Von: APA/dpa/Reuters
Die US-Regierung von Präsident Donald Trump hält Zugeständnisse Kiews für unausweichlich – unter anderem den Verzicht auf einen NATO-Beitritt. Außerdem sehen die USA die Europäer weitgehend alleine in der Pflicht, die Ukraine zu unterstützen und einen Frieden militärisch abzusichern. US-Verteidigungsminister Pete Hegseth präsentierte am Mittwoch die Vorstellungen bei einem Ukraine-Treffen in Brüssel, bei dem eigentlich Waffenlieferungen für Kiew koordiniert werden sollten.
Rückkehr in Grenzen vor 2014 “unrealistisch”
Noch im vergangenen Jahr hatte die NATO der Ukraine bei einem Gipfel in Washington zugesichert, ihr Pfad zur Mitgliedschaft sei unumkehrbar. Trumps Regierung sieht dies allerdings ganz anders. “Die Vereinigten Staaten glauben nicht, dass eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine ein realistisches Ergebnis einer Verhandlungslösung ist”, sagte Hegseth.
Auch die Rückkehr zu den ukrainischen Grenzen vor 2014 – also vor Annexion der Krim-Halbinsel durch Russland – ist demnach aus US-Sicht unrealistisch. “Dieses illusorische Ziel zu verfolgen, wird den Krieg nur verlängern und mehr Leid verursachen”, sagte er. Derzeit kontrolliert Russland knapp ein Fünftel des ukrainischen Staatsgebiets.
Hegseth machte deutlich, dass der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine enden müsse. Präsident Trump beabsichtige, dies mit diplomatischen Mitteln herbeizuführen, sagte der Verteidigungsminister. Die US-Regierung wolle eine souveräne Ukraine. Die USA sind auch nicht bereit, Soldaten bereitzustellen, um eine Friedenslösung abzusichern. “Ein dauerhafter Frieden für die Ukraine muss solide Sicherheitsgarantien beinhalten, um sicherzustellen, dass der Krieg nicht wieder aufflammt”, sagte Hegseth. Für solche Sicherheitsgarantien müssten aber europäische und andere Truppen eingesetzt werden. “Es werden keine US-Truppen in die Ukraine geschickt.” Einen NATO-Einsatz schloss er aus.
Rutte: Mehr Lastenteilung zwischen USA und Europa
Trumps Regierung bekennt sich zum transatlantischen Militärbündnis, fordert aber eine andere Lastenteilung unter den Mitgliedern. “Die Vereinigten Staaten bleiben dem NATO-Bündnis und der Verteidigungspartnerschaft mit Europa verpflichtet – ohne Wenn und Aber”, betonte Hegseth. “Aber die Vereinigten Staaten werden nicht länger ein unausgewogenes Verhältnis tolerieren.” Die NATO-Partner müssten deutlich mehr in ihre Verteidigung investieren.
Nach den Worten von Generalsekretär Mark Rutte stimmt die NATO mit Trump überein, dass es mehr Lastenteilung zwischen den USA und den europäischen Verbündeten bei der militärischen Hilfe für die Ukraine geben müsse. Die NATO-Mitglieder hatten im vergangenen Jahr vereinbart, der Ukraine innerhalb eines Jahres Sicherheitshilfen in Höhe von 40 Milliarden Euro zu gewähren.
Am Ende waren es mehr als 50 Milliarden, mehr als die Hälfte davon kam nach NATO-Angaben von den europäischen Verbündeten und Kanada, der Rest von den USA. Die Hilfe sei “ein großer Schritt in die Richtung, die Präsident Trump gefordert hat”, sagte Rutte vor den Beratungen der Kontaktgruppe und betonte: “Ich stimme mit ihm überein, dass wir die Sicherheitshilfe für die Ukraine angleichen müssen.”
Großbritannien verspracht den USA, deutlich mehr militärische Verantwortung zu übernehmen. “Wir haben seinen Aufruf an die europäischen Nationen, sich zu engagieren, gehört. Das tun wir und werden wir tun”, sagte der britische Verteidigungsminister John Healey nach Äußerungen Hegseths. Man werde mehr für die europäische Sicherheit und mehr für die Verteidigungsausgaben tun.
“NATO muss stärkere, tödlichere Kraft sein”
Hegseth verlangte zuvor von der NATO einen Kurswechsel. “Die NATO muss eine stärkere, tödlichere Kraft sein – kein diplomatischer Club”, schrieb er am Mittwoch im Onlinedienst X. Er veröffentlichte dazu ein Foto von seinem Eintreffen im Brüsseler Hauptquartier. Die NATO sieht sich selbst als rein “defensive Allianz”. Der neue Pentagonchef ist zum Antrittsbesuch in Brüssel.
Am Donnerstag kommt Hegseth mit den Amtskollegen der anderen 31 NATO-Länder zusammen. Auf dem Programm steht zudem ein NATO-Ukraine-Rat mit dem ukrainischen Verteidigungsminister Rustem Umerow.
Moskau verhöhnt Selenskyj
Hegseths Auftritt stieß in Moskau auf Zustimmung. “Die Aussagen des Pentagon-Chefs können eine kalte Dusche für (den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr) Selenskyj werden”, sagte der Leiter des Außenausschusses im russischen Parlament, Leonid Sluzki, der staatlichen Nachrichtenagentur TASS zufolge. Hegseths Einschätzung der Lage auf dem Schlachtfeld sei “ziemlich realistisch”, lobte Sluzki, der auch Parteichef der nationalistisch-populistischen LDPR ist.
Die neuen Prioritäten der US-Regierung erlaubten es, vorsichtig optimistisch zu sein. Allerdings wies Sluzki den Vorschlag einer westlichen Friedenstruppe zur Sicherung der Frontlinie zurück. Das laufe selbst beim Verzicht der USA an einer Teilnahme an dieser Truppe wieder nur auf ein Einfrieren des Konflikts und eine mögliche Wiederbewaffnung Kiews für eine Revanche heraus, meinte der hochrangige Moskauer Politiker.
Der Kreml bleibt für einen Friedensschluss bei seinen Maximalforderungen. Die sehen neben weiteren Gebietsabtretungen zusätzlich zu den schon eroberten Landstrichen und dem Verzicht auf einen NATO-Beitritt auch fortbestehenden Einfluss Moskaus auf die Politik in Kiew vor.
Keine Pläne für US-Truppenabzug aus Europa
Am Dienstag hatte Hegseth US-Militärstützpunkte in Deutschland besucht. Dort kündigte er an, “Klartext” mit den NATO-Verbündeten reden zu wollen. Trump habe “Recht”, wenn er Verteidigungs-Investitionen von fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von den Europäern fordere, sagte der neue Pentagonchef in Stuttgart. Europa müsse selbst am meisten zur Verteidigung seiner Nachbarschaft beitragen, sagte er mit Blick auf die Ukraine.
Befürchtungen über einen Abzug der rund 100.000 US-Streitkräfte aus Europa spielte Hegseth herunter. Es seien “derzeit keine Pläne in Vorbereitung, irgendetwas zu kürzen”, betonte er. Allerdings wollten die USA ihre Militärpräsenz “weltweit auf den Prüfstand stellen”, um sich stärker auf Chinas Ambitionen im Indopazifik konzentrieren zu können.
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