Von: apa
Die Proteste der Landwirtinnen und Landwirte in vielen Ländern Europas beschäftigen diese Woche auch das EU-Parlament in Straßburg. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte am Dienstag vor den EU-Abgeordneten an, die umstrittene SUR-Verordnung zur Verwendung von Pflanzenschutzmitteln zurückziehen zu wollen. Die Abgeordneten hatten die geplante Reduktion von Pflanzenschutzmitteln in der EU um 50 Prozent bis 2030 im November abgelehnt.
Die Kommission habe die SUR-Verordnung mit dem Ziel vorgeschlagen, die Risiken der Verwendung chemischer Pflanzenschutzmittel zu verringern. “Doch der Vorschlag hat polarisiert”, so von der Leyen. Nach dem Europäischen Parlament seien auch im Rat keine Fortschritte mehr erzielt worden: “Ich werde meinen Kolleginnen und Kollegen in der Kommission daher vorschlagen, den Vorschlag zurückzuziehen.” Das Thema sei jedoch nicht vom Tisch: Die Kommission werde zusammen mit anderen Stakeholdern einen ausgereifteren Vorschlag vorlegen.
Die Kommissionschefin plädierte ebenso wie EU-Ratspräsident Charles Michel für einen gemeinsamen Dialog mit den Akteurinnen und Akteuren der Landwirtschaft. “Es geht darum, die Polarisierung der Debatte zu überwinden”, so von der Leyen. Landwirte bräuchten attraktive wirtschaftliche Anreize für Naturschutz-Maßnahmen. “Nur, wenn wir gemeinsam unsere Klima-und Umweltschutzziele erreichen, erhalten die Landwirte ihre Lebensgrundlagen.” Die Agrar- und Ernährungsbranche brauche nachhaltige Perspektiven.
“Über Monate hinweg haben wir den Vorschlag der Kommission für eine neue Pflanzenschutzmittelverordnung kritisiert. Er war voll unrealistischer Zielen, die unsere Ernährungssicherheit gefährdet hätten. Die Reduktionsziele wären in der Praxis nicht umsetzbar gewesen und hätten nur zu noch mehr Bürokratie auf den Bauernhöfen geführt”, sagte Alexander Bernhuber, ÖVP-Agrarsprecher im Europaparlament und Chefverhandler der Europäischen Volkspartei im Europaparlament für die Pflanzenschutzverordnung,
SPÖ-EU-Abgeordneter Günther Sidl, Mitglied im Umweltausschuss, kommentierte: “Der ungehemmte Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft ist einer der Hauptgründe für das Artensterben und bedroht die menschliche Gesundheit. Durch das Vorhaben der EU-Kommission, das Gesetz zurückzuziehen, ist ein Pestizidreduktionsziel für diese Legislaturperiode endgültig vom Tisch und somit in weite Ferne gerückt. Es bleibt zu hoffen, dass die nächste EU-Kommission so rasch wie möglich einen neuen Entwurf vorlegt.”
“Dass die Kommission die Pestizidrichtlinie SUR jetzt zurückziehen will, ist ein guter Tag, nicht nur für die Landwirte, sondern auch für alle Bürger”, meint hingegen der freiheitliche Europaparlamentarier Roman Haider. SUR hätte die Lebensmittelversorgung in Europa insgesamt infrage gestellt und zu Importabhängigkeiten sowie massiven Teuerungen geführt.
“Wenn ein neuer Vorschlag auf den Tisch gelegt wird, darf das keine ‘Mogelpackung’ zulasten der Bauern sein. Kommissionspräsidentin von der Leyen und Ratspräsident Michel haben angekündigt, die Betroffenen in der Landwirtschaft mit ins Boot holen zu wollen. Wir werden jetzt wachsam darauf achten, dass das auch geschieht und wir nicht wieder außen vorgelassen werden”, begrüßte auch Bauernbund-Direktor David Süß die Ankündigung.
“Es ist höchst an der Zeit, dass die EU-Kommission die Kritik von bäuerlicher Praxis, Interessenvertretung und auch Wissenschaft ernst nimmt und ihre Fehler ausbessert. Auch angesichts der dramatischen Bauernproteste in großen Teilen Europas sollten die EU-Gremien endlich erkennen, dass sie die Betroffenen immer miteinbinden müssen. Produktionsstandards, die für unsere Bäuerinnen und Bauern gelten, müssen von allen eingehalten werden – auch von Handelspartnern. In politisch unsicheren Zeiten muss auch das Thema Versorgungssicherheit wieder mehr Bedeutung gewinnen”, fordert der Präsident der Landwirtschaftskammer Österreich (LKÖ) Josef Moosbrugger.
“Inmitten von Klima- und Biodiversitätskrise begräbt die EU-Kommission ihr wichtiges und ambitioniertes Vorhaben einer verbindlichen Pestizidreduktion – das ist die falsche Antwort auf die drängenden Herausforderungen der Landwirtschaft! Die Europäische Kommission hat eine Entscheidung getroffen, die als erstes den Bauern und Bäuerinnen schadet. Denn sie sind die ersten Opfer des Pestizideinsatzes und auch die ersten Leidtragenden der dadurch verursachten Verschlechterung der landwirtschaftlichen Produktionsbedingungen”, kritisierte hingegen Helmut Burtscher-Schaden, Umweltchemiker bei GLOBAL 2000.
“Die Verschmutzung durch Pestizide ist ein riesiges Problem, das bekämpft werden muss. Sie verschmutzen unsere Gewässer, schaden unserer Gesundheit und zerstören die biologische Vielfalt, auf die wir angewiesen sind. Wir müssen schnell zu einer gesunden und nachhaltigen Form der Landwirtschaft übergehen, denn nichts zu tun ist angesichts der Krise der biologischen Vielfalt, in der wir uns befinden, keine Option”, fordert Martin Dermine, Geschäftsführer des Anti-Pestizidnetzwerks PAN Europe.