Von: mk
Bozen – Am Ende der Saison 2016 steht Südtirols Tourismus ein Rekordjahr ins Haus: Dank des Rekordsommer wird erstmals auch die Marke von 30 Mio. Nächtigungen locker übertroffen. Damit liegt Südtirol zwar weit hinter Tirol und dessen 45 Mio. Nächtigungen, aber es ist ein Höhepunkt erreicht. „Der Trend ist erfreulich für die Beschäftigungslage und die Tourismusbetriebe, für Handwerk, Lieferanten und Bauwirtschaft. Der Rekordsommer mit einem Plus von 7,9 Prozent der knapp 20 Mio. Nächtigungen wirft trotz aller Genugtuung aber einige Fragen auf“, erklären die grünen Landtagsabgeordneten Hans Heiss, Riccardo Dello Sbarba und Brigitte Foppa.
Das Topjahr 2016 dementiere laut den Grünen Klagen über die schlechte Erreichbarkeit Südtirols. „Noch nie kamen trotz fehlenden Airports so viele Gäste, die gerade wegen der Gefährdung des Luftverkehrs und internationaler Reiseziele den Landweg wählten. Leider zu 85 Prozent im eigenen Auto, statt zumindest teilweise im logistisch dürftigen Bahnverkehr. Die Verkehrsflut im Tourismus ist eine Kernfrage der Zukunft, die bisher unzureichend beantwortet wird. Anwohner der Dolomitenpässe und ladinischen Täler leiden unter überbordenden Autokolonnen, Autobahn und Pustertaler Straße unter steten Staus. Ruhegebiete an den Grenzen der Naturparks mutieren zu Brunftplätzen von Blechlawinen“, so die Grünen.
Wenn die Zahl der Gäste steigt, während ihre Nächtigungsdauer auf bald unter vier Tage fällt, bedürfe es nicht nur neuer Verkehrskonzepte, sondern einer echten Verkehrsrevolution. Andernfalls sei zu Saisonspitzen nicht nur Lebensqualität massiv gefährdet, sondern auch Südtirols Ruf als ruhige Tourismusregion, warnen die Grünen.
„Mehr Qualität statt weiteren Wachstums“
Südtirol sei mit Tirol alpenweit das Land mit der höchsten Tourismusintensität. „Nirgendwo sonst kommen so viele Gäste auf einen Einwohner wie südlich der Alpen. Weiteres Wachstum ist nicht mehr verträglich, auch nicht bei den Bettenzahlen. Offiziell hat das Land 220.000 Gästebetten, inoffiziell sind es wohl weit mehr. Zudem bringt 2016/17 einen Wachstumsschub mit neuen und vergrößerten Hotels, denn Gästezuwachs, erhöhte Renditen und niedrige Zinsen sind Adrenalin für Investitionswillige“, erklären die Grünen.
„Droht ein Verdrängungswettbewerb?“
Damit aber würden Überkapazitäten und ein Verdrängungswettbewerb drohen, behaupten die Grünen. „Drei-, Vier- und Fünfsterne-Hotels verdrängen längst Ein- und Zweisternebetriebe. Umsteuern ist notwendig, durch Regeln der Raumordnung, durch Bremsen der Gemeinden, vorab aber durch Selbstkontrolle der Branche. Ohne Wachstumsstopp explodieren Bodenpreise und Lebenshaltungskosten auch außerhalb der Tourismusbastionen, zum Nachteil der Einheimischen“, erklären die Grünen.
„Angriff auf Natur und Landschaft eindämmen!“
„Die Seilbahnbranche wittert Morgenluft für neue Zusammenschlüsse und Skikarusselle: Sexten-Sillian, Langtaufers, Klausberg-Speikboden sind nur eine Auswahl geplanter Erweiterungen. Der Erfolg scheint ihnen recht zu geben, der sanfte Tourismus gilt als Auslaufmodell. Das aber ist eine Fehleinschätzung: bereits jetzt wächst die Zahl der Gäste, denen ein klimaverträglicher, Landschaft und Kulturen schonender Tourismus am Herzen liegt. Auf sie muss die Branche künftig bauen, weniger auf Ex-und Hopp-Touristen, sondern auf Gäste, denen Nachhaltigkeit, Gesundheit und Regionalität am Herzen liegen“, fügen die Grünen hinzu.
Grenzen des Wachstums und neue Verantwortung für die „Kehrseite des Tourismus“
Tourismus in Südtirol müsse laut den Grünen ein potenter, aber begrenzter Player bleiben; die Frage nach einer Obergrenze und der Verträglichkeit für Menschen und Umwelt müsse mit Nachdruck gestellt werden: Bei 30 Millionen Nächtigungen und wachsenden Ankünften sei die Obergrenze in Sicht.
„Südtirols Zukunft liegt auch in anderen Wirtschaftsbranchen wie der Industrie, die mit geringem Ressourcenverbrauch und qualifizierten Arbeitsplätzen hohe Wertschöpfung generieren. Tourismus hingegen ist trotz aller Erfolge ein reifes Produkt, ein Sektor, der durch Selbstbeschränkung nur gewinnt. Und schließlich: Das Tourismusland Südtirol, das von den Folgen von Krieg, Terror und Unsicherheit so sehr profitiert, muss sich auch bei der Aufnahme und Betreuung von Flüchtlingen stärker bewähren als bisher der Fall“, erklären die Grünen abschließend.
„Südtirol braucht keinen Flugplatz!“
Auch der Dachverband für Natur- und Umweltschutz gratuliert der Südtiroler Tourismuswirtschaft zu dieser glänzenden Sommersaison. „Damit hat sie selbst die beste Antwort auf die klare Absage der Südtiroler Bevölkerung an den Flugplatz gegeben: Nämlich dass der Tourismus einen solchen gar nicht braucht, um kräftig zu wachsen. Wir hoffen, dass die angekündigten Weichenstellungen von mehr Quantität hin zu mehr Qualität auch einen sehr viel schonenderen Einsatz von Raum und Ressourcen beinhalten“, erklärt der Dahverband.
Der Südtiroler Tourismus blicke auf einen Rekordsommer zurück. Dabei handle es sich nicht um ein erneutes Wachstum nach einer längeren Durststrecke. „Im Gegenteil, bereits in den letzten Jahren zeigten die Zahlen im Tourismus grundsätzlich nur in eine Richtung, nämlich nach oben. Daher ist dieser erneute Sprung umso bemerkenswerter. Viel besser hätte das Timing für diesen neuen Rekord auch nicht kommen können, hat sich die Südtiroler Bevölkerung doch im Juni diesen Jahres mit einem satten Nein gegen den Bozner Flugplatz gestellt. Von Befürworter-Seite wurde natürlich auch der Tourismus als gewichtiger Wirtschaftsfaktor ins Feld geführt, der von einem Ausbau des Flugplatzes profitieren würde und bei einem Nein Schaden nehmen könnte. Nun zeigt sich, dass der Flugplatz und seine Wirkung völlig überbewertet wurde. Die heurigen Rekord-Zuwachszahlen liegen weit über dem, was der Effekt des ausgebauten Flugplatzes auf den Tourismus bewirkt hätte – in einigen Jahren. So zumindest die Prognosen der Befürworter“, so der Dachverband.
Es zeige sich, der Südtiroler Tourismus sei sicherlich nicht auf den Bozner Flugplatz angewiesen. Marke und Destination seien stark genug, dass die Leute auch so ins Land finden finden. Mit einem Flugplatz bestünde höchstens die Möglichkeit, dass die durchschnittliche Aufenthaltsdauer noch weiter und schneller sinkt. Dies könne nicht im Interesse der Touristiker sein, so der Dachverband.
Die Umweltschützer begrüßen auch die ersten Kommentare zu den Zahlen von IDM-Präsident Thomas Aichner, der die Qualität nun stärker forcieren möchte, als die Quantität. Der Dachverband für Natur- und Umweltschutz hofft, dass diese Strategie auch einen effizienteren und schonenderen Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen bedeutet. „Denn Tourismus ist ein unverzichtbarer Wirtschaftsmotor für Südtirol, gleichzeitig aber auch energie-, natur-, landschaftsintensiv. In einigen Bereichen liegen wir bereits über der Schmerzgrenze, wie wir jedes Jahr im Sommer rund um die Dolomitenpässe und auch jährlich um den 8. Dezember auf den vielen Weihnachtsmärkten sehen. Änderungen und Richtungskorrekturen tun hier dringend Not. Am einfachsten geht das aus einer Position der Stärke heraus, wie eben nach einer derart erfolgreichen Sommersaison“, so der Dachverband.