Von: mk
Bozen – Zu Beginn der Sitzung des Regionalrats bat Regionalratspräsident Thomas Widmann am Montag um eine Schweigeminute für den kürzlich verstorbenen ehemaligen Abgeordneten Eugenio Binelli, der von 1978 bis 1988 und von 1993 bis 1998 Mitglied des Regionalrats war.
Gesetzentwurf Nr. 98: Bestimmungen auf dem Sachgebiet der örtlichen Körperschaften (eingebracht von der Regionalregierung). Der Gesetzentwurf beruht auf dem Vorschlag des Trentiner Rates der Gemeinden, dem auch der Südtiroler Rat der Gemeinden zugestimmt hat, wie Ass. Josef Noggler ausführte. Zum einen wird die Möglichkeit zur Verwendung digitaler Mittel für den Gemeinderat erweitert: Nach der digitalen Einberufung und Übermittlung der Unterlagen (die bereits möglich ist) kann nun eine Audio- bzw. Videoaufnahme der Sitzung als Sitzungsprotokoll gelten. Außerdem enthält der Entwurf Bestimmungen zu den Sekretariatssitzen bei Kooperationen oder Fusionen von Gemeinden im Trentino. Überzählige Sekretäre könnten demnach, und nach Genehmigung durch den Gemeindeausschuss, einen zweijährigen Bereitschaftsstand beanspruchen.
Rodolfo Borga (Amministrare e Civica Trentina) fragte, worin das Allgemeininteresse an dieser Regelung bestehe und ob die Bestimmung zu den Sekretariaten rückwirkend sei. Die Bestimmung zu den Sekretariaten betreffe die Provinz Trient und sei nötig, um die Materie nach den zahlreichen Gemeindefusionen zu klären, antwortete Ass. Josef Noggler. Natürlich seien nur bestimmte Gemeinden betroffen, rund 50. Den Vorschlag habe der Rat der Gemeinden nach Absprache mit den Sekretären gemacht.
Marino Simoni (Progetto Trentino) hielt es für bedeutsam, dass hier der erste Gesetzentwurf auf Vorschlag der Gemeinden vorliege. Dieser löse aber nur einige der Probleme. Die Figur des Gemeindesekretärs sei neu zu definieren. Wenn der Rat der Gemeinden für diese Lösung sei, dann stimme er ihr aber zu. Rodolfo Borga hielt das nicht für eine ausreichende Begründung.
Die vorgeschlagene Norm sei keine authentische Interpretation der bestehenden, präzisierte Ass. Josef Noggler. Er kündigte für Herbst einen Einheitstext an, auf dessen Grundlage die Gemeindeordnung überarbeitet werde. Anschließend wurde der Übergang zur Artikeldebatte genehmigt.
Myriam Atz Tammerle (Süd-Tiroler Freiheit) begrüßte den Art. 1 zum digitalen Protokoll, das sei eine alte Forderung von vielen Gemeinderäten. Derzeit fänden sich viele Stellungnahmen nicht im Protokoll wieder. Sie fragte, ob die Aufzeichnung das schriftliche Protokoll ganz ersetze. Wichtig sei auch, dass die Aufzeichnungen für die Bevölkerung leicht zugänglich seien.
Walter Blaas (Freiheitliche) wandte ein, dass es nicht leicht sei, diese Audiodateien zu konsultieren und darin Recherchen durchzuführen. Ass. Josef Noggler wies darauf hin, dass die jeweilige Gemeinde entscheide, ob sie das digitale und/oder das schriftliche Protokoll verwenden wolle. Sollten die Gemeinden bei der Umsetzung Probleme haben, werde die Region sicher Hilfestellung leisten. Art. 1 wurde mit 46 Ja und neun Enthaltungen genehmigt. Art. 2 und 3 wurden ohne Debatte genehmigt.
In seiner Erklärung zur Stimmabgabe kündigte Walter Blaas die Zustimmung der Freiheitlichen an. Er hoffe, dass der versprochene Einheitstext bald vorliege.
Der Gesetzentwurf wurde mit 44 Ja und 18 Enthaltungen genehmigt.
Beschlussfassungsvorschlag Nr. 48: Genehmigung der Rechnungslegung des Regionalrats für das Finanzjahr 2016 (eingebracht vom Präsidium). Die Rechnungslegung verzeichnet Kompetenzeinnahmen von 23,6 Mio. (33 Mio. mit Sonderbuchführung), Ausgaben von 22,3 Mio. Euro, einen Kompetenzüberschuss von 1,3 Mio. und ein Verwaltungsergebnis von 3 Mio. Euro. In der Rechnung enthalten sind auch 146.674 Euro an Rückzahlungen von Leibrenten sowie 135.000 Euro, die aus dem Family-Fonds wieder in das Vermögen des Regionalrats zurückfließen.
Die Rechnungslegung wurde ohne Debatte mit 28 Ja, einem Nein und 21 Enthaltungen genehmigt.
Beschlussantrag Nr. 53, eingebracht von den Regionalratsabgeordneten Urzì, Borga und Giovanazzi, um die Regionalregierung zu verpflichten, sich darum zu bemühen, auf dass innerhalb des Gebietes der Region ein öffentlicher Platz im Gedenken an die Opfer des Terrorismus in Südtirol – Militärpersonen und Zivilisten – ausfindig gemacht werde.
Gerade vor dem Hintergrund des Jubiläums der Streitbeilegung sei eine solche Erinnerung wichtig, meinte Erstunterzeichner Alessandro Urzì (gemischte Fraktion). Es gehe um die Erinnerung an die Opfer von Gewalt, die immer und unter allen Umständen abzulehnen sei. Die Liste der Opfer sei lang, erklärte Urzì und zählte sie auf. Es sei ein geeigneter Ort des Gedenkens zu finden. Die Zeit sei weitergegangen, und es sei gut, wenn man jetzt das Ende eines langen Streits feiere, aber es müsse auch Platz sein für jene, die durch diese Auseinandersetzung ihr Leben lassen mussten.
Hinter jedem der genannten Namen stehe ein Mensch, der gewaltsam sein Leben verloren habe, erklärte Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit), das sei anzuerkennen. Aber diese Opfer dürften nicht instrumentalisiert werden. In der Liste fehle das erste Opfer, Franz Innerhofer, der von Faschisten erschlagen wurde. Es sei nicht zu leugnen, dass im Zuge des Freiheitskampfes in den Sechzigern Menschen ums Leben kamen, aber es gebe aus dieser Zeit auch Opfer der Staatsgewalt. Vittorio Tiralongo, einer der Genannten, sei laut jüngsten Aussagen eines Carabinierioffiziers nicht Opfer der Pusterer Buam, sondern eines Vorgesetzten. Wenn ein Volk unterdrückt werde, führe das zu Widerstand. Gewalt brauche man nicht zu rechtfertigen, aber sie sei nachvollziehbar. Es gebe einen Unterschied zwischen Terrorismus und Akten des Widerstands gegen Symbole der Unterdrückung. Ohne die gewaltsame Annexion Südtirols gäbe es die genannten Opfer nicht. Es wäre durchaus sinnvoll, ihrer zu gedenken – der Heimatbund habe es bereits getan -, aber man sollte aller Opfer gedenken, ohne das politisch zu instrumentalisieren.
25 Jahre nach Streitbeilegung gebe es noch Themen ohne gemeinsame Bewertung, bemerkte Hans Heiss (Grüne). Diese Vergangenheitspolitik werde es weiter geben, sie zeige, welche Spaltungen es immer noch gebe. Die einen sprächen von Terror, die anderen von Freiheitskampf. In den Sechzigern sei Italien ein demokratischer Staat gewesen, unter dem Faschismus nicht. Die Gewalt einer jungen Generation, die für sich keine Chancen mehr sah, sei nicht zu rechtfertigen, aber zu verstehen. In einer ersten Phase habe sich die Gewalt nur gegen Symbole gerichtet, erst in einer zweiten Phase auch gegen Personen, und auch da seien Südtiroler dabei gewesen. Man dürfe aber auch nicht die Gewalt des Staates vergessen, der oft brutal gegen Südtiroler vorgegangen sei. Urzìs Antrag sehe nur die eine Hälfte, daher könne man ihm nicht zustimmen. Es werde noch vieler Jahre bedürfen, bis es eine von gegenseitiger Verständigung getragene Sichtweise der Ereignisse geben werde.
Auch Walter Blaas (Freiheitliche) wandte sich gegen den Antrag. Es sei schwer festzulegen, wer alles unter den Opfern aufzuzählen sei. Man sollte nicht einen neuen Platz für Aufmärsche und Provokationen in einem “schwarzen Geiste” schaffen. Dieter Steger (SVP) bezeichnete es als grundsätzlich geboten, der Opfer von Gewalt zu gedenken. Aber der Antrag umfasse nur einen Teil der Opfer. Außerdem sei das eher ein Thema für den Landtag, da die Sache Südtirol betreffe, nicht das Trentino. An den heutigen Wortmeldungen habe man gesehen, dass es noch keine gemeinsame Aufarbeitung der Geschichte gebe. Grundsätzlich wäre das Anliegen zu diskutieren, aber man sei noch nicht so weit. Er hoffe, dass es einmal zu einer gemeinsamen Sichtweise der Dinge kommen werde.
Rodolfo Borga (ACT) zeigte Verständnis dafür, dass das Thema immer noch die Gemüter erregt. Die von Urzì Genannten seien alle Opfer, aber die Ursache mancher Gewalttaten sei umstritten, auch innerhalb der italienischen Rechten. Ebenfalls müsse man Verständnis haben dafür, wenn auch Ereignisse vor 100 Jahren die Südtiroler immer noch bewegten. Die Geschichte bleibe, aber die Zeit vergehe, und auch die Südtiroler sollten einsehen, dass man sie nicht zurückdrehen könne. Die Regionalregierung könnte auch selbst die Initiative ergreifen, und eine Erinnerung an die Opfer jener Zeit zu ermöglichen, die auf beide Seiten Rücksicht nehme.
Gewalt und Terrorismus seien in einem Rechtsstaat zu verurteilen, meinte Marino Simoni (PT). Aber heute auf bestimmten Positionen zu beharren, bringe nur neuen Streit. Er plädierte dafür, den Antrag zu vertagen und eine gemeinsame Lösung zu suchen.
Alessandro Urzì zeigte sich mit einer Vertagung einverstanden, wenn die Regionalregierung sich bereit zeige, eine Form des Gedenkens zu finden. Bei der gestrigen Feier sei in einem Film auch auf die leidvollen Etappen des Weges zur Autonomie hingewiesen worden, erklärte Präsident Arno Kompatscher. Es sei ihm bewusst, dass die Geschichte der Autonomie nicht nur glorreich gewesen sei. Selbstverständlich sei man bereit, der Opfer politisch motivierter Gewalt zu gedenken. Urzìs Liste scheine aber unvollständig. Es gebe auch leider noch keine gemeinsame Sichtweise jener Zeit, es gebe bewusst oder unbewusst eingeschränkte Sichtweisen und unterschiedliche Sensibilitäten. Das Trennende könne man nur im Dialog überwinden. Auf jeden Fall müsse man es vermeiden, das Thema politisch zu instrumentalisieren. Der Antrag Urzìs diene diesem Ziel nicht, auch wenn er vertagt werde.
Alessandro Urzì erklärte sich weiterhin bereit, den Antrag in Erwartung einer Einigung zu vertagen. Er wies darauf hin, dass die von ihm zitierte Liste aus einer Veröffentlichung des Quirinals stamme. Er bezeichnete das Statut als überholt, die Teilung der Gesellschaft sei nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Zur Option und anderen Ereignissen habe es Gedenkfeiern und Tagungen gegeben, zu den Opfern des Terrorismus kein Wort von institutioneller Seite. Dass es Gewalt an den Attentätern gegeben habe, hätten bereits alle Urteile widerlegt. Die Unterscheidung zwischen jenen, die auf Sachen, und jenen, die auf Personen zielten, sei nicht zulässig, der Widerstand gegen einen demokratischen Staat sei nicht zu rechtfertigen.
Präs. Kompatscher ging auf Urzìs Vorschlag zur Vertagung nicht ein, der Antrag sei der falsche Zugang zum Thema, da er eine Seite der Gewalt und einen Teil der Opfer ausblende. Gerichtsurteile seien nicht genug, um die staatliche Gewalt zu leugnen. Vizepräsident Ugo Rossi schloss sich der Position Kompatschers an. Er erinnerte an den I. Weltkrieg, in dem viele Trentiner in der österreichischen Uniform gekämpft hätten und danach deshalb lange Zeit vergessen worden seien. Ohne gemeinsame Aufarbeitung wäre es nicht zu einem Gedenken gekommen. Wenn jeder auf seinem Standpunkt bleibe, werde es schwierig. Alessandro Urzì beantragte schließlich eine Vertagung bis Mai 2018.
Damit war die Sitzung beendet. Der Regionalrat tritt im Juli wieder zusammen.