg postete er auf Russisch Президент Трyмп Вперед!! (“Präsident Trump weiter!!”).”

Paul Whelan (Sicherheitsdirektor) – Wikipedia

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