Von: apa
Nach dem Platzen der FPÖ-ÖVP-Koalitionsverhandlungen hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Donnerstag Gespräche mit den Parteichefs über eine Regierungsbildung aufgenommen. Den Auftakt machte NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger, zu Mittag folgte Grünen-Obmann Werner Kogler. Am Nachmittag war ÖVP-Obmann Christian Stocker an der Reihe, der u.a. von Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer begleitet wurde. Als letzter war SPÖ-Chef Andreas Babler dran.
Dieser erschien erst knapp vor seinem Termin beim Präsidenten in Begleitung von ÖGB-Chef Wolfgang Katzian und Klubvize Philip Kucher vor der Hofburg. Davor hatte er sich mit seinem Präsidium beraten und im Anschluss mitgeteilt, dass er Neuwahlen für falsch hielte. Stattdessen nannte er zwei Optionen. Einerseits könnte es eine parlamentarische Zusammenarbeit geben, um rasch zu einer stabilen Budgetlage zu kommen. Andererseits könnten diese Gespräche mit ÖVP, NEOS und Grünen dann auch in eine Koalition münden.
Für die Gespräche hat das SPÖ-Präsidium ein recht kleines Team gebildet, dem neben Babler die Dritte Nationalratspräsidentin Doris Bures, Frauen-Chefin Eva Maria Holzleitner, der FSG-Vorsitzende Josef Muchitsch und Klubvize Kucher angehören. Inhaltliche Basis ist für die SPÖ ein sozial gerechtes Budget, mit dem der Arbeitsmarkt gestützt wird und Teuerung, speziell hohe Energie- und Wohnkosten, bekämpft werden soll.
Stocker vor Babler in der Hofburg
Bablers wohl künftiger Verhandlungspartner Stocker fuhr um 14.30 Uhr vor der Hofburg vor. Mit ihm kamen die beiden Chefverhandler, Klubobmann August Wöginger sowie Generalsekretär Alexander Pröll. Überraschend ebenfalls mit dabei war Stelzer, der die Parteispitze in die Hofburg begleitete.
Stocker hielt sich sowohl vor als auch nach der Unterredung recht bedeckt. Van der Bellen habe zu Gesprächen geladen, sagte er. Es gelte nun nach dem Aus der Verhandlungen darum, aus dieser “schwierigen Situation” herauszufinden, sagte er bei seinem Eintreffen.
Auf die Frage, weshalb auch Stelzer bei dem Termin mit dabei war, sagte dieser nach dem rund einstündigen Gespräch, es gehe nun darum, zu zeigen, dass man in der ÖVP sehr einig sei und dass man sich des Ernsts der Lage sehr bewusst sei. Gefragt, ob er nun öfter bei den Gesprächen anwesend sein wird, verwies er lediglich darauf, dass nun der Bundespräsident am Zug sei. Stocker betonte danach ebenfalls lediglich die Dringlichkeit der Fortkommens.
Meinl-Reisinger will “Konstruktivität” zeigen
NEOS-Chefin Meinl-Reisinger sagte zuvor bei ihrem Eintreffen um 11 Uhr, Faktum sei, “Herbert Kickl ist gescheitert – mit seinem Anspruch, eine Regierung zu bilden und selber Kanzler zu sein”. Sie selber sei in Kontakt mit den Parteivorsitzenden von SPÖ und ÖVP und werde die verschiedenen Varianten mit ihnen sowie mit dem Bundespräsidenten besprechen, damit “die Bevölkerung rasch eine Regierung bekommt.” Die NEOS wollen bei allen Optionen Konstruktivität zeigen, sagte Meinl-Reisinger beim Verlassen der Hofburg.
Kogler für schwarz-rote Regierung
Die Bevölkerung sehe, dass “Kaiser Kickl nackt ist”, sagte Kogler vor seinem Gespräch mit Van der Bellen. Es gehe nun um eine Zusammenarbeit der konstruktiven Kräfte, für eine Mehrheit im Nationalrat brauche es ÖVP und SPÖ. Der Grünen-Chef betonte – wie der Bundespräsident am Vortag – die Bedeutung von Kompromissbereitschaft für die liberale parlamentarische Demokratie. Er sprach von “neuem Optimismus”: “Wir haben jetzt die Chance, wieder eine proeuropäische Regierung zu kriegen. Eine Regierung, die auch auf Medienfreiheit im Übrigen Wert legt und die Institutionen der Zweiten Republik arbeiten lässt.”
“Wir haben, gegenüber dem, was jetzt gedroht hat, viel, viel mehr gemeinsam, als die Parteien trennt”, meinte Kogler beim Verlassen der Hofburg. Das Trennende müsse man so behandeln, “dass es nicht wieder irgendwelche Unversöhnlichkeiten gibt”. Auf diese Art könne es in den nächsten Wochen zu einer Regierung kommen. Die Rolle der Grünen im Fall einer ÖVP-SPÖ-Regierung beschrieb er so: “Immer, wenn es darum geht, dass wir Mehrheiten haben, spielen die Grünen eine Rolle, wenn es bei ÖVP-SPÖ knapp wird – ich finde zwar, das ist eine übertriebene Sorge – aber wir werden da immer Gespräche führen”.
FPÖ-Chef noch ohne Termin
Vorerst noch keinen Termin hat laut FPÖ der blaue Parteichef Herbert Kickl, der erst am Mittwoch bei Van der Bellen den Regierungsauftrag zurückgelegt hatte. Er werde einen solchen auf Wunsch des Präsidenten aber selbstverständlich wahrnehmen, hatte er am Mittwochabend betont.
Van der Bellen hatte am Mittwoch von vier Optionen nach dem Scheitern von Blau-Schwarz gesprochen: einer Neuwahl, einer Minderheitsregierung unter Duldung des Parlaments, einer Expertenregierung oder einer Koalition mehrerer Parteien. Außer Blau-Schwarz würden im Nationalrat auch ÖVP und SPÖ über eine (nur um eine Stimme abgesicherte) Mehrheit verfügen. Für nötige Stabilität könnten daher sowohl NEOS als auch Grüne mit ihren Stimmen sorgen.
Über die Zukunft wollen die Parteien allerdings auch intern sprechen – während die ÖVP bereits am Mittwoch einen Bundesparteivorstand einberufen hatte, trafen sich die Sozialdemokraten am Donnerstag im Parlament zur Präsidiumssitzung.
Aktuell sind 2 Kommentare vorhanden
Kommentare anzeigen