Von: apa
Die Klage Italiens vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen die Tiroler Anti-Transitmaßnahmen hat am Mittwoch im Landtag zu einem Schulterschluss sämtlicher Parteien geführt. Alle bekundeten, hinter den “Notmaßnahmen” zu stehen. LH Anton Mattle (ÖVP) brachte indes die mögliche Prüfung des Lkw-“Slot-Systems” nur auf Tiroler Gebiet ins Spiel, und nicht wie ursprünglich geplant regionsübergreifend auch in Bayern und Südtirol.
Der Landeschef betonte in einem relativ seltenen “Mündlichen Bericht” nach der Fragestunde, dass Tirol “auf diese Klage vorbereitet gewesen” sei und die Tiroler Maßnahmen “sachlich gerechtfertigt und EU-rechtskonform” sind. Diese sah Mattle in den Belastungen von “Gesundheit, Natur und Infrastruktur” begründet, es gehe um “Verkehrs- und Versorgungssicherheit”.
Er pflege auch einen “regen Austausch” mit den Botschaftern Deutschlands und der Niederlande, damit diese sich nicht dem Vorhaben Italiens anschließen würden. Doch an anderer internationaler Front hatte der Landeshauptmann offenbar weniger Hoffnung auf länderübergreifende Zusammenarbeit: Es sollte angedacht werden, das vor gut einem Jahr gemeinsam mit Südtirol und Bayern paktierte “Slot-System” – eine Autobahn mit buchbaren Lkw-Fahrten – auf eigene Faust umzusetzen. “Es wird uns vielleicht nichts anderes übrig bleiben um zu prüfen, ob so ein System nur in Österreich und Tirol eingeführt werden kann”, erklärte Mattle. Das würde den “Frächtern helfen, das würde Stau verhindern, das würde Arbeitszeiten reduzieren und die Bevölkerung entlasten.” Ein alleiniges Vorgehen sei auch ohne ausländische Zustimmung möglich, betonte der Landeschef. Derzeit beiße man sich einfach an den Nachbarn in Berlin und Rom die Zähne aus. Es gebe noch keine Unterschrift für ein solches “Slot-System” oder intelligentes Verkehrsmanagementsystem, spielte Mattle auf die Notwendigkeit eines Staatsvertrages an.
Der Landeshauptmann bedankte sich bei den Landtagsparteien für deren Unterstützung und hob hervor, die Bundesregierung an Tirols Seite zu wissen. Wie Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) gegenüber der APA bestätigte, wurde am Dienstag die Stellungnahme der Republik zum “Klagsversuch” Italiens an die Europäische Kommission übermittelt. “Glasklar ist: Die Tiroler Notmaßnahmen sind legitim und wichtig”, hielt sie fest. “Wir haben das Recht und auch die Verpflichtung die Bevölkerung zu schützen. Und das tun wir auch”, meinte die Ministerin.
“Der Brenner ist das Alpenschnäppchen Europas”, fasste Verkehrslandesrat René Zumtobel (SPÖ) das aus seiner Sicht größte Problem zusammen. “Eine günstige Straße bedeutet viel Verkehr”, doch der Handlungsspielraum Tirols sei hier “begrenzt”. Dafür müsse man Partner suchen. Der Landesrat begrüßte indes die im EU-Trilog behandelte Senkung der Luftschadstoff-Werte. “Unsere Maßnahmen hängen letzten Endes an der Luftgüte”. Parteikollege LAbg. Philip Wohlgemuth betonte ebenfalls, daran festhalten zu wollen. Immerhin “zahlen die Menschen den Preis” für die “zerstörerische Blechlawine” und bezeichnete den Brenner als “Symbol für den Transitwahnsinn”.
Für FPÖ-Landesparteiobmann Markus Abwerzger habe die Europäische Union in der Transitfrage versagt – und zwar in der Ausgestaltung des Prinzips des Freien Warenverkehrs. Es müsse hinterfragt werden, “welcher Verkehr” auf die Straße gelassen werden soll: “Müll oder Schrott? Oder nicht verderbliche Güter?”, spielte er auf das in Tirol geltende Sektorale Lkw-Fahrverbot an. Der FPÖ-Chef sah die Situation aber als “Chance”, denn nun könne der EuGH “Farbe bekennen”, was ihnen wichtiger sei: “Der freie Warenverkehr oder die Gesundheit der Tiroler?”.
Grünen-Klubobmann Gebi Mair zeigte sich von Mattle “enttäuscht”, dass dieser nicht darüber gesprochen habe, warum die Tiroler Maßnahmen “nicht diskriminierend und unverhältnismäßig” seien. Mit seiner Ankündigung, das “Slot-System” nur in Tirol prüfen zu wollen, versuche er nur, “die Bürgerinnen und Bürger zu verwirren” – nachdem ja die Zustimmung Italiens oder Deutschlands für ein “Slot-System” notwendig sei.
Daran schloss sich auch NEOS-Landtagsabgeordnete Birgit Obermüller an, die darin einen “PR-Gag” der Landesregierung aus ÖVP und SPÖ vermutete. Das überregional paktierte “Slot-System” sei eben nur “Absichtserklärung” und “Lippenbekenntnis” gewesen, monierte die Pink-Mandatarin schließlich.
“So alleine in der Transitfrage wie jetzt, Herr Landeshauptmann, waren wir noch nie”, stellte Liste Fritz-Parteiobfrau Andrea Haselwanter-Schneider fest und führte die Wurzeln der Transit-Problematik auf die Zeit des EU-Beitritts zurück. Doch auch jetzt ortete die Politikerin Versäumnisse, nachdem es für den sich in Bau befindlichen Brennerbasistunnel (BBT) keine “Verlagerungsgarantie” gebe.
ÖVP-Klubobmann Jakob Wolf empfand es indes als “Frechheit” Italiens, zu klagen. Dies in Zeiten, in denen der “Transit zugenommen hat wie noch nie” und etliche Baustellen auf der Brennerautobahn – wie etwa der Luegbrücke – anstehen würden. Aber auch Wolf sah wie Abwerzger die Situation als “Prüfstein für die Werte Europas”.
Italien hatte die bereits beschlossene Klage vor dem EuGH Mitte Februar an die EU-Kommission übermittelt und diese darin aufgefordert, ein EU-Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten. Die EU-Kommission hat drei Monate Zeit, um über ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich zu entscheiden bzw. eine Stellungnahme abzugeben. Im Fall eines Vertragsverletzungsverfahrens erhält Österreich die Gelegenheit, Stellung zu nehmen. Die beteiligten Staaten können sich schriftlich und mündlich in einem kontradiktorischen Verfahren äußern. Gibt die EU-Kommission in den drei Monaten keine Stellungnahme ab oder sieht von einer Klage ab, kann Italien selbst direkt vor dem EuGH klagen. Verkehrsminister Matteo Salvini (Lega) hatte zuvor monatelang gegen die Tiroler Maßnahmen auf der Brennerstrecke wie Lkw-Dosiersystem sowie Wochenend- und Nachtfahrverbot mobilisiert.